60 Jahre Römische Verträge – 60 Jahre Europa! Eine Bilanz (02.04.2017)

60 Jahre Römische Verträge – 60 Jahre Europa! Eine Bilanz (02.04.2017)

Warum wurde das Projekt EU vor mehr als einem halben Jahrhundert von Schuman, Monnet und Adenauer in Angriff genommen? Wie hat es sich entwickelt und wie funktioniert es heute?

Ingo Espenschied, seines Zeichens Journalist und Experte für deutsch-französische und europäische Beziehungen, gab am Vormittag des 2. Aprils einen Einblick in die 60-jährige Geschichte Europas. Gemeinsam mit dem Freundeskreis Holzwickede-Louviers e.V., der Deutsch-Französischen, Deutsch-Italienischen und Deutsch-Niederländischen Gesellschaft, der Europa-Union Kreisverband Dortmund e.V. und der Stadt Dortmund holte das Europe Direct Informationszentrum Dortmund schon zum dritten Mal das innovative Vortragsformat „Doku-Live“ von Espenschied ins Ruhrgebiet. Im gemütlichen und nostalgischen Kinosaal der Schauburg Dortmund ließen rund 100 Gäste die Geschichte Europas Revue passieren.

DSC_0030Ein ganz neues Vortragsformat in der politischen Bildung: Das Doku-Live von Ingo Espenschied.

DSC_0068Von links nach rechts: Rainer Frickhöfer, Vorsitzender der Europa-Union Dortmund, Conny Irle, Stadt Dortmund, Angela Cesti und Stefania Bredereck, Leiterinnen der DIG, Odile Brogden, Leiterin der DFG, Ingo Espenschied, Klaus Wegener, Präsident der AgNRW, Lena Borgstedt, Leiterin des Europe Direct Informationszentrums Dortmund, Ursula Pademann, stv. Vorsitzende des Freundeskreises Holzwickede-Louviers e.V.

60 Jahre Europa in 60 Minuten. Schritt für Schritt leitete Espenschied durch die Schlüsselmomente der Europäischen Union. Welche Ziele hatte sie? Welche Herausforderungen mussten bewältigt werden? Warum sind die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich so elementar? Wie kann und sollte man den heutigen Fragestellungen, wie dem Brexit oder dem aufkeimenden Nationalismus, gegenüberstehen?

Bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts waren die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland sehr angespannt. Dies zog sich durch den Ersten und Zweiten Weltkrieg bis in die späten 1940er Jahre. Erst durch die Bestrebungen des französischen Außenministers Schuman sollte sich die Situation Anfang der 1950er Jahre ändern: „In einem wahren Politkrimi gelingt dem französischen Außenminister Schuman, dem Wirtschaftsexperten Jean Monnet und dem deutschen Bundeskanzler Adenauer der ultimative Durchbruch im Europäischen Einigungsprozess.“, so Espenschied. Bereits seit Ende des Ersten Weltkriegs versuchten Politiker*innen und Aktivist*innen aus ganz Europa, die anhaltenden Konflikte durch eine gemeinsame Politik zu einigen und den in Europa vorherrschenden Nationalismus zu überwinden – bis dato allerdings ergebnislos. Doch Schuman, Monnet und Adenauer gelang der entscheidende Schritt in Richtung vereintes Europa, als sie am 18. April 1951 durch den Vertrag von Paris die erste supranationale Organisation in der Geschichte Europas gründeten – die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS).

DSC_0089Die Gründerväter der Europäischen Union

DSC_0093_bearbeitetDieses Diagramm stellt die Entwicklung der EU zu einer „immer engeren Union“ aus Sicht des Referenten und seines Teams dar. Die Bedeutsamkeit der Meilensteine stellt Espenschieds persönliche Einschätzung dazu dar.

Die darauf folgende Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), die am 25. März 1957 im Rahmen der Römischen Verträge beschlossen wurde, gilt als Geburtsstunde Europas. Ihr formuliertes Fernziel: eine immer engere Union. Aus ursprünglich sechs Mitgliedsstaaten sind heute 28 geworden und deren Zusammenarbeit sei in vielen Bereichen tatsächlich immer enger geworden, so Espenschied.

20170402_114315Institutionen in der EGKS (1952)

20170402_114358Institutionen in der EU (heute)

Welche Institutionen wurden eingerichtet und wie haben sie sich entwickelt? Bereits durch die Gründung der EGKS wurden gemeinsame Organe geschaffen: die „Hohe Behörde“, der „Ministerrat“ und die „Gemeinsame Versammlung“. Sie können als Vorläufer*innen der heutigen Organe der EU angesehen werden. Während die Hohe Behörde, heute die Europäische Kommission, bereits damals eine Exekutivfunktion hatte, wurde der Gemeinsamen Versammlung lediglich eine konsultative Funktion zugesprochen. Auch mussten alle Entscheidungen und Empfehlungen einstimmig getroffen werden. Diese Gemeinsame Versammlung ist heute bekannt als das Europäische Parlament, welchem durch verschiedene Verträge über die letzten Jahrzehnte immer mehr Befugnisse eingeräumt wurden. So ist Einstimmigkeit im Europäischen Parlament heute nicht mehr notwendig. Ein Sonderfall in einer internationalen Organisation, bemerkte Espenschied, da außer im Europäischen Parlament in allen anderen internationalen Organisationen das Einstimmigkeitsprinzip gelte.

DSC_0125Schaubild zur EGKS

DSC_0130Mauerfall 1989

Doch EGKS und EWG entstanden in wackeligen Zeiten: Bereits 1952 gab es Pläne für eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik, welche zwar von allen Staaten befürwortet wurden, jedoch an der französischen Nationalversammlung scheiterten – ein herber Schlag für die junge Gemeinschaft. War es das bereits mit der Europäischen Idee, mit der gemeinsamen Union? Wie wir nach 60 Jahren sehen: Nein. Aber wir sehen auch, dass Europa häufig „aus einer Position der Schwäche“ weiterentwickelt und vorangebracht wurde. Der Ost-West-Konflikt zwischen den USA und der Sowjetunion bestimmte so zum Beispiel ab den 1950er Jahren die europäische Politik mit. Und dies über 40 Jahre lang. Erst mit dem Fall der Mauer 1989 und der Schaffung des Binnenmarktes 1993 wurde die Europäische Union zu der Union, die wir heute kennen: die größte Wirtschaftsmacht der Welt.

DSC_0137Das „kleine Deutschland“ und seine Außengrenzen – Sicherheit geschaffen durch die EU.

Der heute aufkeimende Nationalismus in Deutschland und auch den anderen europäischen Staaten sei daher sehr kurz gedacht: Die „kleine Bundesrepublik Deutschland“ habe mit 80 Millionen Einwohner*innen kaum internationales Gewicht, um politische Belange durchzusetzen. Außerdem habe kaum ein anderes Land so viele Außengrenzen. „Wann lebt es sich also besser, wenn man im Herzen Europas lebt? Mit offenen Grenzen und guten Beziehungen zu seinen Nachbarstaaten? Oder mit Eigentümelei und Nationalismus?“, fragt Espenschied und fügt hinzu: „Wir Deutschen leben in einem Paradies“, denn infolge der Wiedervereinigung und der Ost-Erweiterung seien alle angrenzenden Nachbarstaaten zu Verbündeten geworden. Außerdem habe man mit 500 Millionen Einwohner*innen als EU ein viel schwereres Gewicht in der Welt, als als einzelner Staat. „Wir können als Deutsche nur dann erfolgreich sein, wenn wir auch erfolgreiche Europäer sind!“, so schloss Ingo Espenschied sein Doku-Live-Format und wurde mit lautem Applaus verabschiedet.

Im Anschluss an die Veranstaltung wurden die Besucher*innen zum Sektempfang eingeladen, bei dem sich Interessierte persönlich mit Espenschied über seinen Vortrag austauschen konnten.

Mehr zu Ingo Espenschied und seinem Doku-Live-Format finden Sie hier.

Mehr zur Geschichte der EU können Sie hier nachlesen.

Text: Kim Isabelle Wollnik, Auslandsgesellschaft NRW e.V.
Fotos: © Dominic Melang, Auslandsgesellschaft NRW e.V.