Baustellen der EU: Migration & Asyl in Europa

Baustellen der EU: Migration & Asyl in Europa

In unserer neuen Reihe „Baustellen der EU“ werden wir in den nächsten Wochen verschiedene kontroverse Themen der Europäischen Union behandeln. Darstellen möchten wir dabei die aktuelle Problemlage sowie die Rolle und das Agieren der EU.

Die Themen Migration und Asyl und der Umgang damit lassen die EU besonders seit dem Sommer 2015 nicht mehr los. Eine Einigung der EU-Staaten auf eine gemeinsame Lösung lässt weiter auf sich warten, einige Staaten stellen sich quer. Und dennoch kommen weiter Geflüchtete an den Außengrenzen der EU an. Dort entstehen dann Auffanglager, wie das in Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Die Zustände dort sind oft sehr schlecht und eine Perspektive für die Menschen dort oft kaum vorhanden, denn die Staaten an den Außengrenzen sind mit den ankommenden Menschen meist überfordert. Daher bleiben die Fragen: Warum kann die EU sich nicht auf eine gemeinsame Lösung einigen und wie sollte bzw. könnte eine solche Lösung aussehen?

Wie ist die Situation?

Besonders in den letzten Wochen hat sich die Lage im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos in Griechenland durch den Brand des Lagers noch einmal verschärft. Allerdings war die Lage auch vor dem Ausbruch des Feuers schon prekär. Zu viele Menschen müssen auf zu engem Raum zusammenleben, die Versorgung mit Lebensmitteln ist schlecht und Krankheiten können sich schnell verbreiten. Auch unter dem Corona-Aspekt sind die Zustände untragbar. Das Flüchtlingscamp in Moria ist allerdings nicht das erste und einzige seiner Art. Schon 2015 entstand auf Lampedusa in Italien ein Auffangcamp für Geflüchtete mit ebenfalls sehr schlechten Zuständen. Weiterhin gab und gibt es noch weitere Lager dieser Art, besonders seit der erhöhten Anzahl an ankommenden Schutzsuchenden seit dem Sommer 2015.

Wieso kommt es zu dieser Situation?

Die Situation der ankommenden Menschen verschärft sich an den Außengrenzen der Europäischen Union durch eine Besonderheit in der gemeinsamen Regelung für die Aufnahme Schutzsuchender. In der sogenannten Dublin-Verordnung ist festgehalten, dass sich Asylbewerber_innen in dem ersten sicheren EU-Staat um Asyl bewerben müssen, den sie betreten. Kommen die Geflüchteten also über die EU-Außengrenzen in Griechenland in die EU, müssen sie in Griechenland ihren Antrag auf Asyl stellen und auch dort bleiben. Reisen die Geflüchteten dennoch weiter in andere Länder, wie Deutschland, kann der deutsche Staat diese Geflüchteten im Rahmen der Dublin-Verordnung wieder in den ersten sicheren Drittstaat abschieben. Diese Regelung führt naturgemäß zu einer enormen Konzentration der Geflüchteten in den betroffenen Außengebieten der EU in beispielsweise Italien oder Griechenland, denn versuchen Sie mal ohne einen anderen EU-Staat zu durchqueren ohne Flugzeug in einen EU-Innenstaat, wie Deutschland, zu gelangen. Die Staaten an den Außengrenzen haben oft nicht die Kapazitäten in Organisation und Verwaltung, um diese Aufgaben zu bewältigen, sodass Camps, wie etwa Moria, mit langen Aufenthalten und keiner Perspektive für die Betroffenen entstehen.

Laut der Dublin-Verordnung ist es aber auch so, dass wenn die Geflüchteten vor ihrem Asylantrag bereits einen sicheren EU-Staat durchquert haben, von ihrem Zielland nicht unbedingt in diesen zurückgeschickt werden müssen. Der Staat hat lediglich die Möglichkeit dies zu tun, kann sich aber dennoch für eine Annahme des Asylantrages entscheiden. Das Narrativ der gesetzwidrigen Aufnahme von Menschen aus Syrien im Sommer 2015 hat sich dennoch bei einer breiten Öffentlichkeit festgesetzt.

Was für Lösungsansätze gibt es?

Um die Situation für die ankommenden Menschen zu verbessern, müssen die EU-Staaten an den Außengrenzen entlastet werden. Dafür muss das Dublin-System grundliegend reformiert werden. Solange die Staaten an den Außengrenzen der EU mit ihren Problemen alleine gelassen werden, wird es weiterhin Camps mit menschenunwürdigen Zuständen geben und Menschen werden weiter davon abgehalten werden in die EU zu gelangen.

Ideen, wie das System reformiert werden soll, gibt es einige. Oft genannt werden Quotenmodelle zur Verteilung der ankommenden Geflüchteten auf die Staaten der EU, hierbei ist jedoch umstritten an welchen Werten die Quoten bemessen werden. Im Gespräch sind Kennzahlen, wie Bevölkerungsgröße, Fläche, wirtschaftliche Stärke und bisherige Aufnahmehistorie. Organisationen, wie Pro Asyl, schlagen ein System der freien Wahl vor, bei dem die Geflüchteten nach dem Eintritt in die EU frei entscheiden können, in welchem Staat sie ihren Asylantrag stellen wollen. Dies würde jedoch höchstwahrscheinlich zu einer Ungleichverteilung der Migrant_innen auf die einzelnen EU-Staaten führen. Trotz des unterschiedlichen Ansatzes der beiden Vorschläge, haben sie eins gemeinsam: Es braucht eine gemeinsame Lösung. Doch auch hier liegt das Problem, denn einige Staaten sind nicht bereit, Geflüchtete aufzunehmen und sich an einer gemeinsamen Lösung zu beteiligen. Es ist dringend vonnöten, dass die Mitgliedsstaaten zu einer Einigung kommen, um den nicht mehr tolerierbaren Status Quo zu beenden.

Was kann die EU kurzfristig tun?

Auch wenn langfristige Lösungen wichtig sind, helfen diese den Menschen in Moria und anderen Camps akut sehr wenig. Eine gemeinsame Einigung über eine neue und gerechtere Verteilung von Asylbewerber_innen ist kurzfristig nicht absehbar und selbst wenn die EU-Staaten zu einer Einigung kommen, wird diese nicht sofort in Kraft treten. Ein erster Ansatz wäre daher eine schnelle Evakuierung und gemeinsame Aufnahme der Menschen aus dem ehemaligen Camp Moria. Die dort lebenden Menschen könnten auf die aufnahmebereiten Mitgliedsstaaten verteilt werden und dort ihre Asylanträge stellen.

Ist die EU moralisch verpflichtet?

Die EU ist als Friedensprojekt nach dem 2. Weltkrieg entstanden, um die Staaten Europas näher zusammenzubringen, sowohl wirtschaftlich als auch menschlich. Dieses Projekt ist bis heute erfolgreich und wurde für diese Errungenschaft auch 2012 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Allein durch dieses Selbstverständnis der EU ist diese zu Solidarität gegenüber Geflüchteten verantwortlich. Diesen muss es möglich gemacht werden unter menschenwürdigen Bedingungen in die EU zu gelangen und ihren Asylantrag stellen zu können. Die Solidarität sollte aber auch zwischen den EU-Staaten gelten, daher können die Staaten an den EU-Außengrenzen nicht weiter alleine gelassen werden.

Die EU hat sich mit ihrer Migrationspolitik der Abschottung in den vergangenen Jahren nicht richtig verhalten; eine faire Lösung für die Menschen in Moria und anderen Camps ist daher das Mindeste, was getan werden muss.

Text: Till Henke, Auslandsgesellschaft.de e.V.

Quellen und weiterführende Links:

https://www.tagesschau.de/ausland/moria-211.html

https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.nach-brand-in-moria-wann-kommt-die-asylreform-debatte-im-eu-parlament.dfe13be9-dbc1-41db-a2b8-f40ac5620f58.html

https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-09/evakuierung-moria-brand-lesbos-fluechtlingspolitik-eu-aufnahme-gefluechtete

https://www.spiegel.de/politik/ausland/die-eu-ist-fuer-die-katastrophe-in-moria-verantwortlich-a-7b895ddb-c1d7-4e19-bc6e-2ed006dfd369

https://www.sueddeutsche.de/politik/fluechtlinge-eu-kommentar-1.5028580

https://www.sueddeutsche.de/politik/moria-griechenland-fluechtlinge-eu-1.5027655

https://www.dw.com/de/fl%C3%BCchtlingshilfswerk-nimmt-eu-in-die-pflicht/a-54928633