Digitale Souveränität in Europa – Freie und Open Source Software als Schlüssel (15.04.2021)

Digitale Souveränität in Europa – Freie und Open Source Software als Schlüssel (15.04.2021)

Die Macht von meist amerikanischen Software-Konzernen wird in Europa immer größer. Fragen nach der Kontrolle über Software dieser Konzerne, die inzwischen auch in der öffentlichen Verwaltung unserer demokratischen Systeme eingesetzt werden und uns alle betreffen, werden kontrovers diskutiert. Dabei ist ein Thema zentral: Digitale Souveränität, und die Nutzung von Open Source Software. Doch was bedeutet digitale Souveränität konkret, und wie kann sie erreicht werden? Und weswegen genau spielt sie eine immer wichtigere Rolle? Um diese Fragen zu beantworten haben wir am 15. April Max Mehl, Programmmanager der Free Software Foundation Europe, eingeladen, uns einen Überblick über die wichtigsten Zusammenhänge zu geben und anhand bestehender Beispiele aufzuzeigen, wie man die öffentliche digitale Infrastruktur mithilfe von freier Software modernisieren und demokratisieren kann.

Max Mehl von der Free Software Foundation Europe stellte verschiedene Ansätze und Initiativen für Freie Software Nutzung aus ganz Europa vor.

Was ist digitale Souveränität?

Zu Beginn des Vortrags galt es zunächst die Frage zu klären, was digitale Souveränität konkret bedeutet. Dabei gab Max Mehl zu, dass es ein etwas schwammiger Begriff ist, den viele verschiedene Akteure versuchen, auf ihre eigene Weise zu definieren. Es lassen sich jedoch grundlegende Elemente feststellen: Individuen – die Menschen müssen verstehen, wie sie Technik verwenden und eine gewisse Kontrolle darüber haben; Datenhoheit – welche sicherheitsrelevanten Daten gibt es über uns, wo werden sie gespeichert und wohin fließen sie? Und zu guter Letzt Gouvernance – gibt es Regeln die uns ermöglichen, Technologien souverän zu nutzen, oder sind wir fremdbestimmt? Als eine der gängigsten Definitionen von digitaler Souveränität nannte Max Mehl dafür die der Bertelsmann-Stiftung: „Digitale Souveränität ist die Fähigkeit einer Entität, über die zukünftige Ausgestaltung festgestellter Abhängigkeit in der Digitalisierung selbst entscheiden zu können und über die hierfür notwendigen Befugnisse zu verfügen.“ Im Kern geht es bei der Frage nach digitaler Souveränität also darum, ob wir Technologien selbstbestimmt nutzen können, und ob wir unabhängig sind von einzelnen Softwareherstellern, Regulierungen sowie um die Verfügbarkeit von Alternativen. Als Lösung schlägt Max Mehl dabei Open Source, sogenannte Freie Software vor.

Open Source als Lösung für digitale Souveränität im öffentlichen Bereich

Doch was genau ist freie Software? Sie wird nicht wie auf den ersten Blick vermutet dadurch definiert, dass sie kostenlos ist, sondern durch die Freiheiten, die sie bereitstellen kann. Dazu müssen vier Bedingungen erfüllt sein: erstens, sie kann ohne Einschränkungen zu jedem Zweck verwendet werden. Zweitens, jeder darf und kann die Software untersuchen. Drittens, die Software kann uneingeschränkt verbreitet werden. Und viertens, sie kann von allen und in jede Richtung verändert und verbessert werden. Das alles soll durch Lizenzen möglich gemacht werden.

Dabei sollte laut Max Mehl der Fokus auf den öffentlichen Sektor gesetzt werden, denn dieser generiert ein Viertel der Umsätze aller IT-Firmen. Verwaltungen treten jedoch nach außen hin nicht als Monolith auf, sodass sich IT-Firmen diese eingeschränkte Marktmacht beispielsweis durch Knebelverträge zu nutzen machen. Diese sogenannte proprietäre Software der IT-Firmen verursacht nicht nur Abhängigkeiten, und erschafft auch eine Art Locked-In-Effekt, denn es gibt nicht die Möglichkeit zur Kooperation mit anderen, wenig Kompatibilität mit anderen Software-Lösungen, erhöht die Wechselkosten auf andere Softwares, und die Abhängigkeit, die das verursacht, führt unter anderem zu unberechenbaren Kosten und Sicherheitsbedenken.

Open Source hingegen bringt offene Standards mit, was bedeutet, dass die Software lässt sich außerdem anpassen, und ermöglicht es jedem, sie so anzupassen wie es ihm passt, egal mit welchem Programm. Dadurch kann man leichter von einer Software auf die andere wechseln, durch Kollaboration zwischen den Verwaltungen lassen sich die Kosten potentiell senken und ermöglichen durch freie Lizenzen somit die Befreiung aus Knebelverträgen von IT-Herstellern hin zu mehr lokalen Partnern und somit zu mehr Unabhängigkeit und Transparenz.

Freie Software im Alltag und in der EU

Auch wenn das für viele zunächst sehr abstrakt klingt, Beispiele für freie Software finden sich mittlerweile im Alltag von vielen wieder: so nennt Mehl beispielsweise die Corona-Warn-App und den geplanten digitalen Impfausweis der EU, aber auch Programme wie Firefox, den VLC-Player, und Linux-Systeme.  Aber auch auf Städte-, Landes-, und EU-Ebene spielt freie Software und digitale Souveränität eine immer wichtigere Rolle, und neue Beispiele kommen im Wochentakt: Im Dortmunder Stadtrat beispielsweise wurde vor einigen Jahren noch nach einer Begründung gefragt, Open Software zu nutzen, muss man mittlerweile begründen, wenn man es nicht will. Auf Bundesebene hat es über die Jahre ebenfalls viele Initiativen gegeben, bei welchen es bisher jedoch an der Implementierung haperte. Dennoch zeichnen sich auch hier Veränderungen ab, denn Angela Merkel hielt 2019 ein Plädoyer für freie Software als Schlüssel für digitale Souveränität, und die CDU hat das Anliegen, neben beispielsweise auch den Grünen, in ihr Programm aufgenommen.

Auch in der EU tut sich etwas: Um einen sicheren digitalen Raum zu schaffen, wo die fundamentalen Rechte der User geschützt werden, brachte die EU-Kommission 2020 den Digital Services Act (DSA) und der Digital Markets Act (DMA) als legislative proposals ein. Ersterer soll für mehr Regulierung und Haftung für Inhalte sorgen, letzterer soll die Monopolstellung von marktbeherrschenden Unternehmen einschränken und einen Fokus auf lokale, europäische Unternehmen zu setzen. Noch wurde davon nicht allzu viel implementiert, aber es lässt sich sagen, dass das Thema auch auf EU-Ebene immer mehr an Einfluss in der Gesetzgebung gewinnt.

Sechs Schritte zu mehr digitaler Souveränität

Zum Ende des Vortrags war den Zuhörern die Bedeutung von freier Software und digitaler Souveränität deutlich besser bewusst als vorher.  Dennoch blieb die Frage zu klären: Wie setzt man ihre Anwendung in der Breite am besten durch? Dazu schlug Max Mehl folgende sechs Schritte vor:

  1. Public Money, Public Code: für mehr Eigenentwicklungen
  2. Ausschreibungen reformieren im Hinblick auf die Unabhängigkeit von Herstellern und Exit-Kosten
  3. Teilen und Wiederverwenden in Verwaltungen
  4. Finanzierung von Forschung und Entwicklung Freier Software
  5. Raum für Innovation
  6. Laufende Evaluation

Auch das Europe Direct Informationszentrum Dortmund plant, in Zukunft mehr Open Source  Software in seine Arbeit zu integrieren, beispielsweise für Videokonferenzen und andere Vorgänge. Wir bedanken uns bei Max Mehl und der Free Software Foundation Europe für die anschauliche Darstellung eines auf den ersten Blick komplizierten Themas, und bei den Anwesenden für die anschließende Diskussion!

 

Text: Stefaniya Vlasova