2018_04_25 Entscheidungsfindung EU

Wie funktioniert eigentlich die Entscheidungsfindung in der EU?

In der letzten Woche hat der neue deutsche Außenminister Heiko Maas seinen Antrittsbesuch in Brüssel absolviert. Dabei sprach er auch mit dem Kommissions-präsidenten Jean-Claude Juncker. Beide kamen zu dem Ergebnis, dass Beschlüsse des Rats der Europäischen Union im Bereich der Außen- und Sicherheits- sowie der Steuerpolitik verstärkt durch Mehrheitsentscheide gefasst werden sollen. Aber wie funktioniert die Entscheidungsfindung auf EU-Ebene aktuell überhaupt?

Auf welche Art und Weise die EU eine Entscheidung fällt, hängt zunächst einmal davon ab, welches Politikfeld betroffen ist und wie die Zuständigkeiten in diesem geregelt sind. So gibt es Politikbereiche, in denen die EU die ausschließliche Kompetenz hat (z.B. Handelspolitik). In diesen Feldern darf nur die EU verbindliche Rechtsakte erlassen, nicht die einzelnen Mitgliedstaaten im Alleingang. In manchen Bereichen teilt sich die EU aber auch die Zuständigkeit mit den Mitgliedstaaten, beispielsweise beim Verbraucherschutz. Es ist also beiden erlaubt, hier gesetzgeberisch tätig zu werden. Weiterhin besitzt die EU in manchen Bereichen eine unterstützende Zuständigkeit, unter anderem im Gesundheitsbereich. Hier darf die EU ergänzende Maßnahmen zu denen der Mitgliedstaaten ergreifen, eine Harmonisierung der Gesetze aller Mitgliedstaaten ist ihr aber nicht erlaubt. Zudem bestehen besondere Regelungen in den Bereichen der Wirtschafts- und Währungspolitik sowie der Außen- und Sicherheitspolitik.

In den Feldern, in denen die EU die ausschließliche oder geteilte Kompetenz besitzt, werden verbindliche Rechtsakte wie Richtlinien oder Verordnungen auf dem Wege des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens, auch Mitentscheidungsverfahren genannt, erlassen. Verordnungen, die auf EU-Ebene verabschiedet werden, finden direkt nach Inkrafttreten in allen Mitgliedstaaten Geltung. Richtlinien hingegen müssen von den Mitgliedstaaten erst noch umgesetzt, also in ihr eigenes Rechtssystem eingearbeitet werden. Richtlinien haben deshalb immer auch eine Umsetzungsfrist. Das Recht, die Verabschiedung eines solchen „EU-Gesetzes“ zu initiieren, liegt allein bei der Europäischen Kommission. Das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten haben allerdings die Möglichkeit, die Kommission zur Initiative aufzufordern. Nachdem die Kommission einen Entwurf angefertigt hat, wird dieser in einer ersten Beratungsrunde vom Europäischen Parlament besprochen und entweder gebilligt oder mit Änderungsvorschlägen versehen. Anschließend bespricht der Rat den Entwurf und die eventuellen Änderungen des Parlaments. Billigt er diese nicht und bringt stattdessen eigene Änderungsvorschläge ein, kommt es zu einer zweiten Lesung mit dem gleichen Ablauf. Ist es am Ende dieser Lesung noch immer zu keiner Einigung gekommen, wird ein Vermittlungsverfahren einberufen, bei dem Vertreter_innen des Parlaments und des Rats einen gemeinsamen Entwurf erstellen sollen. Schaffen sie dies, so wird der Entwurf zum verbindlichen Rechtsakt; falls nicht, ist das „EU-Gesetz“ gescheitert.

Mehr Informationen zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren der EU erhaltet ihr hier.

Entscheidungsfindung innerhalb des Rats der EU und des Europäischen Rats

Besondere Regeln für die Entscheidungsfindung gelten im Rat der EU. In diesem treffen die je nach Politikfeld zuständigen Minister_innen aller Mitgliedstaaten aufeinander, weswegen er oft auch einfach Ministerrat genannt wird. Für die gemeinsame Entscheidungsfindung müssen hier je nach Themengebiet verschiedene Mehrheiten erfüllt werden. Geht es um vitale Interessen der Mitgliedstaaten, wie beispielsweise die EU-Mitgliedschaft oder die Außen- oder Steuerpolitik, muss Einstimmigkeit zwischen allen Beteiligten herrschen. In den meisten anderen Bereichen ist jedoch eine Entscheidung mit qualifizierter Mehrheit möglich. Das bedeutet, dass 55% der Mitgliedstaaten, die gemeinsam mindestens 65% der EU-Bevölkerung vertreten, einem Beschluss zustimmen müssen. Aufgrund des Zusammenspiels dieser zwei Bedingungen wird die qualifizierte Mehrheit oft auch „doppelte Mehrheit“ genannt. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass eine Sperrminorität gebildet wird, die eine Beschlussfindung verhindert. In diesem Fall müssen mindestens 4 Staaten, die gemeinsam 35% der EU-Bevölkerung vertreten, gegen eine bestimmte Entscheidung sein. In der Praxis kommt es allerdings fast nie zu diesem Fall, da ein Großteil der Entscheidungen im Ministerrat trotz allem im Konsens getroffen wird.

Ähnlich verhält es sich auch im Europäischen Rat, in dem sich die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten treffen und der die Aufgabe hat, die Leitlinien der EU-Politik zu bestimmen. Beschlüsse werden hier im Konsens gefasst, soweit vertraglich nichts anderes geregelt ist. Im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ist der Europäische Rat das zentrale Entscheidungsgremium. Sollte es also tatsächlich, wie von Juncker und Maas gefordert, dazu kommen, dass in diesem Bereich in Zukunft auch Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden können, würde dies der EU ermöglichen, schneller auf außenpolitische Ereignisse zu reagieren und im Bereich der Außenpolitik handlungsfähiger zu werden. Fraglich ist allerdings, ob diese Option tatsächlich genutzt würde, wenn das Beispiel des Ministerrats bereits zeigt, dass ohnehin zumeist im Konsens entschieden wird.

Text: Rebecca Melzer, Auslandsgesellschaft.de e.V.

Foto: CC0, qimono, Pixabay.com

Quellen:

http://www.consilium.europa.eu/de/council-eu/decision-making/ordinary-legislative-procedure/ (abgerufen am 25.04.2018)

https://europa.eu/european-union/topics/foreign-security-policy_de (abgerufen am 25.04.2018)

https://europa.eu/european-union/eu-law/decision-making/procedures_de (abgerufen am 25.04.2018)

http://ec.europa.eu/citizens-initiative/public/competences/faq?lg=de (abgerufen am 25.04.2018)

http://www.bpb.de/izpb/203862/vertragsgrundlagen-und-entscheidungsverfahren?p=all (abgerufen am 25.04.2018)

https://ec.europa.eu/germany/news/20180413-juncker-und-maas_de (abgerufen am 25.04.2018)