18_09_17 Europa in der digitalen Arbeitswelt

Erst digitalisieren, dann handeln? Europa in der digitalen Arbeitswelt (17.09.2018)

Zu den Folgen der Digitalisierung für den europäischen Arbeitsmarkt werden viele bedrohliche Szenarien prognostiziert. Vermehrt stehen diesen jedoch auch positive Sichtweisen entgegen, die die Digitalisierung als Gewinn für die Arbeitswelt in der EU sehen. Um darüber zu diskutieren, haben wir zum Abschluss unserer diesjährigen Europa-Projektwochen in das Dortmunder Rathaus eingeladen. Auf dem Podium diskutierten Birgit Sippel (Mitglied des Europäischen Parlaments), Dr. Peter Ittermann (Forschungsgebiet Industrie- und Arbeitsforschung an der TU Dortmund) und Stefan Grönebaum (Wirtschafts- und Digitalministerium NRW). Moderiert wurde der Abend von Jutta Reiter, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Dortmund.

Die Frage des Nutzens der Digitalisierung sei in großen Teilen eine datenschutzrechtliche, wie Birgit Sippel zu Beginn deutlich machte. Die Tatsache, dass Privatkonzerne, wie Facebook, persönliche Daten für ihre eigenen Profite auch verkaufen, zeige wie gefährlich eine unvorsichtige Herangehensweise an die Digitalisierung sein könne. Man müsse sich Gedanken um die „Anfälligkeit der Daten“ machen, um eine reibungslose Digitalpolitik in der EU zu ermöglichen, die auf dem Arbeitsmarkt Verwendung finden könne. Dahingehend sei auch die Debatte um die Einführung einer Digitalsteuer für Privatunternehmen, die die Daten europäischer Nutzer_innen für ihre Dienste nutzen, relevant. Die Debatte zeige, so Sippel, auch die Bewegung, die es auf EU-Ebene gebe. Gerade der Pflege-Sektor sei ein Beispiel dafür, dass eine völlige Automatisierung der Arbeit gefährlich sein könne. „Soll diese nicht mehr individuell, sondern rein von Robotern gesteuert werden?“, fragte Sippel.

Auf der anderen Seite kritisierte Stefan Grönebaum, dass ein „Warten auf die EU“ sich bereits in der Vergangenheit als wenig sinnvoll erwiesen habe. Deshalb sei es wichtig, bereits auf Landesebene digitale Strategien zu entwickeln, wie es in Nordrhein-Westfalen gerade geschehe. Grönebaum machte in dem Zusammenhang auf die „Strategie für das digitale Nordrhein-Westfalen“ aufmerksam. Auf der Webseite der Digitalstrategie NRW können sich Bürger_innen selber am Prozess und den Plänen der Landesregierung beteiligen und so Einfluss nehmen. Neben Landesmitteln kommen für die Finanzierung auch Gelder des Bundes und der europäischen Förderung zum Tragen. Insbesondere wenn es um den Arbeitsmarkt gehe, müssen auch Verteilungsfragen und die weiterhin bestehende soziale Ungleichheit diskutiert werden, meinte Grönebaum. In Brüssel seien solche Fragen aber durch Unstimmigkeiten zwischen den Mitgliedsstaaten und Hürden der EU-Institutionen oft nur schwer zu lösen. Dass die neue Landesregierung ein eigenes Ministerium mit digitalem Schwerpunkt etabliert habe, sei deshalb ein Schritt in die richtige Richtung. Europa dürfe nicht zu viel Zeit verstreichen lassen, da es sonst den Anschluss verlöre. Gerade in Regionen, wie dem Silicon Valley, wo die Big Five (Apple, Amazon, Facebook, Microsoft und die Google-Mutter Alphabet) dominieren, sei man weiter in der Entwicklung zum modernen Arbeitsmarkt.

Die genauen Folgen für den europäischen Arbeitsmarkt seien aber keineswegs klar zu umreißen, erklärte Dr. Ittermann. Er werde an diesem Abend deshalb „keine glasklare Meinung“ abgeben können, da das diskutierte Problem vielschichtig sei. So gab es gerade in den letzten Jahren Massen an Studien, die entweder den Wegfall von Millionen Arbeitsplätzen voraussagten oder welche, die neue Qualifikationschancen und Verbesserungen der Arbeit durch Assistenzsysteme voraussagten. Eine allgemein gültige Digitalpolitik, die den gesamten europäischen Arbeitsmarkt steuern kann, würde es also so nicht geben können. Viel eher müsse je nach Sektor unterschieden und jeweils untersucht werden, welche Möglichkeiten, aber auch Gefahren eine Digitalisierung eben jenes Sektors bewirken könne. Die völlige Substitution der europäischen Arbeitswelt durch neue Technologien sei folglich nicht zu erwarten.

Diskussion mit dem Publikum

Im Anschluss an die Diskussion konnte sich auch das Publikum zu Wort melden. Es wurde vor allem auf die Widersprüche in der öffentlichen Debatte aufmerksam gemacht. Während Arbeitsplätze verlören gingen, würden neue geschaffen; während Roboter gute Assistenz leisten könnten, würden sie an den Stellen die Menschlichkeit nehmen, wo sie gebraucht werden könnte; während die Digitalisierung immer neue Errungenschaften der Technologie befördere, finde durch die Massen an persönlichen Daten auch eine Zweckentfremdung dieser statt. Frau Sippel zitierte die in diesem Zusammenhang oft verwendete Beschreibung von Daten als das „neue Öl“: Nach der anfänglichen Euphorie um die Nutzungsmöglichkeiten und mögliche Profite, setze nun eine Ernüchterung darüber ein, welche Schwierigkeiten große Datenmengen mit sich bringen und welche Risiken mit der Digitalisierung einhergehen. Der Prozess der Digitalisierung in Europa bleibe also ein Austarieren ihrer Chancen und Gefahren. Eindimensional können die Probleme und Fragestellungen der Zukunft in keinem Fall betrachtet werden.

Die Veranstaltung fand im Rahmen der Europa-Projektwochen 2018 unter dem Titel „Digit(at)lokratie? eu.demokratie.digitalisierung“ statt. Sie wurde vom Europe Direct Dortmund in Kooperation mit der Auslandsgesellschaft.de e.V., der Stadt Dortmund und dem DGB Dortmund-Hellweg organisiert.

Text: Junes Katilah, Auslandsgesellschaft.de e.V.
Fotos: © Lena Borgstedt, Auslandsgesellschaft.de e.V.