Kein Schutz für Flüchtlinge in Europa? Dublin und die Folgen (28.09.2015)

Kein Schutz für Flüchtlinge in Europa? Dublin und die Folgen (28.09.2015)

Am Montag, 28.09.2015, trafen in der Auslandsgesellschaft NRW Vertreter von Kirche, Europäischem Parlament und Menschenrechtsorganisationen aufeinander, um unter Moderation von Alexander Völkel, Gründer des Nordstadtbloggers, über eines der aktuell wichtigsten und auch problematischsten Themen für Deutschland und Europa zu diskutieren: die Flüchtlingspolitik der EU und insbesondere die Dublin III-Verordnung sowie das Kirchenasyl.

Unter den drei Diskutanten des Abends – Pfarrer Helge Hohmann vom Institut für Kirche und Gesellschaft Villigst, Prof. Dr. Dietmar Köster, Mitglied des Europäischen Parlaments, und Volker Maria Hügel von der Gemeinnützigen Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender – herrschte Einigkeit: Die Dublin III-Verordnung sei wenig hilfreich, um den Menschen, die vor lebensgefährlichen Bedingungen in ihrem Heimatland und unter schlimmen Umständen nach Europa flüchteten, gerecht zu werden. Sie schaffe einen ungeheuren bürokratischen Aufwand, schiebe Menschen wie Pakete zwischen den EU-Staaten hin und her und verschwende so Ressourcen, die an anderer Stelle sinnvoller zum Einsatz kommen könnten. Dies verdeutlichen laut Hügel die Dublin-Zahlen für das erste Halbjahr 2015: Während Deutschland insgesamt 23.935 Übernahmeersuche an andere EU-Mitgliedstaaten stellte, auf die 1.901 Überstellungen von Geflüchteten in andere Länder folgten, wurden an Deutschland 3.194 Ersuche übermittelt, die 1.371 Sendungen von Menschen nach Deutschland zur Folge hatten. Man stünde am Ende somit mit der gleichen Anzahl an Menschen da, habe jedoch Mittel zur gegenseitigen Überstellung verschwendet. Dublin sei somit tot.

Pfarrer Hohmann widersprach dem: Die Verordnung sei nicht tot, sondern äußerst lebendig. Zehntausende von Menschen in Europa seien davon betroffen. Für sie stelle Dublin eine sehr reelle Bedrohung dar. So lange dieses Damoklesschwert über einer Person oder Familie hänge, könne sie nicht ankommen und das in der Heimat und auf der Flucht erlebte Trauma verarbeiten. Infolgedessen suchen viele Menschen Zuflucht bei der Kirche. Das Kirchenasyl helfe ihnen, nicht abgeschoben zu werden. Es prüfe den individuellen Hintergrund einer jeden Person und nicht – wie die Dublin III-Verordnung – allein die Fakten. Somit sei die Kirche nicht politisch motiviert und versuche eine Rechtsordnung auszuhebeln, wie Innenminister Thomas de Maizière kritisierte, sondern sehe allein den Menschen in Not. Ein Großteil der Kirchenasyle würde vom Staat letztendlich unterstützt. Dies zeige, dass Dublin in vielen sensiblen Fällen nicht greife.

Köster hob zudem die Bedeutung der EU-Flüchtlingspolitik für die Zukunft der Europäischen Union hervor. Der Europaabgeordnete war der Ansicht, dass diese Problematik die Existenz Europas massiv bedrohe. Europaparlament und Europäische Kommission haben kontinuierlich Vorgaben und Reformvorschläge gemacht, wie die Krise gemeinsam angegangen werden könne. Die Mitgliedstaaten würden sich einer gemeinsamen Lösung jedoch verweigern. Diesbezüglich konstatierte Köster einen Rückfall in nationalstaatliches Denken, das man nach dem Zweiten Weltkrieg mittels der EU glaubte überwunden zu haben.

Die anschließende Diskussion rückte die Frage nach einer möglichen Alternative zur Dublin III-Verordnung ins Licht: die Perspektive für Geflüchtete, ihr Zielland in der EU selbst zu wählen. Humanitäre Investitionen müssen sich folglich danach richten, wie viele Geflüchtete die jeweiligen Staaten aufnehmen, sagte Köster. Pfarrer Hohmann forderte diesbezüglich, dass solche Ausgleichzahlungen nicht nur symbolisch, sondern tatsächlich spürbar sein sollten.

Text: Lena Borgstedt, Auslandsgesellschaft NRW e.V.
Foto: © Auslandsgesellschaft NRW e.V.