„Klimaneutral bis 2050? Welche Wege führen ans Ziel? Die Klimapolitik der Europäischen Union“ (27.05.2020)

„Klimaneutral bis 2050? Welche Wege führen ans Ziel? Die Klimapolitik der Europäischen Union“ (27.05.2020)

Während eines der omnipräsenten politischen Themen Europas, der Rechtspopulismus, bereits Thema unserer letzten Europa-Projektwochen war, folgt im Mai und Juni 2020 das zweite relevante Thema: der Klimawandel, welcher nicht zuletzt durch das Engagement von Fridays for Future wieder an die Spitze der politischen Agenda gebracht wurde. Nun wurde im Dezember letzten Jahres mit dem European Green Deal ein sehr ambitioniertes Konzept vorgestellt, welches bis 2050 Reduktion der Netto-Emissionen von Treibhausgasen auf null vorsieht und somit Europa in den ersten klimaneutralen Kontinent verwandeln soll Wie genau aber ein ganzer Kontinent in bereits 30 Jahren klimaneutral werden soll, diskutierten am letzten Mittwoch, den 27.05.2020, Europaparlamentsabgeordneter Sven Giegold von den Grünen, Prof. Dr. Claudia Kemfert, Wirtschaftswissenschaftlerin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und Julian Schorpp, Referatsleiter Europäische Energie- und Klimapolitik beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag. Angesichts der derzeitigen Coronakrise fand die Podiumsdiskussion unter der Moderation von Dr. Oliver Lah vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie dieses Mal online über Cisco Webex statt.

Die Bedeutung und Omnipräsenz des Themas Klimawandel wurde schnell mit Blick auf die Teilnehmendenzahl deutlich! Denn trotz einiger der Coronakrise geschuldeter Umplanungen durfte sich das Europe Direct Dortmund über eine Abendveranstaltung mit full house freuen – in diesem Falle dürfte die Bezeichnung „full chatroom“ allerdings treffender sein. Über sechzig Anmeldungen erreichten das Europe Direct Dortmund. Die Gäste hatten während der Veranstaltung die Möglichkeit, dem Moderator Herrn Dr. Lah per Chat Fragen zu schicken, welche er dann an das Podium richtete.

Coronakrise – Eine Chance für die Klimapolitik?

Den Anstoß zur Diskussion gab hier der Präsident der Auslandsgesellschaft Klaus Wegener in seinem Grußwort mit der Bewertung der Coronakrise als Chance für die Klimapolitik der EU. Bei beiden handele es sich um grenzüberschreitende Herausforderungen, die ein gemeinsames Handeln erfordern. Dieser Einschätzung konnte sich auch Frau Dr. Kemfert anschließen und verwies eingangs auf ökologische und klimatische Besserungen, die man aktuell beobachten kann. Als Beispiel nannte sie Veränderungen im Berliner Stadtbild während der Krise, dass Straßen zunehmend autofrei seien und die Menschen vermehrt Fahrrad fahren. Gleichzeitig betonte sie, dass dieser Zustand lediglich temporärer Natur sei, sich allerdings wirtschaftlich die Chance für einen „Neustart“ böte: Die von der Politik bereitgestellten Wirtschaftshilfen ließen sich dazu nutzen, gezielt in grüne Technologien und klimaverträgliche Wertschöpfungsprozesse zu investieren, gleichzeitig neue Arbeitsplätze zu schaffen und so den wirtschaftlichen Wiederaufbau klimaverträglich zu gestalten. So ergäbe sich sowohl für die Wirtschaft als auch für die Umwelt eine Win-Win-Situation.

Wesentlich kritischer sah Julian Schorpp die Coronakrise hinsichtlich möglicher Chancen. Die Krise traf die europaweite Wirtschaft schwer und angesichts der zu erwartenden Rezession und aktuell noch nicht absehbarer Folgen rief er zur Vorsicht auf. Die Krise selbst wollte er nicht als Chance sehen, lediglich im Anschluss an die Krise gäbe es eventuell Chancen für einen klimafreundlichen wirtschaftlichen Wiederaufbau. Er mahnte aber, dass Klimaschutz hier in effizienter Weise Hand-in-Hand mit der wirtschaftlichen Wertschöpfung in Europa gehen müsse und Industrieabwanderung in Staaten mit geringen Umweltstandards unter allen Umständen vermieden werden müsse.

Noch kritischer stand dieser Ansicht MdEP Sven Giegold gegenüber. Er betonte, dass wir uns trotz der Pandemie weiterhin in einer mehr als ernstzunehmenden Klimakrise befinden würden und dass es sich bei der Pandemie keineswegs um eine Chance, sondern maximal um eine kurze Atempause handle. Noch problematischer sei zudem, dass bedingt durch die Pandemie die Umsetzung essenzieller Maßnahmen zur Begrenzung des CO2-Ausstoßes ruhe. Die richtige Umsetzung dieser Maßnahmen, insbesondere die des Emissionshandels, sei im Laufe der nächsten zehn Jahre entscheidend!

Referent_innen und Moderation von links oben nach rechts unten: Sven Giegold (MdEP), Prof. Dr. Claudia Kemfert (BIW), Julian Schorpp (DIHK) und Dr. Oliver Lah (Wuppertal Institut)

EU als Klimadiplomat – Alleine können wir das Klima nicht retten!

Eine Frage vonseiten der Zuschauer_innen zur Rolle der EU als internationaler Vorreiter in Sachen Klimaschutz sorgte für eine aktive Fortsetzung der Diskussion. An dieser Stelle kritisierte Julian Schorpp, dass eine feststellbare Aufbruchsstimmung, wie beim Pariser Klimaabkommen, inzwischen verpufft sei und die EU den weltweiten Klimaschutz nicht allein tragen könne. Andere Staaten müssen an dieser Stelle genauso mitziehen! Des Weiteren müssen die Klimaziele mit der Umsetzung konkreter Maßnahmen verbunden sein, da sonst die notwendige Glaubwürdigkeit fehle.

Sven Giegold widersprach an dieser Stelle, indem er die Vorreiterposition Europas befürwortete und auf ihre Rolle als Mit-Hauptverursacher des Klimawandels verwies. Damit Glaubwürdigkeit herrsche, müssten eben genau die Versucher in besonderem Maße vorangehen. Konkrete Maßnahmen, welche während der Diskussion genannt wurden, beinhalten unter anderem den verstärkten Einsatz von Zukunftstechnologien, wobei Sven Giegold vorschlug, diese Ländern der Dritten Welt notfalls kostenlos als Teil der Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen, das Ende der Subventionierung klimaschädlicher Energien und einen verstärkten Fokus auf Umweltfreundlichkeit in der Industrie, speziell der Agrar- und Chemieindustrie. Wichtig sei auch, keinem Akteur hierbei Sonderrechte einzuräumen.

Technisches Management vor Ort in der Auslandsgesellschaft

Positive Fazits der Diskussion

Mit Blick auf die Klimapolitik der EU konnten neben dem Diskurs und den unterschiedlichen Ansichten auch positive Fazits gezogen werden. Zum einen betonte Sven Giegold, dass es für eine funktionierende EU-Klimapolitik ausreicht, wenn die Mehrheit der Mitgliedsstaaten diese mittrage. Eine solche Unterstützung durch die Mehrheit sei glücklicherweise bereits vorhanden. Auf diesem Wege lässt sich auf EU-Ebene eine weitgehend funktionierende Klimapolitik gewährleisten, ohne jedes Mal die Zustimmung aller 27 Mitgliedsstaaten zu benötigen.

Zum anderen unterstrichen Sven Giegold und Claudia Kemfert, dass das Zustandekommen des EU Green Deals und das hohe Abschneiden der Grünen bei der letzten Europawahl Zeichen dafür sind, dass eine klimapolitische Mobilisierung der jüngeren Generation nicht nur vorliege, sondern diese auch aktiv politischen Druck ausüben könne. Mit Blick auf Fridays for Future betonte Claudia Kemfert außerdem, dass diese trotz des Ausbleibens von Demonstrationen weiterhin online aktiv seien und unverändert weiter versuchen würden Druck zu machen.

Zuletzt lobte Sven Giegold die derzeit amtierende Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dafür, dass sie nachhaltig den Ausbau der Schieneninfrastruktur fördern möchte und damit eine umweltfreundlichere Beförderungsalternative zum Straßenverkehr mit dem Auto anstreben würde.

Wenn Sie die Veranstaltung verpasst haben sollten, können Sie sich hier die Aufnahme der Podiumsdiskussion ansehen.

Die Veranstaltung war Teil der Europa-Projektwochen 2020 und wurde vom Europe Direct Dortmund in der Auslandsgesellschaft.de e.V. mit Unterstützung vom DGB Dortmund-Hellweg und der Stadt Dortmund organisiert.

Text: Fabian Döbber, Auslandsgesellschaft.de e.V.
Fotos: © Fabian Döbber und Svenja Hennigfeld, Auslandsgesellschaft.de e.V.