2018_05_16 Ein Jahr Macron

Ein Jahr Macron: Reformen im Galopp – auch in Europa? (16.05.2018)

Vor knapp einem Jahr hat Frankreich einen neuen Präsidenten gewählt: Emmanuel Macron ist für viele ein Hoffnungsträger, der lang erwartete Reformen in seinem Heimatland und der EU durchsetzen will. Wie viel hat er bisher schon erreichen können, was ist noch offen, und wie wirken sich seine Pläne möglicherweise auf die Zukunft der EU aus? Dr. Andreas Marchetti, Geschäftsführer von politglott, zog in seinem Vortrag eine Zwischenbilanz nach dem ersten Jahr der Amtszeit des französischen Präsidenten.

Französische Präsidentschaftswahl 2017

Zu Beginn des Vortrags ging Marchetti auf die besonderen Umstände ein, unter denen Emmanuel Macron 2017 zum Präsidenten gewählt wurde. Im französischen Wahlsystem sind nämlich zwei Runden für die Wahl des*r Präsident*in vorgesehen: eine erste, in der alle Kandidat*innen zur Wahl stehen, und eine Stichwahl der beiden Kandidat*innen mit den meisten Stimmen der ersten Runde. 2017 kam es erstmals dazu, dass keine*r der Kandidat*innen der Stichwahl zu einer der etablierten Parteien gehörten. Stattdessen standen sich Marine Le Pen, Chefin des rechtsextremen Front National (heißt heute Rassemblement National), und Emmanuel Macron mit seiner neugegründeten Bewegung „La Republique en Marche (LREM)“ gegenüber. Zwar gewann Macron mit etwa zwei Drittel der abgegebenen Stimmen deutlich, die Wahlbeteiligung bei der Stichwahl lag jedoch unter 50 Prozent. Doch auch bei den Parlamentswahlen, die kurz darauf im Juni 2017 stattfanden, wurden viele Kandidaten von LREM gewählt, sodass Macron laut Marchetti nun über eine „sehr bequeme politische Mehrheit“ verfüge.

Macrons Frankreichprogramm

Diese Mehrheit erleichtere es Macron, die in seinem Frankreichprogramm vorgesehenen, umfangreichen Reformen auch durchzusetzen. Er habe sich zum Ziel gesetzt, die französische Politik zu moralisieren sowie den Haushalt, die Sozial- und die Finanzpolitik zu erneuern. Außerdem habe er versprochen, die innere und äußere Sicherheit Frankreichs auch ohne den demokratisch fragwürdigen Ausnahmezustand zu gewährleisten, der seit den Pariser Anschlägen im November 2015 bestand. Im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik habe sich Macron einen „Freifahrtsschein“ des französischen Parlaments eingeholt, indem dieses ein sogenanntes „loi d’habilitation“ verabschiedet hat, welches es dem Präsidenten erlaubt, in diesem Politikbereich anhand von Dekreten zu agieren. Marchetti wies zudem darauf hin, dass die konservative Tageszeitung „Le Figaro“ anhand eines „Macronomètre“ auf ihrer Internetseite den aktuellen Reformfortschritt des Präsidenten veranschaulicht. Dieses zeigt, dass nach einem Jahr im Amt 32 der 47 geplanten Reformen Macrons in Kraft sind. Diese würden, so Marchetti, jedoch auch mit einer Vielzahl von Streiks und Demonstrationen einhergehen. Eine ursprünglich geplante, große Rentenreform sei zudem zunächst verschoben worden.

2018_05_16 Ein Jahr Macron

Macrons Europaprogramm

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat sich bereits in mehreren Reden als überzeugter Proeuropäer geäußert (über seine Rede vor dem Europäischen Parlament im April 2018 berichteten wir hier) und sich für eine Reformierung der Europäischen Union ausgesprochen. Macron fordere in diesem Kontext immer wieder die Schaffung einer europäischen Souveränität. Laut Marchetti bedeute dies für ihn eine verstärkte Zusammenarbeit der Mitglieder, um auf diese Weise die faktische Handlungsfähigkeit der Union sicherzustellen. Macron setze insbesondere auf eine engere Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Außenpolitik, befürworte jedoch auch einen verstärkten Transfer von Finanzmitteln zwischen Mitgliedstaaten und die Einführung eines Eurozonenhaushalts. Vertiefte Kooperation dürfe für Macron auch im Rahmen sogenannter „Avantgarde-Gruppen“ stattfinden, falls sich zunächst nicht alle Mitglieder beteiligen wollen. Marchetti ging weiterhin auch auf die Bedeutung der deutsch-französischen Beziehungen für die europäische Integration heraus: Die Zusammenarbeit beider Staaten stelle gewissermaßen einen „Stellvertreterkompromiss“ für die gesamte EU dar: „Wenn der deutsch-französische Bilateralismus nicht funktioniert, funktioniert gar nichts.“ Die inneren Reformen, die der französische Präsident aktuell in seinem Land umsetzt, seien deshalb auch als Vorschuss anzusehen, der die Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit der europäischen Reformpläne sichern soll.

Bedeutung von Macrons Europaprogramm

Doch wie könnten sich die Pläne Macrons auf die Zukunft der EU auswirken? Diesbezüglich präsentierte Marchetti verschiedene mögliche Auswirkungen. Sollten die vorgeschlagenen Reformen durchgesetzt werden, so könne ein „Europa der Ergebnisse“ entstehen, welches durch die sichtbaren Vorteile, die es den Bürger*innen der Union verschafft, eine höhere Akzeptanz und Legitimation erfährt. Die Zusammenarbeit in Avantgarde-Gruppen berge jedoch auch das Risiko einer „Zwei-Klassen-Union“. Wenn in allen Staaten unterschiedliche Standards herrschen, gefährde dies die europäische Rechtsgemeinschaft und erhöhe zudem erneut die Komplexität der EU.

Diskussion mit Publikum

Im Anschluss an den Vortrag von Dr. Marchetti hatte das Publikum die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Teilweise handelte es sich hierbei um eher praktische Fragen, zum Beispiel danach, ob es die in Frankreich organisierten Bürgerkonsultationen auch in Deutschland gebe oder welcher Fraktion im EU-Parlament sich Macrons LREM nach der nächsten Wahl anschließen könnte. Deutsche Bürgerkonsultationen würden aktuell im Auswärtigen Amt geplant und sollen bald anlaufen, so Marchetti, und er sehe inhaltliche Überschneidungen von LREM mit der liberalen ALDE-Fraktion, aber auch mit der konservativen EVP. Es entwickelten sich jedoch auch rege Diskussionen darüber, wie die europäischen Bürger*innen stärker über die Bedeutung der EU aufgeklärt werden können. Marchetti betonte in diesem Zusammenhang, dass es wichtig sei, die „Relevanz von Europa für den individuellen Bürger stärker zu kommunizieren, auch jenseits von Roaming-Gebühren“. Hierfür sei es aber auch wichtig, den politischen Diskurs zu europäisieren. Diesbezüglich seien jedoch auch die Medien gefragt, die Europapolitik bisher stets durch die „nationale Brille“ betrachten würden.

Die Veranstaltung wurde vom Europe Direct Dortmund in Kooperation mit der Auslandsgesellschaft NRW e.V., der Stadt Dortmund, der Deutsch-Französischen Gesellschaft Dortmund und dem Freundeskreis Holzwickede-Louviers organisiert.

Text: Rebecca Melzer

Fotos: © Auslandsgesellschaft NRW e.V.