2018_11_28 Quo vadis Ungarn?

Quo vadis Ungarn? Ungarns neue Regierung – Verantwortung für Europa!? (28.11.2018)

Seit 2010 hat Viktor Orbán, Vorsitzender der Partei „Fidesz“(Ungarischer Bürgerbund), die Position des Regierungschefs in Ungarn inne. Am 8. April 2018 wurde Orbán zum dritten Mal gewählt und auch die Koalition zwischen Fidesz und KDNP (Christlich-Demokratische Volkspartei) erhielt eine deutliche Mehrheit. Nun steht die Frage im Raum: Welche Auswirkungen wird die künftige ungarische Politik auf die Entwicklungen in der EU haben? Zusammen mit der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft Dortmund und dem ungarischen Botschafter, Dr. Péter Györkös, wurde am 28. November 2018 dieses brisante Thema im Europe Direct Dortmund und der Auslandsgesellschaft.de e.V. diskutiert.

Nach einer Begrüßung durch Klaus Wegener, Präsident der Auslandsgesellschaft.de e.V., und dem Oberbürgermeister der Stadt Dortmund, Ullrich Sierau, übernahm Dr. Péter Györkös das Wort.

2018_11_28 Quo vadis Ungarn?

Oberbürgermeister Ullrich Sierau

Rückblick auf Deutsch-Ungarische Beziehungen

Zu Beginn blickte der ungarische Botschafter auf die ersten diplomatischen Beziehungen zwischen Ungarn und Deutschland zurück. Diese wurden am 21. Dezember 1973 aufgenommen. Dr. Péter Györkös erläuterte, dass sich zu Zeiten des sog. ‚Gulaschkommunismus‘ (Kommunistische Regierungsform von 1968 bis 1989 in Ungarn, in dem nur die materiellen Bedürfnisse befriedigt wurden. Er hatte zur Folge, dass sich der Lebensstandard der Bürger*innen von Ungarn im Zuge der Reformierung des Wirtschaftssystems verbesserte.) langsam eine Liberalität entwickelte und sich Ungarn um die Zeit des Mauerfalls zu einem der größten Treffpunkte von DDR-Bürger*innen etabliert hatte.

Eine fundamentale Vertiefung der bilateralen Verhältnisse fand jedoch erst statt, als sich Ungarn 1989 zu einer demokratischen Republik wandelte und seine Grenzen zu Österreich für Geflüchtete aus der DDR öffnete.

Welche Einstellung vertritt Ungarn im Vorfeld der Europawahl?

Laut Dr. Györkös sei Ungarn definitiv eine Befürworterin der EU und sehe die Europawahl 2019 als eine Art „Heimatwahl“ an. Die Prämissen, die sich Ungarn in Hinsicht der näher rückenden Europawahl auf die Fahne schreibt, seien zum Einen die Intensivierung der Sicherheit, die zu haltende Wettbewerbsfähigkeit und die Wahrung der ungarischen Verfassung.

Um die Sicherheit zu gewährleisten, müsse aus Sicht des ungarischen Botschafters der Schutz der Außengrenzen intensiviert werden. „Wie kann vermieden werden, dass tausende Menschen unkontrolliert nach Ungarn einreisen?“ Die Lösung liege laut Dr. Györkös auf der Hand: Die grünen Grenzen müssen durch einen Zaun geschützt werden. Diesbezüglich fragte der ungarische Botschafter: „Was ist der Unterschied zwischen der Berliner Mauer und Zäunen?“ Er liege darin, so Dr. Györkös, dass die Berliner Mauer dazu diente, Bürger*innen an der Ausreise zu hindern. Im Umkehrschluss liege der Sinn von Zäunen darin, Menschen daran zu hindern, einzureisen. Dies sei notwendig, sagte Dr. Györkös, da sich seit 2015 eine „globale Krisensituation“ entwickelt habe, die einen „totalen Kulturverlust“ zur Folge haben könnte. Er führte fort, dass ein Land, welches nicht in der Lage sei, seine eigenen Grenzen zu verteidigen, keine Chance habe, souverän zu sein. Jedoch solle Menschen in Not geholfen werden, fügte er hinzu.

Die ungarische Verfassung solle in ihrer jetzigen Form beibehalten werden und Konflikte auf politischer Ebene ausgetragen werden, so Dr. Györkös. EU-Mitgliedsländer sollen sich an die vereinbarten Spielregeln halten und nicht rechtswidrig gegenüber der nationalen Verfassung handeln dürfen.

Auf die Frage aus dem Publikum, warum Ungarn sich dann nicht an die Spielregeln halte, sondern das Mediengesetz verletze oder vereinbarte EU-Vorgaben zur Aufnahme von Geflüchteten nicht erfülle, reagierte der Botschafter defensiv: Das Mediengesetz sei sofort auf die von der EU-Kommission bemängelten Punkte hin geändert worden. Außerdem bedauere er, dass die deutsche Presse Unwahrheiten bezüglich des verhängten Mediengesetzes streue und dabei Ungarn nicht die Chance gebe, sich zu äußern.

Weiterfolgend sei Ungarn lediglich ehrlich gewesen und habe den Verstoß gegen die Aufnahme von Geflüchteten zumindest direkt zugegeben, wohingegen andere Mitgliedsstaaten die eigenen Verstöße verheimlichten, so der Botschafter. „Hier geht es nicht um Fremdenfeindlichkeit.“, betonte er zudem. Er hob hervor, dass Ungarn stolz sei, die Abschottung der EU zu übernehmen, denn das Wort „Abschottung“ stamme vom Wort „Schott“ ab, welches in der Nautik eine positive Konnotation habe. Es beschreibe eine wasserdichte und feuersichere Stahlwand, die sich im Rumpf des Schiffes befinde. Um zu verdeutlichen, dass Ungarn kein fremdenfeindliches Land sei, führte Dr. Györkös die Existenz deutschsprachiger Schulen und die große Anzahl der im Land lebenden Rumän*innen auf. Ungarn sei lediglich selbstbewusst und verfolge keinen böshaften Nationalismus.

Nach einem Einwurf aus dem Publikum, der Sorge ob des ansteigenden Nationalismus in Ungarn äußerte, erwiderte der Botschafter, dass Ungarn nicht auf deutscher Geschichte aufbauen wolle und entschuldigte sich direkt für den Zynismus dieser Aussage.

Zum Ende seines Vortrags bat Dr. Györkös die anderen EU-Länder um Respekt gegenüber der Einstellung Ungarns – im gleichen Maße wie Ungarn Respekt gegenüber der differenzierten Einstellung anderer Länder zeige.

2018_11_28 Quo vadis Ungarn?

Der ungarische Botschafter Dr. Péter Györkös

Ergänzung des Europe Direct Dortmund:

Position der EU zu den Geschehnissen in Ungarn 

Die Europäische Union fußt auf der Grundrechtcharta, die unter anderem besagt, dass das Recht jedes Menschen auf Freiheit und Sicherheit (Art. 6) und die Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit sowie die Achtung der Freiheit der Medien und ihrer Pluralität gewährleistet und geschützt werden müssen (Art. 11). Weiterführend stellen die Medien aus Sicht der EU sowohl unabdingbare Voraussetzungen als auch wichtige Garanten einer gesunden Demokratie dar.

Angesichts der Zuwanderung nach Europa in den Jahren 2015 und 2016 gab die EU bekannt, dass für sie die Sicherbringung der Geflüchteten an erster Stelle stehe. Hier hat die EU eine Reihe an Maßnahmen beschlossen, unter anderem eine Verstärkung humanitärer Hilfe für Bedürftige, innerhalb und außerhalb der EU, eine Umverteilung und Zurückführung von Asylbewerber_innen, die sich bereits in Europa befinden, sowie die Verstärkung der Sicherheit an den Grenzen durch die Errichtung der Europäischen Grenz- und Küstenwache. Diese und weitere Informationen sind in der Broschüre „Die EU und die Migrationskrise“ aufgeführt.

Vor diesem Hintergrund sieht die EU einige Regierungsakte der ungarischen Regierung als kritisch an:

Dies spiegelt sich in den Vertragsverletzungsverfahren wider, welche die EU gegen Ungarn führt. So hat die Europäische Kommission im Dezember 2015 ein Vertragsverletzungsverfahren wegen asylrechtlicher Verstöße gegen Ungarn eingeleitet. Auf Grund der Antworten der ungarischen Behörden, welche die Bedenken der Europäischen Kommission nicht ausgeräumt haben, geht die Kommission nun zum letzten Schritt des Vertragsverletzungsverfahrens über und verklagt Ungarn vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH).

In der Veröffentlichung des Gutachtens zu den Massenmedien in Ungarn (Punkt 27 ff.) der Venedig-Kommission am 22. Juni 2015 wurden zahlreiche Änderungen des ungarischen Mediengesetzes gefordert. Vor allem wurden der Begriff „Illegale Medieninhalte“ und die Offenlegung der Quellen von Journalist_innen und Sanktionen für Medienorgane kritisiert. Dieses Gutachten findet sich in der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. September 2018 wieder. Darin wird der Rat der Europäischen Union aufgefordert, im Einklang mit Artikel 7 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union festzustellen, dass die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Werte, auf die sich die Union gründet, durch die ungarische Regierung besteht.

 

Text: Eileen Eisenhut, Auslandsgesellschaft.de e.V.

Fotos: © Milica Kostic, Auslandsgesellschaft.de e.V.