Regionalismus und Separatismus in Europa (20.03.2017)

Regionalismus und Separatismus in Europa (20.03.2017)

Am 20. März 2017 begrüßte das Europe Direct Dortmund die Leiterin der Europäischen Akademie Bayern, Birgit Schmitz-Lenders, in der Auslandsgesellschaft NRW e.V. Bereits zu Beginn betonte die Politologin und Juristin Schmitz-Lenders: Der Fokus der Abendveranstaltung liege auf Katalonien und Schottland, aber das seien nicht die einzigen Länder mit separatistischen Ambitionen in Europa.

Was ist Separatismus?

Die Begriffsabgrenzung zwischen Separatismus, Regionalismus und Föderalismus sei elementar, um zu verstehen, wie separatistische Tendenzen entstehen und worauf sie fußen. Während im Föderalismus Gemeinschaften ihre Entscheidungen zwar abstimmen, aber trotzdem ihre Eigenständigkeit bewahren, so verstehe man unter Separatismus das Streben nach einer Loslösung aus einem Staatsverband, um einen eigenen Staat zu gründen oder sich an einen anderen Staatsverband anzugliedern. Beim Regionalismus gehe es vornehmlich darum, eine größere Selbstverantwortung und Autonomie gegenüber der staatlichen Zentralmacht zu erlangen.

DSC_0067

Separatismus am Beispiel Kataloniens

Um die separatistischen Bestrebungen Kataloniens zu verstehen, müsse man zunächst einen Blick auf die Geschichte dieser Region richten, bemerkte Schmitz-Lenders. Katalonien habe bis ins 18. Jahrhundert hinein einen Sonderstatus innerhalb Spaniens inne gehabt, welcher erst mit seiner Eroberung im Spanischen Erbfolgekrieg am 11. September 1714 geendet habe. In diesem Krieg ging es zwar nicht um die Unabhängigkeit Kataloniens, infolgedessen wurde seine Selbstbestimmung jedoch stark eingeschränkt. Dies hatte zur Folge, dass die Katalonier*innen sich ihrer Sprache und Kultur noch bewusster wurden und sich ihre Identifizierung vornehmlich darüber ergab. Die Katalonier*innen, so die Bayerin Schmitz-Lenders, seien die „Schwaben Spaniens“ gewesen.

Während der Franco-Diktatur im 20. Jahrhundert wurde Spanisch zur Amts- und Unterrichtssprache erklärt. Zwar wurde Katalonisch nicht verboten, dennoch führte die Entscheidung zu Missgunst auf Seiten der Katalonier*innen.

Mit der demokratischen spanischen Verfassung 1978/79 erhielten die 17 Regionen Spaniens den Status „Autonome Gemeinschaften“ mit eigenem Regionalparlament. Jedoch habe es unterschiedliche Kompetenzzuweisungen für die einzelnen Gemeinschaften gegeben: So müssen die Bask*innen beispielsweise weniger Abgaben zahlen als die Katalonier*innen. Zudem wurde die „unauslösliche Einheit der Nation“ in der Verfassung festgeschrieben, das heißt, dass alle separatistischen Bestrebungen zukünftig verfassungswidrig wurden.

Im Jahr 2005/2006 kam es zu Verfassungsreformen bezüglich des Autonomiestatus, da die Begriffe Autonomie und Nationalität in dieser nicht klar definiert gewesen seien. Diese Reform wurde allerdings bereits 2010 in weiten Teilen wieder für verfassungswidrig erklärt. Dies hatte ein Anwachsen der Unabhängigkeitsbewegungen in Spanien zur Folge.

Der Status einer Autonomen Gemeinschaft reichte den Katalonier*innen nicht mehr aus, daher strebte man eine Volksabstimmung zur Unabhängigkeit Kataloniens an. Da sie jedoch gegen die Verfassung verstieß, wurde sie schließlich zur Volksbefragung umdeklariert. Jedoch wurde auch diese von der Zentralregierung in Madrid abgelehnt. Die katalonische Regierung setzte sich jedoch darüber hinweg und führte sie am 9. November 2014 durch. Das Ergebnis war eindeutig: 81% der Wähler*innen stimmten für die Unabhängigkeit Kataloniens. Jedoch lag die Wahlbeteiligung auch nur bei 37%. Juristisch blieb das Ganze nicht ohne Folgen: Am 15. März 2017 wurde der ehemalige Präsident der katalanischen Regionalregierung Artur Mas wegen zivilen Ungehorsams verurteilt.

Dies schrecke aber weder Mas noch seine Anhänger ab, bewertete Schmitz-Lenders die Situation. Die Separatist*innen haben seit den Wahlen 2015 die Parlamentsmehrheit in ihrer Region und einen „Fahrplan Richtung Unabhängigkeit“ aufgestellt, welcher auch ein erneutes Referendum bis Ende 2017 vorsieht. Die Zentralregierung hat das Vorhaben bereits als verfassungswidrig eingestuft und mit strafrechtlichen Konsequenzen für separatistische Politiker*innen gedroht. Trotz des steigenden Drucks von Seiten Madrids wollen sich die Separatist*innen jedoch nicht beirren lassen.

Ein anders Beispiel für Separatismus in Europa hat durch den Brexit an Aktualität gewonnen – in Schottland werden erneut Rufe nach einem Referendum zur Unabhängigkeit laut.

Separatismus am Beispiel Schottlands

Die schottischen Unabhängigkeitskriege von 1296 bis 1357 stellen den Beginn der schottischen Unabhängigkeitsbestrebungen dar. In dieser Zeit versuchten die englischen Könige, Schottland zu unterwerfen und England anzugliedern.

Zwischen 1603 und 1714 wurde England auch von schottischen Königen regiert, es waren jedoch stets separate Königreiche. Erst im Jahr 1707 wurden Schottland und England formal durch den Act of Union zum Vereinigten Königreich – mit einem gemeinsamen britischen Parlament. Grund für diese Vereinigung war die finanziell schlechte Lage Schottlands.

Erst in den 1930er Jahren entwickelten sich erneute Unabhängigkeitsbestrebungen. Man erhielt 1934 zwar mehr Selbstbestimmungsrechte, dies befriedigte den Unabhängigkeitswunsch jedoch nicht. Im Jahr 1979 wurde das sog. devolution referendum erkämpft. Trotz einer knappen Mehrheit für die Separation kam es wegen der geringen Wahlbeteiligung jedoch nie zur Umsetzung. Unter der Regierung Thatchers in den 1980er Jahren entfremdeten sich Schottland und die Zentralregierung weiter.

Mit der Amtszeit von Tony Blair 1997 gab es Neuerungen für Schottland. Blair ernannte Wales, Nordirland und Schottland zu teilautonomen Gesellschaften mit eigenen Parlamenten. In Schottland wurde dieses nach 292 Jahren ohne eigenes Parlament 1999 eingeführt. Die Blair-Regierung reichte ihnen „den kleinen Finger“ und nun „wollten sie mehr“, kommentierte die Referentin. Unter dem Stichwort „Devolmax“ (Devolution Maximum) forderte beispielsweise die SNP im Jahr 2007 eine Kompetenzverlagerung von London nach Schottland. Schottland hat Befugnisse im Kommunalrecht, Justiz-, Wohnungswesen sowie der Bildung und fordere weitere Befugnisse in der Sozialpolitik sowie Verteidigung und Außenpolitik. Außerdem wolle man den Ausstieg aus der Atomenergie und die Entwicklung alternativer Energien.

Ihren vorläufigen Höhepunkt fand die separatistische Bewegung in Schottland im Jahr 2014. Im Abkommen von Edinburgh hatten der schottische Präsident Alexander Salmond und der britische Ministerpräsident David Cameron im Oktober 2012 eine Volksabstimmung zur Unabhängigkeit Schottlands ausgehandelt. Es sollte über die offene Frage „Should Scotland be an independent country?“ abgestimmt werden. Das Wahlalter wurde von 18 auf 16 Jahre herabgesetzt. Engländer*innen und EU-Bürger*innen, die ihren ständigen Wohnsitz in Schottland hatten, durften ebenfalls abstimmen. Schott*innen, die nicht in Schottland lebten, durften jedoch nicht daran teilnehmen. Das Referendum scheiterte. Bei einer Wahlbeteiligung von 84,6% stimmten 44,7% für und 55,3% gegen die Unabhängigkeit Schottlands. Warum? Ein großer Punkt, der gegen die Unabhängigkeit sprach, war das Währungsproblem. Schottland war sehr proeuropäisch eingestellt, wollte aber nicht Mitglied der Eurozone werden. Es habe den britischen Pfund behalten wollen, nach einem Austritt aus Großbritannien jedoch nicht mehr darüber mitbestimmen können. England wäre zu einer Kolonialmacht in Schottland geworden, fasste Schmitz-Lenders zusammen. Man könnte meinen, das Thema wäre mit dem gescheiterten Referendum für die nächsten 20 Jahre vom Tisch gewesen.

Doch warum ist es jetzt aktueller denn je? Der Grund ist der Brexit. Rund 62% der Schott*innen stimmten 2016 für einen Verbleib in der EU. Ein recht deutliches Ergebnis im Vergleich zu demjenigen in Gesamtbritannien (51,9% für und 48,1% gegen den Austritt). Dies allein führte allerdings nicht zu neuen Unabhängigkeitsrufen. Der von Premierministerin May geforderte Hard Brexit ist nicht im Sinne der Schotten. Sie wollen weiterhin Zugang zum europäischen Binnenmarkt. Eine mutige Entscheidung, findet Schmitz-Lenders, wenn man berücksichtigt, dass rund 60% der schottischen Ausfuhren nach England gehen und nur 16% in die EU.

Die Erste Ministerin Nicola Sturgeon hatte vor wenigen Wochen noch angekündigt, sie werde sich erst um ein erneutes Referendum bemühen, wenn in den Umfragen mindestens 60% für die Unabhängigkeit seien. Nach aktuellen Umfragen sind 51% für den Verbleib im Vereinigten Königreich und 44% dagegen. Dennoch hat Sturgeon in der letzten Woche ein neues Referendum gefordert. Warum? Schottland scheint sich von May überhaupt nicht vertreten zu fühlen. Mays Aussage, sie suche nach einer gesamtbritischen Lösung für den Brexit wird als solche nicht in Schottland wahrgenommen.

1Wie steht die EU dazu?

Sowohl Katalonien als auch Schottland sind sehr pro-europäisch und streben nach einer Separation von Spanien und Großbritannien eine EU-Mitgliedschaft an. Diese gestaltet sich jedoch als schwierig, denn selbst wenn die beiden Regionen ihre Unabhängigkeit erklären würde, so spinnt Schmidt-Lenders die Geschichte weiter, wäre ihnen diese Mitgliedschaft nicht sicher. Nach Artikel 49 des EU-Vertrags kann jeder europäische Staat den EU-Beitritt beantragen. Artikel 4 verlangt weiterhin die territoriale Unversehrtheit der Staaten der Union. Denn Spanien würde Katalonien bspw. mitnichten als Staat anerkennen. Auch müssten die EU-Mitgliedstaaten einstimmig einem Beitritt zustimmen. EU-Staaten, deren Regionen ebenfalls separatistische Tendenzen haben, würden dies jedoch nicht tun. „Man möchte hier keinen Präzedenzfall schaffen“, so die Referentin.

Die EU ist in dieser Angelegenheit sehr zurückhaltend, da die separatistischen Tendenzen als innerstaatliche Angelegenheiten wahrgenommen werden. Zudem sei es nicht in ihrem Sinne, viele kleine Länder in ihre Regierung aufzunehmen. „Bloß keine Kleinstaaterei!“, heiße der Vorsatz der EU.

Warum jetzt?

Warum sind gerade jetzt separatistische Tendenzen in Europa auf dem Vormarsch? Dezentralisierungstendenzen gebe es in Europa angesichts kultureller sowie historischer Gründe schon seit den 1980er Jahren. Diese würden aktuell jedoch durch Phänomene wie der Wirtschaftskrise und der Globalisierung verstärkt. Man besinne sich angesichts dessen auf die Heimat zurück, konstatierte Schmitz-Lenders. Zudem haben kleine Staaten in der EU eine starke Position, denn sie seien hinsichtlich ihrer Einwohner*innenzahl überproportional gut in den Institutionen vertreten.

Diskussion mit dem Publikum

Im Anschluss an Schmitz-Lenders Vortrag entwickelte sich eine lebhafte Diskussion mit dem Publikum. Hier warf man einen Blick auf andere separatistische Bewegungen, wie z.B. in Norditalien oder Belgien. Auch wurde über die Definition des Nationenbegriffs als „politische Willensnation“ gesprochen.

Wie es nun in Schottland weitergehe, fragte eine Besucherin Frau Schmitz-Lenders. Am 22. März werde das Regionalparlament in Schottland über das Unabhängigkeitsreferendum befinden. Der Worst Case, so die Referentin, wäre, dass Schottland Großbritannien verlasse und nicht in der EU verbleiben könne. Dann müsste man sowohl auf den britischen als auch den EU-Binnenmarkt verzichten.

Text: Kim Isabelle Wollnik, Auslandsgesellschaft NRW e.V.
Fotos: © Auslandsgesellschaft NRW e.V.