2019_02_08 Spanien vor der Europawahl

Spanien vor der Europawahl (08.02.2019)

Die Europawahl 2019 rückt immer näher und die EU befindet sich mitten in einem Strukturwandel: aus 28 mach 27. Der Brexit lässt viele immer noch den Atem anhalten, doch wie sieht es mit den anderen EU-Mitgliedsstaaten aus? Spanien hat bereits Schlagzeilen mit der Jugendarbeitslosigkeit im Land gemacht, doch was beschäftigt das Königreich darüber hinaus? Dieser Frage hat sich unser Referent Dr. Stefan Roggenbuck am 8. Februar 2019 in der Auslandsgesellschaft.de e.V. angenommen.

1986 trat Spanien der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bei und stellte damals flächenmäßig das zweitgrößte Beitrittsland dar. Unter anderem durch die Wirtschaftsförderungen der EU war das Land zunächst gut gestellt, erklärte Roggenbuck. Von 1996 bis 2007 erlebte es ein regelrechtes Wirtschaftswunder und entwickelte sich zur achtgrößten Wirtschaftsmacht der Welt. Mit dem Wirtschaftsboom in Spanien seien auch vermehrt Einwander*innen in das Land gekommen. Rund 200.000 Menschen erreichten Spanien im Jahr 1975; 2011 waren es ganze 5,7 Millionen.

Das Bruttoinlandsprodukt habe seit 2009 jedoch eine mehrjährige Rezension erlitten. Die Regierung schaffte es 2011, ein Wirtschaftswachstum zu erreichen, dennoch konnten die Schulden nicht abgebaut werden. Die Ursachen hierfür lägen in den geringen Steuereinnahmen, so Roggenbuck. Ein weiteres Problem sei der Euro: Vor seiner Einführung habe die Regierung bei Fall der internationalen Wettbewerbsfähigkeit die frühere Währung „Peseta“ abgewertet, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Mit dem Euro ist dies jedoch nicht mehr möglich. Infolgedessen entwickelte sich eine Krise, der der EU-Mitgliedstaat nur durch Sparpakete entkommen konnte. Laut Roggenbuck liege Spanien mit einem aktuellen BIP von 3,1% sehr nah an der EU-Vorgabe von 3%.

Spanien konzentriere sich vor allem auf drei Wirtschaftsmodelle: Bau, Konsum und Tourismus. Es müsse jedoch mehr in die Forschung, erneuerbarer Energien und das Bildungssystem investiert werden, so der Referent. Auch die Arbeitsquote habe in dem südeuropäischen Land gelitten. Vor allem die Jugendarbeitslosigkeit gebe Grund zur Besorgnis. 2012 war ein Jahr, in dem viele junge Menschen ausgewandert waren. Die Jugendarbeitslosigkeit lag damals bei rund 56,5%.

Die Firmen seien in Spanien relativ klein, dennoch läge die Schattenwirtschaft bei einem Niveau von 21%. Ihr Umsatz liege umgerechnet bei 22,6% des BIPs. Laut Roggenbuck sei eine Ursache hierfür in einer geringen Steuermoral zu suchen, vor allem in der Immobilienwirtschaft. Es gebe zudem zu wenig Kontrollen. Ein weiterer Punkt, der die spanische Wirtschaft schwäche, sei die hohe Quote an Korruption. Dies definierte der Referent als eine Erblast der Franco-Diktatur.

Spanien setzt sich aus 17 autonomen Regionen zusammen. Diese sog. „Autonomen Gemeinschaften“ sind der spanischen Regierung unterstellt und verfügen über unterschiedliche Kompetenzen. Seit 2009 seien Stimmen für eine Unabhängigkeit Kataloniens immer lauter geworden. Eine Folge war die Spaltung der spanischen Bevölkerung. Eine potentielle Lösung des Konflikts stelle ein legales Unabhängigkeitsreferendum dar, so Roggenbuck.

Seit 1996 habe es ein Zweiparteiensystem in Spanien gegeben: Es wechselten sich die Konservativen und die Sozialdemokraten an der Regierungsspitze ab. 2016 wurde Mariano Rajoy mit seiner konservativen Partei Partido Popular (PP, Volkspartei) zum Ministerpräsidenten Spaniens gewählt und etablierte eine Minderheitenregierung. Im Juni 2018 wurde er durch ein Misstrauensvotum jedoch von seinem Posten enthoben. Seitdem gebe es eine weitere Minderheitenregierung des Partido Socialista Obrero Español mit Pedro Sánchez als Ministerpräsidenten. Es bestehe die Möglichkeit, dass in naher Zukunft Neuwahlen ausgerufen würden, um eine stärkere Regierung zu formen. Eine weitere Option sei eine engere und verbesserte Kooperation mit Katalonien und dem Baskenland. Es könnte jedoch auch zu einem Status Quo mit aufstrebenden rechten Kräften in Spanien kommen, bemerkte Roggenbuck.

Diskussion mit dem Publikum

Welche Rolle spielt die EU für die Separatist*innen und inwiefern kann die EU eine Lösung für die Unabhängigkeitsbestimmung sein, wollte das Publikum in der anschließenden Diskussion von dem Referenten wissen. Die EU sei ein Zusammenschluss von Staaten. Damit sie Katalonien nach einer Separation von Spanien als neuen Mitgliedsstaat in die Reihen aufnehmen könne, müssten alle Mitgliedsstaaten im Konsens dafür stimmen. Neben Spanien gebe es eine Reihe weiterer Staaten, die dies nicht tun würden, aus Angst dies würde separatistischen Bestrebungen im eigenen Land Aufschwung geben. Die Katalonier*innen wüssten, dass sie nur zur EU dazu gehören, solange sie innerhalb Spaniens verbleiben, sagte Roggenbuck. Einen EU-Beitritt nach einer Abspaltung von Spanien bewertete er als bloßes Wunschdenken fernab der Realität.

Geben die Spanier*innen der EU die Schuld an ihrer hohen Arbeitslosigkeit und ihrem geringen Wohlstand? Dies verneinte Roggenbuck. Seiner Erfahrung nach seien viele Spanier*innen der Ansicht, dass die Korruption der eigenen Politiker*innen das größte Problem darstelle. Sie seien der EU freundlich gegenüber eingestellt und sich bewusst, dass die Zugehörigkeit zur EU dem Wohl Spaniens diene.

Die Veranstaltung wurde vom Europe Direct Dortmund in der Auslandgsesellschaft.de e.V. in Kooperation mit der Europa-Union Kreisverband Dortmund e.V. und der Deutsch-Iberischen Gesellschaft organisiert.

Text: Eileen Eisenhut, Auslandsgesellschaft.de e.V.
Foto: © Eileen Eisenhut, Auslandsgesellschaft.de e.V.