Baustellen der EU: Brexit - Folgen die nächsten Austritte?

Baustellen der EU: Brexit – Folgen die nächsten Austritte?

In unserer neuen Reihe „Baustellen der EU“ werden wir in den nächsten Wochen verschiedene kontroverse Themen der Europäischen Union behandeln. Darstellen möchten wir dabei die aktuelle Problemlage sowie die Rolle und das Agieren der EU. Unser erstes Thema ist der Brexit und mögliche weitere Austritte aus der EU.

Großbritannien und die EU haben sich nach harten Verhandlungen auf eine Übergangsfrist bis zum Jahresende 2020 verständigt. Bis dahin soll es einen Vertrag über die zukünftige Zusammenarbeit zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich geben, oder auch nicht, wenn man die letzten Aussagen des britischen Premierministers Boris Johnson vernimmt. Dieser zieht weiterhin die Möglichkeit des harten Brexits in Betracht, auch wenn dies der heimischen Wirtschaft enormen Schaden zufügen würde. Auf der anderen Seite will auch die EU-Delegation nicht zu große Zugeständnisse machen. Der Brexit hat gezeigt, dass ein EU-Austritt ein mögliches Szenario ist, zu diesem die EU nicht noch andere Länder durch gute Bedingungen für Großbritannien ermuntern will. Gezeigt hat der Brexit auch, dass die EU nicht überall nur positiv aufgenommen wird. Kritik am Mitgliedsstatus des jeweiligen Heimatlandes gibt es mittlerweile EU-weit. Werden nun zeitnah andere Staaten folgen und aus der EU austreten wollen? Und was bedeutet die EU skeptische Stimmung für den Integrationsprozess der EU?

Brexit – Aktuelle Entwicklungen

Bis zum Jahresende wollten sich die EU und das Vereinigte Königreich auf einen Deal für die zukünftige Zusammenarbeit einigen, bisher ist man noch nicht zu einer Einigung gekommen. EU-Chefunterhändler für den Brexit Michael Barnier sagte sogar Ende Juli, dass er es für unwahrscheinlich halte das eine Übereinkunft gefunden wird. Seit letzten Dienstag treffen sich die beiden Delegationen für erneute Verhandlungen. Über mehrere Punkte des Vertrages gibt es noch Unstimmigkeiten. Die EU bietet Großbritannien zwar einen Handelsvertrag mit Zollfreier Einfuhr seiner Waren in den EU-Binnenraum an, will dafür aber im Gegenzug die Einhaltung der Umwelt- und Sozialstandards garantiert haben, um Wettbewerbsverzerrung zu verhindern.

Auch beim Thema Fischereiquoten sind sich beide Parteien uneinig. Großbritannien möchte die Quoten für Fischer aus EU-Gebieten flexibel anpassen, die EU das die alten Fischereirechte bestehen bleiben.

Der Brexit als Vorbild für andere Staaten?

Soviel steht fest: Der Brexit hat das Thema EU-Austritt nochmals verstärkt auf die Tagesordnung auch für andere Staaten gesetzt. Mithilfe von Artikel 50 des Vertrages über die Europäische Union können Staaten den Austritt aus der Europäischen Union vollziehen und dann individuell mit der EU Kooperationsverträge schließen, wenn dies denn von beiden Seiten gewünscht ist. Die aktuellen Verhandlungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich haben immerhin gezeigt, wie kompliziert die Verhandlungen sein können. Schließlich hat die EU hohe Vorgaben an ein zukünftiges Handelsabkommen.

Ermöglicht wurde der Brexit durch ein Referendum von 2016, dessen Ergebnis sich die britische Regierung verpflichtet fühlte. Zustande gekommen ist dieses Ergebnis durch einen stetigen Rechtsruck im politischen System und eine innere Spaltung in der damals wie heute regierenden Konservativen Partei. Propagiert wurde von Brexit Befürworter_innen die Rückbesinnung auf die Nation, die eine Besserung der Lebensumstände für diejenigen bringen würde, die von der Europäischen Einigung und den wirtschaftlichen Veränderungen nicht profitieren würden.

Schaut man sich in der Europäischen Union um, so lassen sich zumindest ähnliche Umstände auch in anderen Staaten feststellen. Dennoch ist Großbritannien in gewisser Weise ein Sonderfall, da die Zugehörigkeit zur EU dort schon immer mit einer gewissen Skepsis aufgenommen worden ist.

Welche Gründe werden für einen Austritt genannt?

Im Großen und Ganzen kann man bei der Unzufriedenheit mit der Europäischen Union drei Ländergruppen erkennen.

Die erste Gruppe besteht aus Staaten, die mit großen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen haben, und sich von der EU ungerecht behandelt fühlen. Austeritätsmaßnahmen haben zu einer gewissen Unzufriedenheit in der Bevölkerung geführt. Besonders Staaten in Südeuropa, wie Italien oder Griechenland, sind hier einzuordnen.

Die zweite Gruppe ist die der Netto-Zahler. Hier wird oft gegen das Solidaritätsprinzip gewettert, die Umverteilungsmaßnahmen der EU als Zahlungen für faule und schlecht wirtschaftende Staaten verkauft. Zu hören sind solche Meinungen in Deutschland, aber auch in Finnland oder den Niederlanden.

Die dritte Gruppe besteht aus Staaten in Mittel- und Osteuropa, die zwar seit ihrem Eintritt von den Geldern und Handelsmöglichkeiten profitiert haben, aber nichts von ihrer Souveränität abgeben wollen. Hier sind besonders Polen und Ungarn hinzuzuzählen.

Sind weitere Austritte in den nächsten Jahren wahrscheinlich?

Bei Betrachtung der verschiedenen Gruppen der unzufriedenen Staaten ergeben sich verschiedene Ergebnisse. Die Staaten der ersten Gruppe leiden unter großen wirtschaftlichen Problemen und sind zumindest teilweise auf die Hilfen der Europäischen Union angewiesen. Zudem sind Staaten, wie Italien oder Griechenland, durch ihre Teilnahme an der Währungsunion noch tiefer in die Europäische Gemeinschaft integriert. Ein Austritt in naher Zukunft ist also sehr unwahrscheinlich.

Die zweite Gruppe möchte nicht weiter die Kosten für andere übernehmen. In den betroffenen Staaten werben oft rechte Parteien mit dem Kampf gegen die Nachteile der EU und für die Vorteile einer nationalen Rückbesinnung. Auch Großbritannien wäre vor dem Austritt in diese Gruppe einsortiert worden. Aber auch wenn in Ländern, wie Deutschland oder den Niederlanden, teilweise Unmut über die EU existiert, so überwiegen besonders die wirtschaftlichen Vorteile. Austritte sind zumindest für die nähere Zukunft auszuschließen.

Die dritte Gruppe ist am schwersten zu greifen. Staaten, wie Polen und Ungarn, haben von den Vorteilen der EU seit ihrem Eintritt enorm profitiert. Besonders Polen galt unter Ministerpräsident Donald Tusk als „Musterschüler der EU“. In den letzten Jahren lässt sich jedoch ein Rechtsruck feststellen, der eine Rückbesinnung auf das Nationale favorisiert. Dennoch profitieren auch diese Staaten immer noch zu sehr von den Vorteilen der Mitgliedschaft als dass ein Austritt wirklich wahrscheinlich wäre. Die Zustimmung zu EU-kritischen Aussagen wächst jedoch immer weiter.

Also kein Problem für die EU?

Mitnichten. Die EU-kritischen Tendenzen erschweren den Integrationsprozess innerhalb der EU enorm. Der Brexit sorgt möglicherweise nicht für eine Austrittswelle, aber die Skepsis gegenüber der EU wird durch den Austritt eines der größten Mitgliedsstaaten sicherlich nicht weniger werden. In den wichtigen Bereichen der gemeinsamen Politik der EU, wie etwas Migration oder Klima, müssen dringend einheitliche europäische Einigungen gefunden werden. Besonders Staaten, wie Ungarn oder Polen, stellen sich quer und wollen keine Kompetenzen an die EU abgeben.

Was kann die EU tun?

Für die beschriebenen Probleme gibt es naturgemäß kein sofortiges Allheilmittel, allerdings sollte das auch kein Hindernis sein die Probleme mit geballter Kraft anzugehen. Viele der Unzufriedenheiten entstehen aus einem Gefühl der Ungerechtigkeit, des abgehängt sein, da vermeintlich nur andere von der EU profitieren. Gegen diesen Eindruck muss die EU ankämpfen. Wirtschaftlich schwache müssen Unterstützung erhalten, umso EU kritischen Positionen die Basis zu entziehen. Auch muss die EU für eine innere Demokratisierung stehen: Staaten dürfen nicht das Gefühl haben, dass alle Entscheidungen nur vom Willen der Staatschef_innen der großen Länder abhängig sind.

Mehr zum Thema: In einer genaueren Analyse widmen wir uns den Austrittsgedanken in Polen. Hier geht’s lang!

Text: Till Henke, Auslandsgesellschaft.de e.V.

Quellen und weiterführende Links:

https://www.bpb.de/apuz/310567/droht-der-polexit

https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/brexit/brexit-wichtigste-infos-1712620

https://www.sueddeutsche.de/politik/eu-brexit-gespraeche-die-lange-suche-nach-dem-duennen-kompromiss-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-200818-99-207213

https://www.tagesschau.de/ausland/faq-brexit-was-aendert-sich-101.html

https://www.n-tv.de/politik/Senator-gruendet-Italexit-Partei-article21930159.html

https://www.handelsblatt.com/meinung/kommentare/kommentar-die-niederlande-sind-mit-ihrer-blockadehaltung-zu-weit-gegangen/26019264.html?ticket=ST-10955506-5RiNofAD5nN2Soan56QL-ap2

https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/eu/id_87245254/nach-brexit-treten-daenemark-oder-italien-als-naechstes-aus-der-eu-aus-.html

https://www.nw.de/nachrichten/nachrichten/22844578_Brexit-Gespraeche-Die-lange-Suche-nach-dem-duennen-Kompromiss.html