Baustellen der EU: Kommt der Polexit?

Baustellen der EU: Kommt der Polexit?

In unserer neuen Reihe „Baustellen der EU“ werden wir in den nächsten Wochen verschiedene kontroverse Themen der Europäischen Union behandeln. Darstellen möchten wir dabei die aktuelle Problemlage sowie die Rolle und das Agieren der EU.

Polen galt lange Zeit als „Musterschüler“ der im Zuge der EU-Osterweiterung 2004 eingetretenen Staaten. Die sozial sehr schmerzhafte Politik der 2000er Jahre zeigte unter Ministerpräsident Donald Tusk ihre Erfolge. Das Bruttoinlandsprodukt wurde verdoppelt, die Exporte gesteigert und die Arbeitslosigkeit deutlich verringert. Doch trotz dieser wirtschaftlichen Erfolge seit dem EU-Eintritt steigt die Skepsis gegenüber der Europäischen Union an, sodass sogar schon die Diskussion über einen Polexit aufgekommen ist. Woher kommt diese negative Stimmung, die im Kontrast zu der positiven wirtschaftlichen Entwicklung des Landes steht?

Wirtschaftliche Erfolge und die Entstehung der Unzufriedenheit

Trotz der erfolgreichen wirtschaftlichen Politik Polens mit einer deutlichen Steigerung des Durchschnittsgehalts und einer Verbesserung anderer Bedingungen, wie beispielsweise der Infrastruktur des Landes, konnte dieser Aufschwung nicht alle Bürger_innen des Landes einschließen. Besonders während und im Nachgang der Finanzkrise wurden sozial schwächere vernachlässigt und waren somit nicht Teil des wirtschaftlichen Aufschwung Polens. Auf dieser Spaltung der Gesellschaft aufbauend konnte die PiS-Partei, gegründet von den Kaczynski-Brüdern, erste Wahlerfolge erzielen. Mittlerweile stellt die Partei zum zweiten Mal in Folge den Ministerpräsidenten bzw. die Ministerpräsidentin in Polen.

Die Partei setzt dabei im Wahlkampf auf eine Kombination aus sozialen Versprechungen und einer Rückbesinnung auf das nationale Bewusstsein. Ergänzend hinzu kommt eine Law-and-Order-Politik, was bedeutet, dass die Regierung mit harten Gesetzen eine strenge Politik gegen Kriminalität umsetzt.

Die Stimmung gegenüber der EU in Polen

Umfragen zeigen eine steigende Skepsis gegenüber der Europäischen Union innerhalb der polnischen Bevölkerung. So meint nur etwa ein Drittel der Befragten, dass die Mitgliedschaft in der EU an Bedeutung gewinnt und etwa die Hälfte der Polinnen und Polen wünschen sich schärfere Kontrollen an den Außengrenzen. Besonders Wähler der PiS-Partei äußern sich besonders kritisch gegenüber der EU. Auch Kompetenzabtretungen in den Bereichen Migration und Klimawandel werden innerhalb der Bevölkerung kritisch gesehen.

Die Generation, die die EU als Friedensprojekt begriffen hat, verabschiedet sich langsam, sodass andere Themen an Bedeutung gewinnen. Die PiS-Partei nutzt diese Veränderung und setzt auf eine Ideologie, die dem Liberalismus konträr gegenübersteht. Die eigene Nation wird dabei immer wieder betont, generell wird ein Bild des Wettkampfes zwischen den Nationen gezeichnet. Rechte von Minderheiten werden eingeschränkt und gleichzeitig eine starke Bindung an die katholische Kirche betont.

Veränderung Polens

Seit Regierungsantritt der PiS-Partei versucht diese einen systematischen Umbau des politischen Systems in Polen. Die Umbauten machen auch vor dem Justiz- und Bildungssystem nicht halt. Nach und nach wird die Justiz den Vorstellungen der Regierung angepasst. Diese Entwicklungen haben Polen auch schon mehrere Vertragsverletzungsverfahren der EU eingebracht. Besonders die Gewaltenteilung scheint bedroht zu sein.

Die Macht der Regierung zeigt sich auch in der Verlegung der Präsidentschaftswahl auf einen der Regierung genehmeren Zeitpunkt, obwohl ein Sieg der Opposition auch am ursprünglichen Termin sehr unwahrscheinlich erschien.

Verfahren gegen Polen

Die EU hat bereits 2017 ein Verfahren gegen Polen nach Artikel 7 des Vertrages über die Europäischen Union eingeleitet. Dabei geht es um einen Verstoß gegen die grundlegenden Werte der Europäischen Union. Zusätzlich zu diesem Verfahren hat die EU mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eröffnet. In den Verfahren gegen Polen geht es um die Einmischung der Regierung in die Justiz und damit die Aufhebung der Gewaltenteilung. Kritisiert werden unter anderem Zwangspensionierungen von Richter_innen und ein Gesetz von Februar 2020, dass Richter_innen mit Strafen droht, wenn sie die Entscheidung anderer Richter_innen und Kammern anzweifeln. Polens Regierung reagierte auf diese Verfahren stets mit Unverständnis und verwies darauf, dass dies eine innere Angelegenheit der Nation sei.

Polen vor dem Austritt?

So weit ist es (noch) nicht. Auch wenn die Stimmung innerhalb der Bevölkerung und in der Regierung gegenüber der Europäischen Union schlecht ist und die Regierungspartei einen nationalen Kurs fährt, profitiert Polen dennoch von der EU. Ein Austritt ist daher in näherer Zukunft sehr unwahrscheinlich. Bedenklich ist jedoch die Entwicklung in Polen im Hinblick auf demokratische Grundsätze, wie Gewaltenteilung und Pressefreiheit. Die EU sollte hier gegenüber der polnischen Regierung klar ihre Grundsätze einer freiheitlichen Demokratie vertreten und bei Verstößen gegen die Werte der Europäischen Union mit dem Mittel des Vertragsverletzungsverfahren gegen diese vorgehen.

Text: Till Henke, Auslandsgesellschaft.de e.V.

Quellen und weiterführende Links:

https://www.spiegel.de/politik/ausland/justizreform-polen-wirft-eu-wegen-vertragsverletzungsverfahren-unrechtmaessige-einmischung-vor-a-db612768-c0a9-41b3-8605-20b2dd99fa53

https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-04/eu-kommission-leitet-verfahren-gegen-polen-wegen-justizreform-ein

https://www.tagesspiegel.de/politik/klarer-sieg-der-pis-in-polen-warum-polens-pro-europaeer-falsch-kalkulieren/24386162.html

https://www.bpb.de/apuz/265505/polen-und-europa-neue-eu-skepsis

https://www.deutschlandfunk.de/15-jahre-eu-osterweiterung-die-meisten-polen-sehen-eu-als.694.de.html?dram:article_id=447521

https://www.bpb.de/apuz/310567/droht-der-polexit