Baustellen der EU: Zukunftsszenarien der EU
In unserer Reihe „Baustellen der EU“ behandeln wir verschiedene kontroverse Themen der Europäischen Union . Darstellen möchten wir dabei die aktuelle Problemlage sowie die Rolle und das Agieren der EU.
Die EU steht auf dem Prüfstand. Mit dem Brexit, dem Streit um eine gemeinsame Lösung in der Migrationsproblematik sowie EU-kritische Akteure auf allen Seiten des Spektrums sah die Zukunft der EU schon mal rosiger aus. Dabei sollten aber auch die Errungenschaften der Union nicht vergessen werden. Die Staaten der EU existieren friedlich nebeneinander und auch wirtschaftlich ist die EU meist eine Erfolgsgeschichte. Doch in welche Richtung entwickelt sich die EU weiter? War der Brexit nur der Auftakt zu einer Renationalisierung? Zeigt der anhaltende Streit über das Thema Migration die zu unterschiedlichen Perspektiven? Oder steht eine vertiefte Integration an, um die Probleme zu lösen?
Was sind die aktuellen Probleme?
Die Probleme, die es zwischen den EU-Staaten gibt, sind so unterschiedlich wie die Staaten selbst. Und vielleicht ist auch das das Problem. Staaten, wie Deutschland oder Frankreich, und Griechenland und Polen haben naturgemäß andere Probleme und Ansichten zu sehr vielen Themen, dafür sind die Staaten zu unterschiedlich in ihrer Konstitution, egal ob wirtschaftlich, von der kulturellen Historie oder einfach im Hinblick auf die Landesgröße und Sprache. Diese Differenzen spiegeln sich in den Diskussionen wider und verhindern eine Weiterentwicklung der Europäischen Union. Um diese Gräben zu überwinden, schlagen viele ein weiteres Zusammenwachsen der EU vor. Aber auch die Zustimmung zur EU ist unterschiedlich und in vielen Ländern rückläufig, also doch besser eine Rückabwicklung der EU? Wir stellen euch die verschiedenen Szenarien zur Zukunft der EU vor.
In unserer Reihe „Baustellen der EU“ haben wir außerdem u.a. über die EU-Skepsis in Polen geschrieben. Hier geht es zum Artikel.
Welche Szenarien gibt es?
Schon im Jahr 2017 wurden im Weißbuch zur „Zukunft der Europäischen Union“ verschiedene Szenarien für eine Entwicklung der EU präsentiert. Da seitdem nichts Substantielles an der Europäischen Union verändert wurde, sind diese noch immer aktuell.
Szenario 1: Den Status Quo beibehalten
Wenn man so will, dann ist dies das Szenario, dass nach 2017 verfolgt wurde, denn wie schon gesagt, geändert hat sich nicht viel. Wie der Titel des Szenarios schon verrät, werden in diesem Fall die bestehenden Prozesse fortgesetzt. Die EU kommt zwar zu Einigungen, allerdings sind diese zäh und hart umkämpft. Zufrieden sind, wie das bei einem guten Kompromiss oft der Fall ist, meistens die wenigsten. Mit Blick auf die brennenden Probleme, wie die Frage nach einer gemeinsamen Migrationspolitik, könnte dieses Szenario aber zu wenig sein, um die Baustellen der EU abzuarbeiten.
Szenario 2: Konzentration auf den Binnenmarkt
Beim zweiten Szenario würde ein anderer Weg gewählt werden. Die Europäische Union ist nicht zuletzt eine Wirtschaftsunion und als solche auch durchaus erfolgreich. Ähnlich wie zu Beginn der Europäischen Einigung mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl würde man sich auf die Wirtschaft als Kerngeschäft konzentrieren. In vielen anderen Bereichen würde dadurch aber eine Rückbesinnung auf die Nationalstaaten als entscheidende Instanz vonstattengehen. Dies wäre allerdings ein enormer Rückschritt im Prozess der Einigung und würde Europa als Wertegemeinschaft erschüttern. Im Hinblick auf viele Baustellen wären die Nationen wieder auf sich gestellt, gemeinsame Lösungen zumindest sehr fraglich.
Szenario 3: Jeder wie er will
Im dritten Szenario wird nicht mehr von gemeinsamen Schritten ausgegangen, stattdessen sollen die Staaten, die sich zu einer engeren Zusammenarbeit entschließen, weitere Kompetenzen an die EU abzugeben. Die anderen Staaten können hingegen auf dem aktuellen Status Quo verbleiben. Das Szenario birgt die Gefahr einer zwei Klassengesellschaft in der Europäischen Gemeinschaft zwischen den verschieden integrierten Staaten. Es könnte aber auch eine Vorreiterrolle für manche Staaten entstehen, nach dessen Vorbild die anderen Staaten später nachziehen könnten.
Szenario 4: Die Effizienz wird gesteigert
In diesem Modell würde sich die EU auf manche Kernbereiche konzentrieren. Ähnlich wie in Szenario 2 könnte dies der Bereich der Wirtschaft sein, dazu könnten aber noch andere Politikfelder kommen, bei denen sich Vorteile aus der Zusammenarbeit ergeben. Die EU soll hier zwar weniger Aufgaben haben, diese dann aber effizienter umsetzen. Problematisch wäre aber vermutlich die Einigung auf die gemeinsamen Politikfelder. Generell lässt sich aber auch anzweifeln, ob eine Reduktion der Aufgabengebiete direkt zu einer Effizienzsteigerung führen würde.
Szenario 5: Deutliche Kompetenzerweiterung
Im letzten Szenario würden die Kompetenzen der Europäische Union deutlich erweitert. Eine gemeinsame Verteidigungspolitik mit Europäischer Armee und einer einheitlichen Außenpolitik würden dann vermutlich möglich werden. Auch das Problem einer gemeinsamen Migrationspolitik ließe sich mit mehr Kompetenzen bei der EU einfacher lösen. Szenario 5 kommt dem am nächsten was viele als Vereinigte Staaten von Europa bezeichnen. Einfach wäre diese Kompetenzerweiterung jedoch nicht umzusetzen, da viele Staaten schon beim aktuellen Status Quo keinerlei weitere Macht abgeben wollen.
Welche Szenarien sind wahrscheinlich?
Um die Probleme der EU möglichst sinnvoll zu bearbeiten, erscheint Szenario 5 als am besten geeignet. Allerdings ist dieses Szenario wohl auch am Unwahrscheinlichsten. In der aktuellen Situation ist es schlichtweg nicht vorstellbar, dass Staaten, wie beispielsweise Ungarn oder Polen, weitere Kompetenzen an die EU übertragen werden. Auch eine klare Abgabe von Kompetenzen von der EU zurück an die Mitgliedsstaaten, wie in Szenario 2 und 4, scheint zumindest nicht sehr wahrscheinlich; dagegen spricht der Erfolg der EU in vielen gemeinsamen Prozessen.
Am Wahrscheinlichsten erscheint hingegen Szenario 1 mit der Beibehaltung des aktuellen Status. Zum einen da der Reformwille in der EU nicht sehr hoch ist und zum anderen da sich die Staaten schwer tun werden eine gemeinsame Reform zu beschließen. Von dem Status Quo müssten dann kleinere Schritte zur Lösung der Probleme gegangen werden.
Eine Extraoption bietet hingegen Szenario 3: Dieses Szenario könnte die Lösung sein, wenn bestimmte Staaten sich quer stellen und eine weitere Einigung verhindern.
Text: Till Henke, Auslandsgesellschaft.de e.V.
Quellen und weiterführende Links:
https://orf.at/stories/3111229/