Braucht die Eurozone einen eigenen Finanzminister und ein eigenes Budget? NRW debattiert Europa (08.01.2018)
Am Montag, dem 08.01.2018, fand an der Ruhr-Universität Bochum die Vordebatte zu „NRW debattiert Europa“ statt, in der sechs Student*innen eines Masterseminars der Politikwissenschaft von Dozent Dr. Florian Spohr über die Frage „Braucht die Eurozone einen eigenen Finanzminister und ein eigenes Budget?“ debattierten. Das Europe Direct Dortmund durfte als Jury-Mitglied an der Debatte mitwirken.
NRW debattiert Europa – das ist ein Projekt der Universität Duisburg-Essen und der Landesregierung NRW, in dem Student*innen aus nordrhein-westfälischen Bachelor- und Masterstudiengängen in Form unterschiedlicher Debattierstile über Europa diskutieren. An dem mittlerweile dritten Durchlauf im Jahr 2017/18 nahmen gleich sieben Universitäten teil: Bochum, Duisburg-Essen, Düsseldorf, Münster, Köln, Siegen und Wuppertal. In Vordebatten wurden im Dezember und Januar in den verschiedenen Universitäten die Teams ermittelt, die am 16. Januar 2018 in der Abschlussveranstaltung gegeneinander antreten und um den Wanderpokal „NRW debattiert Europa“ kämpfen sollten.
Die Ruhr-Universität Bochum veranstaltete ihre Vordebatte am 08. Januar 2018 im Wartburg-Stil. Ausgangspunkt dieses Stils ist eine Fragestellung zu einem Sachverhalt. Zwei Teams werden mittels Los der Pro- bzw. Kontra-Position zugeteilt. Ihre Aufgabe ist es, sowohl Jury als auch Publikum vom vertretenen Standpunkt zu überzeugen. Die Teams bestehen aus jeweils drei Redner*innen, welche im Wechsel sprechen. Während der Redezeit dürfen das Publikum und auch das gegnerische Team durch Zwischenrufe und Fragen intervenieren. Wer die Debatte gewinnt, entscheidet eine mehrköpfige Jury. Bewertungskriterien sind dabei nicht nur die verwendeten Argumente, sondern auch Stil und äußere Form der Rede, eine gemeinsame Teamstrategie sowie Würdigung der Gegenseite und Reaktion auf Interventionen. Gegenstand der Vordebatte an der Ruhr-Universität Bochum war Emmanuel Macrons Vorschlag eines europäischen Finanzministers sowie eines eigenen Budgets für den Euro-Raum. Das Europe Direct Dortmund durfte an der Veranstaltung in der Jury Platz nehmen.
Zusätzlich zum Juryentscheid gab es in Bochum noch die Möglichkeit, das Publikum von seinem Standpunkt zu überzeugen und so den Publikumsentscheid zu gewinnen. Hierfür bezog das Publikum zu Anfang wie zu Ende durch Handzeichen Stellung zur Ausgangsfrage. Das Team, das am Ende mehr Personen überzeugen konnte, gewann.
„Die Eurozone braucht einen eigenen Finanzminister und ein eigenes Budget“
Der erste Redner des Pro-Teams, Felix Peters, stellte das Thema des Tages sowie dessen Hintergrund und die Position seines Teams vor. Der Euro ist in 19 von 28 Mitgliedstaaten der EU etabliert, die finanzielle Verwaltung übernehmen derzeit 19 verschiedene Wirtschaftsminister – es handelt sich demnach um eine nationale Angelegenheit. Peters sah hierbei ein Problem: Der Euro ist momentan die zweitstärkste Währung der Welt. Die individuelle Politik der Finanzminister wirke sich jedoch auf die Währung aus und könne demnach auch Probleme verursachen, die den Euro schwächen würden. Der Vorsitzende der Euro-Gruppe, Mário Centeno, versuche zwar, die europäische Finanzpolitik zu koordinieren, jedoch fehle ihm für wichtige Entscheidungen das Mandat. Dieser Dualismus werde dem Anspruch der Bürger*innen auf Transparenz nicht mehr gerecht. Die EU spiele mittlerweile auch für den bzw. die Einzelne*n eine zunehmend wichtigere Rolle, das Interesse der EU sei nun über das der Staaten hinausgewachsen. Eine weitestgehend nationale Finanzpolitik der einzelnen Mitgliedstaaten im Euro-Raum sei in der heutigen Zeit demnach nicht mehr hinreichend.
Philipp Berghoff sprach die Lage nach der Euro-Krise an. Nach Jahren der Krise sei es an der Zeit, dass sich die Euro-Länder vernetzten, um eine vertiefte Zusammenarbeit der EU zu gewährleisten und ggf. eine Schutzstrategie vor einer weiteren Krise zu entwickeln. Neben einer gemeinsamen Währung brauche man auch wirtschaftlichen Wachstum und eine Verbesserung des Arbeitsmarktes. Hier könnten ärmere Länder zeigen, dass es sich bei Europa keineswegs um eine Diktatur der Eliten handle. Ein gemeinsamer Finanzminister würde für Europa zwei Aufgaben vereinen: Er koordiniere nicht nur die europäische Finanzpolitik, sondern er übernehme auch das Amt eines weiteren Kommissars. Somit könne den ärmeren Mitgliedstaaten besser geholfen werden und die EU hätte eine Institution, die in der Lage sei, Ungleichgewichte auszugleichen.
Bianca Lwowski bezog die Position Deutschlands mit in ihre Argumentation ein. Auch Merkel habe die Aussage getroffen, dass sie sich einen Finanzminister vorstellen könne; somit spräche sich auch die deutsche Regierung klar für die Etablierung dieses Amtes aus. Ein Mehr an nationalen Ausgaben für dieses Amt käme dabei nicht zwingend zustande, da die Mittel, die durch den EU-Haushalt bereitgestellt werden, lediglich an ein neues Amt übergeben würden. Die Tendenz für eine Befürwortung des Euros innerhalb der Eurozone sei als klar steigend zu bezeichnen: Während im Jahr 2004 48 Prozent der befragten EU-Bürger*innen den Euro befürworteten, waren es 2016 bereits 82 Prozent. Der EU würden seit einigen Jahren bereits immer mehr Kompetenzen überschrieben, um den Zusammenhalt der Mitgliedstaaten zu bewahren und zu fördern – dies müsse auch auf der finanziellen Ebene geschehen. Hohe EU-Beamte hätten in der letzten Zeit bereits ihre eigentlichen Kompetenzen überschreiten müssen, um die anfallenden Aufgaben zu bewältigen und den Ansprüchen der europäischen Gemeinschaft gerecht zu werden. Des Weiteren müsse ein gemeinsamer Finanzminister keineswegs eine Abgabe der nationalen Autonomie bedeuten: Die EU-Staaten könnten schließlich weiterhin das Budget festlegen. Auf die vom gegnerischen Team gestellte Privilegfrage, wie verhindert werden könne, dass durch das gemeinsame Finanzkonzept eine Diktatur entstehe, antwortete Lwowski, dass die Regeln vorher gemeinsam mit den Ländern abgestimmt werden müssten und eine Kontrollinstanz eingeführt werden solle. Immerhin gebe es bereits einen europäischen Währungs- und Wirtschaftskommissar – diese Position solle durch den Finanzminister ersetzt werden, um die Kommission zu entlasten.
„Die Eurozone braucht weder einen eigenen Finanzminister noch ein eigenes Budget“
„Was ist, wenn der europäische Finanzminister einen Fehler macht?“, fragte Lena Borsch. Bereits jetzt seien die Bürger*innen von einem technokratischen Europa enttäuscht. Zudem stelle sich die Frage, ob in diesem Falle Deutschland wieder einen hohen Teil der anfallenden Kosten übernehmen müsste. Den Vorschlag zu einer Reformierung des europäischen Finanzsystems machte ursprünglich der französische Präsident Emmanuel Macron. Die Franzosen seien momentan als national inkompetent zu bezeichnen, hätten aber Pläne, das System auf EU-Ebene zu reformieren, kommentierte Borsch. Durch die Einführung eines Finanzministers und eines gemeinsamen Budgets käme es unweigerlich zu einer Belastung der Steuerzahler*innen, was die momentan aufkeimende Ablehnung gegen ein gemeinsames Europa zusätzlich verstärke.
Johann Funk bemerkte, dass die Pläne Macrons nicht mit den aktuellen Gesetzen in der EU vereinbar seien. Momentan übernähmen weder die EU selbst noch einzelne Mitgliedstaaten Haftung für Verluste anderer Länder. Dies werde zum Problem, wenn man in der EU über ein gemeinsames Budget verfüge. Laut der Friedrich-Ebert-Stiftung sei die Befürwortung des Euros seit 2015 gewachsen, dies zeige jedoch auch, wie instabil die Situation und die Zufriedenheit in der EU sei. Bei einem gemeinsamen länderübergreifenden Budget sei es naheliegend, dass es zu einer Vergemeinschaftung von Schulden komme. Dies wiederum führe dann dazu, dass populistische Parteien an Zulauf gewännen. Somit bestünde durch das gemeinsame Finanzkonzept die Gefahr, dass das Friedensprojekt des 21. Jahrhunderts bröckle.
Hamdi Schaker plädierte dafür, bei der europäischen Finanzpolitik in langsameren Schritten vorzugehen. Er schloss den Einsatz eines gemeinsamen Finanzministers und eines gemeinsamen Budgets nicht aus, jedoch müsse vorab erst an anderen Stellen in der Finanzpolitik angesetzt werden. Somit sei das Amt des Finanzministers der zweite Schritt, den man aber nicht vor dem ersten Schritt, nämlich der Verbesserung der Finanz- und Fiskalpolitik im Allgemeinen, machen solle. Viele EU-Länder kämpften momentan noch mit der Verschuldung durch Sozialleistungen. Dies biete einen Nährboden für populistische Parteien und anti-europäische Gedanken, weshalb u.a. an diesem Punkt zuerst angesetzt werden müsse. Sofern die Verhältnisse der verschiedenen Euro-Länder nicht annähernd aneinander angeglichen würden, fungiere die EU lediglich als Transferunion, nicht aber als tatsächliche Finanzgemeinschaft. Momentan sei schlichtweg noch nicht der richtige Zeitpunkt, um über den Einsatz eines gemeinsamen Finanzministers zu verhandeln, bemerkte Schaker. In der Privilegfrage wollte das Pro-Team wissen, welche konkreten Vorschläge er für die vorherigen Schritte habe. Schaker empfahl daraufhin, sowohl bei der Fiskal- und Währungs- als auch bei der Sozialpolitik auf nationaler Ebene anzusetzen, bevor man über Reformen auf internationaler Ebene spreche.
Wie ging die Debatte aus?
Nach Ende der Debatte wurde das Publikum gebeten, sich mit einem Handzeichen für oder gegen einen Finanzminister und ein gemeinsames Budget zu positionieren oder sich zu enthalten. Vor Beginn der Debatte vertraten 16 Personen die Pro-Position, sechs die Kontra-Position und 20 Zuschauer*innen enthielten sich. Am Ende hoben 18 Personen für „Pro“ die Hand, 16 für „Kontra“ und 11 enthielten sich. Das Kontra-Team konnte offensichtlich einen größeren Teil des Publikums von seinem Standpunkt überzeugen und gewann somit den Publikumsentscheid.
Interessanterweise kam die Jury zu einem anderen, aber knappen Ergebnis: Die Endwertung vergab an das Kontra-Team 159 Punkte, das Pro-Team erhielt 169 Punkte. Aufgrund ihrer besonders guten Jury-Bewertung wurde Bianca Lwowski zur besten Rednerin gekürt.
Die Abschlussveranstaltung 2017/2018 fand am Dienstag, den 16.01.2018, von 12:00 bis 19:00 Uhr an der Universität Duisburg-Essen statt. Wer aus dieser als Gewinner hervorging, können Sie bald auf unserer Website nachlesen.
Weitere Informationen des Lehrstuhls für Vergleichende Politikwissenschaft finden Sie hier
Text: Isabel Bezzaoui
Fotos: © Ruhr-Universität Bochum