18_11_21 Ungewisser Brexit

Ungewisser Brexit: Wohin steuern Großbritannien und die EU? (21.11.2018)

Wie verläuft ein Austritt aus der EU? Welche Austrittsszenarien sind im Fall Brexit denkbar? Welche (wirtschaftlichen) Konsequenzen sind für die EU und Großbritannien voraussichtlich zu erwarten? Dies waren die Leitfragen, die Dr. Andreas Marchetti am 21. November 2018 in einem spannenden Vortrag mit anschließender Diskussion zur Debatte gestellt hat.

 Wie verläuft ein EU-Austritt überhaupt?

Nach Artikel 50 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) steht es jedem Mitgliedsstaat der EU frei, aus der Gemeinschaft auszutreten. Falls sich ein Staat hierzu entscheidet, verläuft dies innerhalb eines getakteten Schemas:
Zu Beginn muss der auszutretende Staat seine Austrittserklärung an den Europäischen Rat übermitteln. Dies geschah im Falle Großbritanniens am 29. März 2017. Im Anschluss haben die EU und das jeweilige Land zwei Jahre Zeit, um zu verhandeln, wie sich der Austritt gestalten soll.
Der Europäische Rat legt infolge der Austrittserklärung grobe Leitlinien (April 2017 im Fall Großbritannien) sowie detaillierte Richtlinien (Mai 2017) für die Verhandlungen fest und schickt diese an die Europäische Kommission, welche daraufhin einen Verhandlungsführer ernennt.
Auf dieser Basis kann in die Verhandlungen gestartet werden. Seit Juni 2017 treffen sich die Europäische Kommission und der Austritts-Staat Großbritannien monatlich. Nach einigen Hürden – u.a. die Grenzen zu Irland, die Rechte von UK- und EU-Bürger_innen sowie die finanziellen Verpflichtungen, die Großbritannien bis Ende 2020 eingegangen war – konnte man sich am 14. November 2018 auf ein Austrittsvorgehen, einem sog. Withdrawal Agreement, einigen. Dieses musste vom Europäischen Parlament mit einer einfachen Mehrheit und dem Europäischen Rat mit einer qualifizierten Mehrheit abgesegnet werden – was am Wochenende des 24./25. November 2018 geschehen ist. Nun steht nur noch die Abstimmung des Britischen Parlaments an, die für Dezember 2018 angesetzt ist.
Stimmt es zu, tritt das vereinbarte Abkommen am 29. März 2019 in Kraft, lehnt es ab, wird Großbritannien zum Drittstaat und kappt somit jegliche Verbindungen zur EU. Die letztere Variante würde ebenfalls eintreten, wenn die EU und der Austritts-Staat nach zwei Jahren Verhandlungen zu keiner Übereinstimmung kämen. Um solch einen Austritt zu vermeiden, gibt es jedoch die Möglichkeit, die Übergangsfrist zu verlängern. Dies könnte durch einen einstimmigen Beschluss des Europäischen Rats in die Wege gesetzt werden.

Ausgangspunkt des Brexit

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass Großbritannien kein unbeschriebenes Blatt bezüglich Referenden zum Austritt oder Verbleib in der EU ist. Bereits 1975 gab es dort ein solches Referendum. Im Gegensatz zu demjenigen von 2016 verlief dieses jedoch zu Gunsten der Europäischen Gemeinschaft. Die Frage um Schottland war 1975 schon präsent und ist es heutzutage umso mehr. Es ist damit zu rechnen, dass nach dem Brexit die Debatte um ein Schottisches Unabhängigkeits-Referendum wieder auf dem Tisch liegen wird.

„Großbritannien hatte nicht die Kapazitäten, den Brexit auszuhandeln.“

Seit Juni 2017 trafen sich Großbritannien und Michel Barnier, Beauftragter der EU-Kommission, zu monatlichen Verhandlungsrunden. Doch bereits hier trat der erste Knackpunkt des Brexit auf: Wer vertritt die britische Regierung? Für die Verhandlungen musste erst ein eigens für den Brexit zuständiges Ministerium eingerichtet werden. Das „Brexit-Ministerium“ besticht seitdem durch seine laufend wechselnde Besetzung, welche sich von David Davis, über Dominic Raab bis hin zu Stephen Barclay sukzessiv weg von einem harten Brexit bewegte.

Mögliche Szenarien

Es existieren verschiedene Szenarien, wie der Austritt Großbritanniens aussehen könnte:
Zum einen gibt es das sog. „Norwegen-Modell“, d.h. einem Status im Rahmen der Europäischen Wirtschaftgemeinschaft (EWR). Dies würde bedeuten, dass Großbritannien im engen Kontakt mit der EU bliebe und Erleichterungen im freien Waren-, Handels- und Dienstleistungsverkehr sowie der Personenfreizügigkeit erhalten würde.
In einem Szenario nach der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA), auch genannt „Schweiz“, würde es unterschiedliche bilaterale Abkommen geben, so dass Großbritannien das Europäische Recht adoptiert, jedoch aber nach Zeitpunkt X keine weiteren Gesetze übernimmt.
Ein weiteres Szenario stellt das Modell der Zollunion Türkei dar. Dies würde einen freien Warenverkehr in der EU bedeuten, ohne jedoch die bereits bestehenden Freihandelsstrukturen.
Im Szenario Freihandelszone hingegen würde auf die britischen Güter der EU ein Standardaußenzoll erhoben werden. Konkret hieße dies, dass die Güter um 10-12% auf dem EU-Markt versteuert würden.
In dem letzten und härtesten Szenario, dem sog. „WTO“, ist von einem ungeregelten Austritt die Rede, in dem Großbritannien als Drittstaat gesehen würde.
Abgesehen von diesen Szenarien ist auch die Rede von einem „Bremain“ (Exit from Brexit) und dem „Brino“ (Brexit in name only). Im Falle eines Bremain würde es ein neues Referendum zur Mitgliedschaft in der EU geben, wobei der Brino einen formalen Austritt ohne substantielle Änderung des Status Quo beinhaltet.

„Die britische Regierung weiß: Wir kommen hier wirtschaftlich nicht gut raus.“

In Folge der vorgestellten Szenarien zeigte Dr. Marchetti statistisch auf, dass es kein positives ökonomisches Szenario gebe. Voraussichtlich würde das britische BIP in allen Modellen fallen. In dem Modell „Norwegen“, welches die meisten Schnittpunkte mit der EU vorweise, um ganze 1,6%. Im Falle eines harten Brexit, dem sog. „WTO-Modell“, um ganze 7,7%. Die realen wirtschaftlichen Konsequenzen zeigen, dass es jetzt schon wirtschaftliche Einbußen gibt, welche aus den langfristigen, wirtschaftlich getroffenen Entscheidungen resultieren.

Konkrete Folgen für die EU

Anders als für Großbritannien wird der wirtschaftliche Effekt für die EU weniger negativ ausfallen und liegt schätzungsweise bei einem Fall von nicht mehr als 1% des BIP. Abgesehen davon wird der Brexit für die EU jedoch Folgen im Bereich der Sicherheitspolitik haben und hier konkret die zu treffenden Maßnahmen zur Neugestaltung und Abwendung von möglichem Gefahrenpotenzial. Dem gegenüber stehen die Überlegungen eines Integrationsschubs nach Wegfall der „Bremse Großbritannien“ zur Überwindung von Schwächung sowie einer weiteren Differenzierung der Europäischen Integration.

Das Withadrawal Agreement vom 14. November

Im ausgehandelten Abkommen zwischen EU und Großbritannien konnten die vier größten Problempunkte in den Verhandlungen ansatzweise gelöst werden:
So hat man die finanziellen Verpflichtungen, die Großbritannien als EU-Mitglied bis zum Ende des aktuellen Mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) im Jahr 2020 eingegangen ist, auf 50 Mrd. Euro festgelegt.
Hinsichtlich der Grenze zu Irland wurde beschlossen, dass es keine „physical infrastructure“ an der Grenze geben soll – was jedoch nicht heißt, dass dort niemand kontrolliert würde, wie Dr. Marchetti betonte.
Zudem solle es Übergangsregelungen infolge des 29. März 2019 geben, die bis Ende 2019 laufen sollen.
Auch sollen die Rechte sowohl von EU- als auch UK-Bürger_innen gesichert werden.

Text: Eileen Eisenhut, Auslandsgesellschaft.de e.V.
Fotos: © Milica Kostic, Auslandsgesellschaft.de e.V.