2020_03_31 Brexit

Brexit – und jetzt?!

Seit dem 31. Januar 2020 ist es offiziell: Großbritannien gehört nicht mehr zur EU. Der „Brexit“ kursiert seitdem ununterbrochen in der internationalen Berichterstattung sowie auf den nationalen und europäischen Politikbühnen. Doch bis jetzt scheint niemand zu wissen, was genau dieser Begriff beinhaltet – und zugleich findet man Falschmeldungen und Fehlinformationen in den sozialen Medien. Wie wird sich also nun die Zukunft der Beziehung zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich gestalten? Und wie betrifft das uns als Bürger_innen, sowohl in der EU als auch auf der Insel? Hier finden Sie eine Zusammenfassung des Brexit-Geschehens, eine Aussicht auf dessen europäische Bedeutung sowie vor allem Antwort auf die Frage, was der Brexit eigentlich konkret zur Folge hat.

An sich beschreibt das Wort „Brexit“ den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union – so viel scheint klar zu sein. Aber was genau damit verbunden ist, bleibt für viele ungewiss – heute so wie vor dem Brexit-Referendum. Hilfreich ist es aber erstmal zu verstehen, wie es überhaupt dazu kam.

Beschlossen wurde der Brexit durch ein Referendum in Großbritannien über den Verbleib in der EU im Juni 2016. Dieses spaltete das Land in sogenannte „Remainers“ (diejenigen, die in der EU bleiben wollten) und „Leavers“ (diejenigen Brit_innen, welche einen Austritt bevorzugten). Obwohl letztere die Abstimmung gewannen, war auch einige Zeit danach noch ungewiss, ob eine Abspaltung Großbritanniens stattfinden würde: Viele Menschen verkündeten ihren Zusammenhalt mit Europa. Trotzdem beteuerte die britische Regierung, das Referendum von 2016 müsse gewürdigt werden, und informierte die Europäische Union am 29. März 2017 formell über ihre Austrittsabsicht. Der ursprüngliche Austrittstermin wurde auf den 29.03.2019 festgelegt.

Da sich allerdings die anschließenden Verhandlungen zwischen EU und Großbritannien als schwieriger erwiesen als geplant, wurde der Zeitpunkt noch mehrere Male verschoben. Diese Phase kostete zwei ehemaligen Premierminister_innen, David Cameron und Theresa May, das Amt. Es bestand nun die Gefahr eines „No Deal“-Brexits. Das heißt, ein Austritt aus der EU ohne Verträge und Regelungen. Am 31. Januar dieses Jahres verließ das Vereinigte Königreich unter Premier Boris Johnson schlussendlich die EU mit der Brexit-Austrittsvereinbarung, die am 1. Februar in Kraft trat.

Eine „dynamische Anpassung“

Offiziell ist der Austritt aus der EU damit vollendet. Großbritannien gilt nun als Drittland und hat keinen Einfluss mehr auf die EU-Gesetzgebung. Da aber eine „dynamische Anpassung“ an die neue Situation stattfinden soll, wurde mit dem Austrittsdatum eine „Übergangsphase“ eingeläutet, welche das gesamte Jahr 2020 einschließt. Das heißt: Trotzdem gilt das bestehende EU-Recht im Jahre 2020 erst einmal noch für das Königreich. In dieser Zeit bleibt es auch Teil des Binnenmarktes und der Zollunion.

Nun geht es darum, die Brexit-Austrittsvereinbarung in politische Realität umzusetzen.

Die Übergangsphase dreht sich allen voran um die Zukunftsfrage. Großbritannien muss sich überlegen, wie sich seine weltpolitische Stellung durch den Brexit entwickelt. Gleichzeitig verändert sich die EU in ihrer institutionellen Zusammensetzung durch den Verlust eines Mitgliedsstaates: So schrumpfen beispielsweise die Mitgliederzahlen der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments. Wegen dieser Auswirkung in und außerhalb der EU werden in der Übergangsphase sogenannte „Negotiation Rounds“ (Verhandlungsrunden) zwischen EU- und Brexit-Unterhändler_innen stattfinden, die die zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Inselstaat festlegen sollen. Angesichts der Tatsache, dass bereits die Austrittsverhandlungen Schwierigkeiten und unterschiedliche Positionen hervorbrachten, ist unklar, wie schnell sich ein Abkommen zur gegenseitigen Zufriedenstellung beschließen lässt.

Insbesondere beleuchtet werden sollen in den Verhandlungen die zukünftige

  • Wirtschaftspartnerschaft
  • Partnerschaft für Auswärtige Angelegenheiten und
  • Partnerschaft für sektorspezifische Angelegenheiten.

Koordiniert werden die Verhandlungen über finanzielle, operationale und rechtliche Angelegenheiten auf EU-Seite von der „Task Force for Relations with the United Kingdom“ (UKTF) der Europäischen Kommission. Geleitet wird die Task Force von Michel Barnier. Hierbei möchte die Europäische Kommission der Öffentlichkeit vollständige Transparenz gewährleisten, weshalb über die Ergebnisse der Verhandlungsrunden regelmäßig der Presse Bericht erstattet wird.

Was bedeutet das im Detail?

Wie verhält es sich nun mit den einzelnen Themen, bei denen im Brexit-Verlauf noch Gesprächsbedarf bestehen wird?

Schon im Vorfeld stellte die Europäische Kommission klar, dass die EU eine „so enge Partnerschaft wie möglich“ anstrebe. Dies würde sowohl die europäische Wirtschaft einschließen, als auch beispielsweise das Schengen-Abkommen. Obwohl bereits jetzt in Aussicht steht, dass sich der freie Personenverkehr von und zu Großbritannien ab 2021 anders gestalten wird als bisher, ist noch unklar, in welchem Ausmaß Reisende davon betroffen sein werden. Sicher ist, dass Großbritannien dem Schengen-Raum an und für sich nicht mehr angehört. Zölle und Grenzkontrollen wird es deswegen als Beschränkung der Mobilität geben – aber in beide Richtungen! Dies erschwert es auch Brit_innen, in die EU zu gelangen. Davon betroffen ist außerdem der Warentransport über Häfen.

Dass Großbritannien in dem Punkt näher auf die EU zukommen wird, ist sehr unwahrscheinlich. Schließlich war es nicht zuletzt die Zuwanderung nach Europa in 2015, welche von den „Leavers“ als politisches Instrument benutzt wurde, um die Brit_innen zum EU-Austritt zu bewegen.

Zu einem konkreten Problem könnte diese neue Situation allerdings für EU-Bürger_innen werden, die in Großbritannien arbeiten, und andersherum. Ob eine Sonderregelung für derartige Fälle geschaffen wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abzusehen. Dies beschäftigte in der Zeit unmittelbar nach dem Brexit-Votum vor allem die Brit_innen. Aus Nervosität vor einem „harten“ Brexit und der langanhaltenden Unsicherheit um den EU-Austritt Großbritanniens ließen sich in den letzten Jahren deshalb immer mehr Brit_innen in einem weiteren EU-Staat einbürgern. Laut dem Statistischen Bundesamt nahm die Zahl der Einbürgerungen von Brit_innen in der Bundesrepublik 2016 plötzlich zu, von 622 im Vorjahr auf 2.865 Einbürgerungen im Jahr der Brexit-Abstimmung. Ein Jahr später gab es sogar einen noch stärkeren Anstieg auf 7.493.

Die Zukunft der in Großbritannien lebenden EU-Bürger_innen ist vorerst geklärt. Alle, die bis zum Brexit in das Vereinigte Königreich gezogen sind, haben bis zum 30. Juni 2021 Zeit, um das dauerhafte Bleiberecht zu beantragen und dürfen auch weiterhin dort arbeiten. Die Bürger_innen, die schon über fünf Jahre in Großbritannien leben, erhalten sofort nach dem Antrag das dauerhafte Bleiberecht und alle anderen, wenn sie die Fünf-Jahres-Schwelle erreichen.

Bis jetzt beschäftigte man sich in den Verhandlungen vorrangig mit wirtschaftlichen Angelegenheiten, die den grundlegenden Streitpunkt in der Beziehung zwischen der EU und Großbritannien ausmachen. Befürchtungen vor einer Veränderung oder Einschränkung der Beziehungen haben sich in der Wirtschaft schon spürbar gemacht: In der Finanzbranche haben laut einer Studie von New Financial etwa 270 Firmen Teile ihres Geschäfts in andere EU-Staaten verlagert oder planen dies. Von den Umzügen sind bisher etwa 4.900 Arbeitsplätze betroffen.

Im Kern sieht die Rahmenerklärung für die zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich eine Wirtschaftspartnerschaft und eine Sicherheitspartnerschaft vor. Im wirtschaftlichen Bereich soll ein umfassendes Freihandelsabkommen abgeschlossen werden. Wegen der geografischen Nähe und der engen historischen wirtschaftlichen Verflechtung zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich sollen robuste und umfangreiche Vereinbarungen getroffen werden, um faire Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten (“level-playing field”). Obwohl der europäische Binnenmarkt dem Vereinigten Königreich ursprünglich einen Anreiz bot, der Union beizutreten, setzt es momentan auf wirtschaftliche Alleingänge. Allem voran möchte Großbritannien die Möglichkeit haben, Handelsverträge mit Drittländern zu schließen, was vor dem Brexit nur in Abstimmung mit beziehungsweise durch die EU möglich war. In der Sicherheitspartnerschaft ist das Ziel eine umfassende und wechselseitige Kooperation im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit. Die genaue Ausgestaltung dieser Partnerschaft wird erst in den jetzigen Monaten verhandelt.

Einen weiteren Punk stellt der EU-Haushalt dar. Großbritannien war bis dato der zweitgrößte Nettozahler und machte rund sechs Prozent des EU-Budgets aus. Das Fehlen dieses Geldes wird die EU in Form von Ausgabenkürzungen oder aber durch eine Einnahmenerhöhung spüren, die sich auf die übrigen Mitgliedsstaaten verteilt – auch Deutschland könnte demnach mehr einzahlen müssen.

Nationalismus oder europäischer Zusammenhalt?

Wenn also der Brexit augenscheinlich mehr Verkomplizierungen als Vereinfachungen mit sich bringt, stellt sich die Frage: Was hat die Brit_innen dazu bewogen, für den Austritt zu stimmen?

Eine Theorie besagt, Großbritannien nehme seit jeher eine sogenannte „Sonderrolle“ in der EU ein. Das Vereinigte Königreich trat in den 1990er Jahren nicht der Währungsunion beziehungsweise der „Eurozone“ bei, aber der Aufbau eines europäischen Binnenmarktes kam der britischen Wirtschaft und dem Handel zugute. 2015 jedoch ärgerten sich viele Brit_innen über die Beitragszahlungen.

Außerdem fand das Brexit-Referendum nur ein Jahr nach der verstärkten Zuwanderung nach Europa in 2015 statt. Aus diesem Grund ist anzunehmen, dass auch rassistisches Gedankengut beziehungsweise von EU-Gegner_innen instrumentalisierte Angst die Brit_innen zu einem Austritt bewegt hat. Zum Zeitpunkt des eigentlichen Brexits hat sich diese Haltung allerdings schon wieder verändert, vor allem da das Thema Flucht aktuell nicht mehr im Vordergrund der Berichterstattung steht. Migration war laut einer Studie von Ipsos MORI 2015 für 56 Prozent der befragten Brit_innen das vorherrschende Thema, 2019 sagten dies nur noch 19 Prozent.

In welchem Ausmaß sich der Brexit auf das Leben und Arbeiten in und außerhalb der EU auswirken wird, steht also noch offen und wird in den nächsten Monaten entschieden werden. Es ist allerdings jetzt schon sicher, dass sowohl in der EU als auch in Großbritannien diesbezüglich Veränderungen stattfinden werden. Ebenfalls wird festzustellen sein, welche Änderungen der Brexit in der Denkweise der Menschen und der europäischen Gesellschaft mit sich bringt. Ob er mit dem EU-Grundwert des Postnationalismus vereinbar ist oder eine „Rückentwicklung“ zum Nationalismus darstellt, wird sich in den kommenden Verhandlungen der Unterhändler_innen sowie dem Verhalten der britischen und europäischen Öffentlichkeit zeigen.

Text von: Julia Warias, Auslandsgesellschaft.de e.V.
Bild: Capri23auto, Pixabay.com

Quellen: