„Die britische Parlamentswahl – Rückblick und Ausblick“ (22.01.2020)
Am 31. Januar 2020 um 23 Uhr war es tatsächlich passiert: Knapp dreieinhalb Jahre nach dem Brexit-Referendum und zehn Monate nach dem ursprünglich geplanten Termin hat Großbritannien die Europäische Union verlassen. Der Brexit stand auch im Zentrum der britischen Parlamentswahlen, die im Dezember stattgefunden hat. In einer gemeinsam mit der Europa-Union Kreisverband Dortmund e.V. und der Deutsch-Britischen Gesellschaft organisierten Veranstaltung am 22. Januar 2020 berichtete uns der in Dortmund lebende Brite Geoff Tranter darüber, was in der Zwischenzeit alles passiert ist. Dabei erhielten wir genaue Einblicke in die britische Gesellschaft, Medienlandschaft und das Wahlsystem.
Am 12. Dezember 2019 wurde das britische Parlament neu gewählt: Die konservative Partei unter Führung von Boris Johnson konnte dabei eine absolute Mehrheit der Sitze erzielen. Warum gewannen gerade die Tories, wie die Konservativen auch genannt werden? Für Tranter liegt der Grund dafür vor allem in der einfachen Botschaft, die gerade Johnson im Wahlkampf immer wieder vermittelte: „Get Brexit done“, also „den Brexit durchbringen“. „Dieser einfache Spruch hat ihn deutlich weitergebracht als komplizierte Politik“, so Tranter. Viele Brit_innen, auch manche, die ursprünglich gegen einen EU-Austritt waren, hatten genug vom Brexit-Thema und wollten diesen deshalb einfach nur noch über die Bühne bringen.
Die anderen Parteien traten zum Teil mit deutlich komplizierteren und kontroverseren Forderungen zum Brexit an.
Die Labour-Partei, die größte Oppositionspartei im neuen Parlament, forderte, das Brexit-Abkommen solle neu ausgehandelt werden. Das hätte eine langwierige Prozedur bedeutet, auf die viele Brit_innen einfach keine Lust mehr hatten. Der Labour-Partei war diese schwierige Position bewusst, sodass sie in ihrem Wahlkampf den Fokus weniger auf den Brexit legte, sondern sich stattdessen auf die Gesundheitspolitik konzentrierte.
Mit einem sehr radikalen Programm traten die Liberalen an. Sie forderten: „Stop Brexit“ und wollten den Brexit verhindern, ohne ein zweites Referendum, was von vielen Bürger*innen als undemokratisch empfunden wurde.
Doch nicht nur die zu kontroversen oder komplizierten Brexit-Positionen der anderen Parteien trugen zum Sieg der Tories bei. Auch die verfehlte Strategie der Labour-Partei half ihnen. Laut Tranter beging Labour unter der Führung von Jeremy Corbyn den Fehler, sich auf die falschen Wahlbezirke zu konzentrieren. Man ging davon aus, die Stimmen in den traditionellen Labour-Bezirken, der sogenannten „Roten Mauer“ der alten Industrieregionen Englands, sicher zu erhalten. Bei der Wahl zeigte sich jedoch, dass diese zusammengebrochen war und viele Wähler_innen in diesen Bezirken zu den Tories abgewandert waren.
„First past the post“ – Wie wirkt sich das britische Wahlsystem auf die Ergebnisse aus?
Das Wahlsystem in Großbritannien weist zum deutschen System deutliche Unterschiede auf: Dort gibt es keine Erst- und Zweitstimmen, die vergeben werden, sondern nur Direktmandate, anhand derer die Abgeordneten ins Parlament gewählt werden. Aus jedem Wahlkreis erhalten also nur diejenigen Kandidat_innen ein Mandat, die die meisten Stimmen erhalten haben. In manchen Bezirken reicht hierfür schon etwa ein Drittel der Stimmen aus. Dieses System wird auch als „first past the post“-System bezeichnet und sorgt letztlich dafür, dass die Sitzverteilung im Parlament nur ein verzerrtes Bild der tatsächlich abgegeben Stimmen widerspiegelt. So haben die Konservativen zwar die absolute Mehrheit der Sitze, faktisch jedoch nur 43,6% aller Stimmen erhalten. Die beiden großen Parteien, die Tories und Labour profitieren von diesem System, für kleinere Parteien ist es dadurch jedoch sehr schwer, Mandate zu erhalten. Aufgrund des Prinzips der Direktmandate verlor sogar die Chefin der Liberalen, Jo Swinson, ihren Sitz und musste als Parteivorsitzende zurücktreten.
Zum Vergleich: Würde in Großbritannien nach deutschem System gewählt, hätten die Tories knapp 80 Sitze weniger, die Liberalen hingegen hätten statt aktuell 11 jedoch 70 Sitze. In Deutschland hingegen würden nach britischem System laut Tranter sehr wahrscheinlich keine Abgeordneten der AfD im Bundestag sitzen, aber vermutlich hätten es auch die Grünen nie dorthin geschafft.
Wie geht es nach der Wahl und nach dem Brexit in Großbritannien weiter?
Auffällig war, so Tranter: Nach dem Wahlsieg der Tories sprachen diese plötzlich überhaupt nicht mehr vom Brexit. Selbst ihr Leitspruch wurde geändert und lautete nun „The People’s Government“, also „Die Regierung des Volkes“. Damit sollte der Eindruck erweckt werden, der Brexit sei schon direkt nach der Wahl beschlossene Sache gewesen. Tatsächlich wurde das Austrittsabkommen jedoch erst am 24. Januar 2020 unterzeichnet. Nun ist das Land tatsächlich aus der EU ausgetreten, aktuell befindet es sich jedoch noch in einer Übergangszeit, in der alte EU-Regelungen nach wie vor Bestand haben. Viele Fragen sind noch ungeklärt, zum Beispiel in Bezug auf die Fischereiquoten oder Arbeitnehmerrechte, die eigentlich aus dem EU-Recht stammen. Unklar ist zum Teil auch der zukünftige rechtliche Status von EU-Bürger_innen in Großbritannien und britischen Bürger_innen in der EU.
Und was passiert in Großbritannien politisch, wenn der Brexit nicht mehr das bestimmende Thema der Politik ist? Tranter gab uns einen kleinen Ausblick in geplante Projekte der konservativen Regierung: Unter anderem sei eine Reform der Wahlbezirke im Gespräch, die den Tories möglicherweise weitere Vorteile bei zukünftigen Wahlen bescheren könne. Zudem werde auch eine Abschaffung der Lizenzgebühren für den britischen Rundfunk BBC diskutiert, wodurch dieser in Zukunft möglicherweise finanziell abhängig von der Regierung sein könne.
„Es gibt viele Gesichter des Boris Johnson – Wir wissen nicht, welches wir gewählt haben und wir wissen nicht, welches wir noch zu sehen bekommen.“, so Tranters Einschätzung. Eines steht also fest: Es bleibt spannend in der britischen Politik, auch nach dem Brexit.
Text: Rebecca Melzer, Auslandsgesellschaft.de e.V.
Fotos: © Ivanka Andreitsiv, Auslandsgesellschaft.de e.V.