Das Europäische Solidaritätskorps in der Auslandsgesellschaft - Interview mit Dirk Schubert

Das Europäische Solidaritätskorps in der Auslandsgesellschaft – Interview mit Dirk Schubert

Passend zu unserem neusten Artikel “Das Europäische Solidaritätskorps – Förderung von grenzüberschreitendem Engagement” und dem Europäischen Jahr der Jugend haben wir ein Interview mit Dirk Schubert geführt. Er ist der Projektleiter des Europäischen Solidaritätskorps (ehem. Europäischer Freiwilligendienst) in der Auslandsgesellschaft.de und hilft dabei die Träume von jungen Menschen zu verwirklichen: Ein Jahr fremde Luft schnuppern, in einem europäischen Land der eigenen Wahl zu leben und zu arbeiten, um so eine andere europäische Kultur kennen zu lernen. Wir haben ihn gefragt, wie er mit dieser Aufgabe begonnen hat, was er an seiner Arbeit besonders spannend findet und was er sich für die Zukunft des Europäischen Solidaritätskorps wünscht.

Dirk, wieso hast Du Dich für diesen Job entschieden?

DS: „Ich hoffe, ich darf ein bisschen weiter ausholen: Angefangen hat es mit meinem Interesse an politisch-gesellschaftlichen Zusammenhängen, besonders am Nationalsozialismus, in der Schulzeit. Ich wollte verstehen, wie dieses Grauen, das die Deutschen in der Welt verursacht haben, überhaupt möglich war und warum die Generation meiner Großeltern diesen Verbrechen die Tür geöffnet und sich beteiligt hat. Mein folgendes Studium der Politik- und Kommunikationswissenschaft war sozusagen der Start. Schon während des Studiums habe ich als Teamer an Austauschprogrammen und bei Jugendreiseleitungen mitgewirkt.

Als Praktikant bin ich 1989 zunächst im Bereich der „Deutsch-Deutschen Begegnung“ in die Auslandsgesellschaft nach Willebadessen gekommen. Schon damals hat mich die zentrale Idee der Auslandsgesellschaft.de fasziniert: Der Einsatz für Völkerverständigung im Sinne von Humanität und Toleranz. Die Auslandsgesellschaft.de leistet eine politisch, gesellschaftlich und kulturell wichtige Arbeit. Meine damalige Vorgängerin hatte bereits Jugendaustauschprogramme durchgeführt, ihre Arbeit fand ich klasse.

Selbst begonnen habe ich 1995 als Fachbereichsleiter für den Bereich „Internationale Medien- und Kulturprojekte für junge Leute“ in der Auslandsgesellschaft, unter anderem mit der Planung und Durchführung von Jugendaustauschprogrammen und -begegnungen in europäischen Ländern. Das hat mich schließlich über Umwege zu dem Programm geführt, das ich heute noch begleite und betreue, zunächst in zwei anderen Städten in NRW. 2003 haben wir eine solche Plattform des Europäischen Freiwilligendienstes im Hause verankert. Und ich bin immer noch von dieser Arbeit und dem Programm begeistert – eine lange Geschichte, von der hoffentlich immer noch viele Jugendliche aus ganz Europa profitieren!“

Anknüpfend an den letzten Punkt: Was findest Du besonders spannend an Deiner Arbeit?

DS: „Das Programm bietet eine sehr gute Möglichkeit, Europa kennenzulernen und Menschen zu begegnen. Die Teilnahme kann auch dazu beitragen, dass sich Lebensläufe verändern. Es freut mich immer wieder zu sehen, dass junge Menschen aus dem Ausland zurückkehren mit vielen neuen Erfahrungen, Kontakten und mit Lebensenergie. Erfreulich ist auch, dass die EU – nach Durchlauf eines Antragsverfahrens – den größten Teil des Aufenthalts finanziert und somit fast jede:r daran teilnehmen kann. Die Jugendlichen erhalten so die Möglichkeit, Lebenserfahrungen zu sammeln – und das in Europa. Toll, dass die Auslandsgesellschaft.de jungen Menschen diese Chance eröffnet.“

Wohin hast Du Menschen bereits entsandt und welche Geschichte ist Dir dabei besonders im Kopf geblieben?

DS: „Wir haben bisher mindestens 120 junge Menschen in ganz unterschiedliche Länder entsandt und davon war jede einzelne Geschichte spannend. Im Kopf geblieben ist mir zum Beispiel der Lebensweg eines jungen Mannes mit Behinderung, den wir nach Antwerpen entsandt haben. Er ging nach der Schule in eine Einrichtung für Menschen mit Behinderung, wollte sich dort gerne einbringen und sehen, ob er vielleicht anderen Menschen mit seinen Erfahrungen helfen kann. Der junge Mann war sehr glücklich in Antwerpen und hat dort schließlich auch studiert. Aktuell arbeitet er tatsächlich in der Einrichtung, in der er bereits während seines Freiwilligendienstes gearbeitet hat.

Weitere Beispiele und Orte sind ein Jugendkulturzentrum in Italien, ein Projekt zur Strändereinigung – auch in Italien, eine Surf- und Segelschule auf Ibiza, ein Kinderheim in Tschechien, eine Feuerwehrstelle und ein Jugendzentrum in Griechenland, ein Basketballwettbewerb zwischen Schulen in London, um nur ein paar zu nennen. Die Vielfalt ist groß, es gibt hunderte von Einrichtungen in ganz Europa. Durch die Corona-Pandemie gibt es teilweise leider immer noch Einschränkungen, die hoffentlich im Laufe der Zeit immer weiter aufgehoben werden. Aber wir konnten auch während der Pandemie junge Menschen entsenden. Die Teilnahme erfordert allerdings einen gewissen Aufwand an Vorbereitung und an eigenständigen Bewerbungen bei den Projekten, dies mit einem Vorlauf von mindestens sechs Monaten.“

Die Auslandsgesellschaft selbst nimmt jedes Jahr Freiwillige auf – Welche Erfahrungen hast du dabei bereits gemacht?

DS: „Wir haben zu Beginn ab dem Jahr 2003 jedes Jahr fünf Freiwillige aufgenommen, aktuell sind es noch drei. Zwei davon arbeiten  im Bereich Öffentlichkeitsarbeit und im Auslandsinstitut, ein:e Freiwillige:r in der Abteilung Internationaler Austausch. Wir haben gute Erfahrungen mit sehr engagierten und motivierten junge Menschen gemacht, die mit frischem Wind die Abteilungen unterstützen und den Europagedanken mit ihren Aktivitäten ganz praxisnah vermitteln. Wir hatten beispielsweise einen jungen Griechen und eine junge Italienerin zu Gast, außerdem junge Leute aus den Niederlanden, der Ukraine, Österreich, der Türkei, aus Rumänien, aus Slowenien, aus Bulgarien, Belarus und aus Russland. Drei der ehemaligen Freiwilligen wurden erfreulicherweise nach ihrem Freiwilligendienst im Hause angestellt. Das ist auch ein weiteres Beispiel dafür, wie prägend das Programm sein kann.

Die Teilnehmenden an diesem Programm hinterlassen oft positive Spuren, es entstehen Freundschaften über Ländergrenzen hinweg. Der Erfolg des Programms in der Auslandsgesellschaft.de hat aber vor allem damit zu tun, dass sich so viele im Haus seit Jahren für und im Programm engagieren. Begonnen bei den Mentorinnen Pascale Gauchard, Claudia Steinbach, Marga Thomas, Norena Kunter und Ingrid Silvasi, über den Geschäftsführer Marc Frese bis zum Präsidenten Klaus Wegener und noch viele weitere im Haus. Erfreulich, dass die Deutsche Nationalagentur dieses nicht selbstverständliche und langjährige Engagement des ganzen Hauses mit einer exzellenten Bewertung versehen hat.“

Was wünschst Du Dir für die Zukunft des Europäischen Solidaritätskorps?

DS: „Ich wünsche mir, dass die EU – und wir in der Auslandsgesellschaft.de – das Programm fortsetzen. Das Programm gibt es ja schon lange, die guten Erfahrungen in der EU damit sprechen für sich: Wissenschaftliche Auswertungen der letzten Jahre haben eine sehr hohe Zufriedenheit mit deutlich über 80 %  der Teilnehmenden und der beteiligten Einrichtungen gezeigt.

Ich persönlich freue mich einfach darüber, dass ich die Geschichten miterleben darf. Und würde mir nur wünschen, dass der erhebliche Antrags- und Verwaltungsaufwand abnimmt. Die Zeit dafür  könnte man zum Beispiel besser in die Betreuung der Freiwilligen investieren. Aber wir sehen jedes Jahr: Es lohnt sich.“

 

Interview: Vivien Schymainda