Die Europaarmee: Wie sinnvoll sind gemeinsame europäische Streitkräfte?

Die Europaarmee: Wie sinnvoll sind gemeinsame europäische Streitkräfte?

Die aktuelle Situation in Afghanistan zeigt abermals, wie abhängig die dortigen europäischen Streitkräfte von der US-Armee sind. Ein Reformvorschlag rückt deshalb mal wieder in den Mittelpunkt der Diskussion: Die Schaffung der europäischen Streitkräfte. Nationale Armeen würden entlastet oder ganz abgeschafft werden und durch eine internationale, von der EU gesteuerten Streitmacht ersetzt werden. Wir beleuchten die Vor- und Nachteile einer potenziellen Europaarmee und geben einen kurzen Überblick darüber, was die EU aktuell im Bereich der Verteidigungszusammenarbeit tut.

Die Idee der Europaarmee

Die ersten Überlegungen, eine gemeinschaftliche europäische Armee einzurichten, stammt aus den 1950er Jahren. Damals gab es das Projekt der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG), dessen Ziel es war, erneute kriegerische Auseinandersetzungen in Europa zu verhindern. Im Rahmen der EVG sollte auch eine Europaarmee aufgestellt werden, um die europäische Einigung zu fördern. Das Projekt scheiterte allerdings. Die Idee der Europaarmee tauchte in den letzten Jahrzehnten jedoch immer wieder auf, zum Beispiel in Bezug auf die Krimkrise im Jahr 2015 oder auf die Bekämpfung von Terrorismus. Grund dafür ist ein Wandel in der europäischen Sicherheitspolitik. Die Tendenz geht in der EU-Politik aktuell in Richtung einer sicherheitspolitischen Problemlösungsstrategie, die sich stark darauf fokussiert, auf entstehende Krisen zu reagieren. Diese Krisenreaktion ist nicht mehr auf nationale Grenzen beschränkt und baut stark auf internationale Zusammenarbeit. Des Weiteren geht der Trend bereits zu kleineren, mobilen, multinationalen Streitkräften, die flexibel eingesetzt werden können. Europa arbeitet im Bereich der Sicherheitspolitik also bereits eng zusammen, wieso nicht auch eine gemeinsame Armee aufbauen?

Pro und Contra: Ist eine Europaarmee sinnvoll?

Es gibt einige Argumente, die sowohl für wie auch gegen die Einrichtung einer gemeinschaftlichen europäischen Armee sprechen. Für die Europaarmee spricht zum Beispiel, dass nationale Armeen aufgrund der ohnehin bestehenden starken Zusammenarbeit und der Abhängigkeit von der EU nicht mehr zwingend notwendig sind. Außerdem sind sich die Staats- und Regierungschef:innen bewusst, dass kein Mitgliedsstaat die derzeitigen Sicherheitsbedrohungen alleine bewältigen kann. Gemeinschaftliche Streitkräfte könnten effizienter agieren als nationale Streitkräfte, da sie nur dort eingesetzt werden würden, wo sie gerade benötigt werden. Außerdem könnten finanzielle Mittel zielgerichteter genutzt werden. Mit der Schaffung einer Europaarmee ginge zusätzlich eine Stärkung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) einher. Die GSVP ist dafür zuständig, interne politische und militärische Strukturen in der EU zu regeln und somit militärische und zivile Einsätze im Ausland zu ermöglichen. Eine potenzielle Europaarmee benötigt einen hohen Grad an Integration und eine erhöhte Qualität der Zusammenarbeit unter den Mitgliedstaaten, welche langfristig die europäischen Beziehungen stärken würden und somit im Interesse einer Europäischen Sicherheit-und Verteidigungsunion lägen. Eine europäische Armee würde auch die Beziehungen zwischen der EU und den USA stärken, da eine Europaarmee, die in vergleichbarer Stärke zur amerikanischen Armee auftritt, auf der Ebene der NATO die transatlantisch anfallenden Aufgaben besser aufteilen könnte.

Es bleiben zudem einige offene Fragen bezüglich der konkreten Umsetzung. Zum Beispiel wäre zu klären, ob die Streitkräfte als Verteidigungsarmee nur für die EU, innerhalb ganz Europas, oder als internationale Interventionsstreitkräfte agieren würden. Oder wie genau die Armee finanziert werden sollte oder welche Institution, zum Beispiel das europäische Parlament, für die Koordination der Armee zuständig wäre bzw. welche Rolle die nationalen Parlamente dabei spielen. Die Ungewissheit, wie genau eine Europaarmee organisiert werden würde, ist ein Punkt, der für Skepsis gegenüber der Idee sorgt. Auch gibt es Gründe für die Annahme, dass eine europäische Armee schlicht nicht notwendig ist, da internationale Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, zum Beispiel im Rahmen der NATO, bereits gut funktioniert. Das Hauptargument gegen eine gemeinschaftliche europäische Armee ist allerdings, dass die Schaffung einer Europaarmee momentan bei den Nationalstaaten nicht auf der politischen Agenda steht. Auch wenn vieles für eine Europaarmee spricht, wird sich diese nicht durchsetzen, wenn sie von den Mitgliedsstaaten nicht gewünscht ist.

Was tut die EU aktuell zur Stärkung der Verteidigungszusammenarbeit?

Auch wenn es aktuell keine Europaarmee gibt, so hat die Europäische Union in den letzten Jahren im Rahmen verschiedener Initiativen viel dafür getan, um die internationale Zusammenarbeit in den Bereichen der Sicherheit und Verteidigung erheblich zu fördern. Vor allem die Zusammenarbeit mit der NATO wurde verstärkt, indem verschiedene Projekte, zum Beispiel in den Bereichen der Cybersicherheit und der Terrorismusbekämpfung, in Kooperation mit ihr durchgeführt wurden. Eine Initiative, um die internationale Zusammenarbeit innerhalb der EU zu stärken ist die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (SSZ), in deren Rahmen 47 kollaborative Projekte durchgeführt werden, um die Kooperation unter den Mitgliedsstaaten zu stärken. Des Weiteren wurde im Jahr 2017 der Europäische Verteidigungsfonds eingerichtet. Somit wird erstmals der EU-Haushalt auch im Bereich der Verteidigung verwendet. Für die Zukunft sind weitere zahlreiche gemeinsame europäische Rüstungsprojekte geplant, wie zum Beispiel die Investition in Drohnentechnologie. Ziel ist es, Europa im Bereich der Verteidigung zu stärken, um im weltweiten Wettbewerb gegenüber anderen Mächten wie den USA oder China zu bestehen. Wie man sieht wird schon einiges im Bereich der gemeinschaftlichen europäischen Verteidigungspolitik geleistet, auch wenn es keine Europaarmee gibt. Ob diese Idee zur Realität wird, bleibt abzuwarten. Dass in der Europäischen Verteidigungsstruktur generell weitere Reformen nötig sind, um international handlungsfähig zu bleiben, wird dieser Tage in Kabul jedoch mehr als deutlich.

 

Text: Dorothea Ullrich