Die Konferenz zur Zukunft Europas 2021 – ein vielfältiger Wunsch nach einer Reform der EU
Rückblick: 2019 kündigte die damals frisch designierte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an, „dass die Bürgerinnen und Bürger bei einer Konferenz zur Zukunft Europas zu Wort kommen“ sollen. Doch wegen der Corona-Pandemie und Konflikten über die Führung der Konferenz musste der eigentlich für 2020 geplante Start um ein Jahr verschoben werden. Am 10. März 2021 wurde nun allerdings mit der Unterzeichnung einer Gemeinsamen Erklärung von Ursula von der Leyen, Parlamentspräsident David Sassoli und Ratspräsident António Costa der Startschuss gesetzt: Die Konferenz kann am Europatag, dem 9. Mai, in diesem Jahr starten. Was soll mit der Zukunftskonferenz erreicht werden? Wie soll der Bürgerdialog funktionieren und wer darf partizipieren? Und wie sind die Positionen verschiedener Akteur:innen dazu in der EU?
Die Funktionsweise der Zukunfts-Konferenz: Bürgerdialog, Veranstaltungen, Debatten
Die Konferenz zur Zukunft Europas sollte zuerst als ein insgesamt auf zwei Jahre angelegtes Diskussionsforum mit Veranstaltungen in allen EU-Mitgliedsstaaten stattfinden. Wegen des verzögerten Starts wird die Konferenz nun neun statt 24 Monate andauern. Diese Veranstaltungen sollen, sobald es die Pandemie wieder zulässt, als physische Konferenzen und Debatten stattfinden. Organisiert und geführt wird die Konferenz von Kommissionspräsidentin von der Leyen, dem Parlamentspräsidenten Sassoli und der/dem jeweiligen Regierungs- bzw. Staatschef:in des Landes mit dem rotierenden EU-Ratsvorsitz, aktuell also Portugals Regierungschef Costa. Das Leitungs-Trio ist ein Kompromiss, vorgeschlagen von der portugiesischen Ratspräsidentschaft: Ursprünglich hatte das Europäische Parlament (EP) gefordert, dass die Konferenz zwar durch Vertreter:innen der EU-Hauptorgane geführt, aber durch das EP selbst geleitet wird. Der Rat allerdings wollte eine unabhängige „bedeutende europäische Persönlichkeit“, also eine:n ehemalige:n Regierungs- oder Staatschef:in, als Leitung durchsetzen.
Aber wer darf denn nun im Bürgerdialog mitdiskutieren? Ein konkreter Vorschlag der EU-Institutionen liegt noch nicht vor und solange es Kontakt- und Reisebeschränkungen gibt, kann die Frage auf absehbare Zeit nicht richtig beantwortet werden. Es gibt Vorschläge seitens der Kommission für mehrsprachige Online-Portale, über die Bürger:innen der EU miteinander diskutieren können und Vorschläge an die Institutionen getragen werden sollen. Die Abgeordneten des EP fordern, dass ein repräsentativer Querschnitt der europäischen Bevölkerung sowie zivilgesellschaftliche Vertreter:innen und Interessenvertreter:innen europäischer, nationaler, regionaler und lokaler Ebenen in die Festlegung der Prioritäten der EU einbezogen werden; die Kommission sprach im Januar 2020 von einer Beteilung „aus allen Ecken Europas“. In der kürzlich unterzeichneten Gemeinsamen Erklärung wurde nun näher definiert, wer in den von den EU-Organen organisierten europäischen Bürgerforen partizipieren soll: Menschen, die „in Bezug auf die geografische Herkunft, das Geschlecht, das Alter, den sozioökonomischen Hintergrund und/oder das Bildungsniveau“ die europäischen Bürgerinnen und Bürger repräsentieren. Vor allem sollen die Veranstaltungen auf junge Menschen ausgereichtet sein, da sie die Zukunft der EU sind. Unklar ist noch, was mit ausgearbeiteten Forderungen, die ursprünglich zu Änderungen in EU-Verträgen führen sollten, nach der Konferenz passieren wird. Während das EP fordert, dass die Institutionen die Empfehlungen der Konferenz so weit wie möglich umsetzen sollen, will der Rat nur einen Bericht über die Ergebnisse verfassen lassen. Es steht die Befürchtung im Raum, dass die Zukunftskonferenz keine europapolitischen Reformen nach sich zieht.
Klimaschutz, Digitalisierung, mehr Mitsprache – viele Ziele, Wünsche und Herausforderungen
Grundsätzlich sollen durch die Konferenz neue Wege zur Weiterentwicklung der EU aufgezeigt und den Europäer:innen mehr Mitsprache gegeben werden. In der Gemeinsamen Erklärung haben die EU-Institutionen einige Themenanregungen für die Konferenz geliefert, die Bürger:innen können aber darüber hinaus auch weitere Vorschläge ansprechen, „die ihnen am Herzen liegen“. Die Themen der EU-Institutionen sind vielfältig und reichen vom Aufbau eines gesunden Kontinents über mehr Klimaschutz, Rechtstaatlichkeit bis zu mehr Demokratie in den Prozessen der EU und Digitalisierung. In der europäischen Bevölkerung sind die Wünsche für die Zukunft der EU ebenso facettenreich. Für das erste gemeinsame Eurobarometer der Kommission und des EP wurden 27.034 EU-Bürger:innen im vergangenen Oktober und November befragt und die Ergebnisse sind deutlich. 91 Prozent wollen, dass die EU mehr auf ihre Bürger:innen hört. Die größten Wünsche sind vergleichbare Lebensstandards, mehr Solidarität, eine gemeinsame Gesundheitspolitik; die größten Herausforderungen sind demnach die Klimakrise, Terrorismus, Gesundheitsrisiken und Zwangsmigration und Vertreibung. Der Abschluss der Konferenz und erste Ergebnisse sind für das erste Halbjahr 2022 unter französischer Ratspräsidentschaft geplant.
Zuspruch und Unterstützung für die Idee, Kritik an der Umsetzung
Die Konferenz soll endlich beginnen: Das sehen neben dem Europäischen Parlament auch viele zivilgesellschaftlichen Organisationen so. Nach der Verschiebung um ein Jahr sind viele froh, dass jetzt der Startschuss gegeben wurde, kritisiert wird aber, dass die Konferenz nun nur neun Monate dauern soll und dass am Enddatum starr festgehalten wird. „Wir fordern die Bürger*innen, die Zivilgesellschaft und die Entscheidungsträger*innen dazu auf, ihre Arbeit im Rahmen der Konferenz über den Stichtag im Frühjahr 2022 hinaus fortzusetzen, und zwar so lange, bis die Erwartungen der Europäer*innen erfüllt sind“ fordern die Jungen Europäischen Förderlisten (JEF). Auch die sozialdemokratische Fraktion im EP forderte bereits im Oktober 2020 eine Verlängerung der Konferenz bis in Frühjahr 2023. Einige Abgeordnete des EP kritisieren auch die Position des Rates: Eine Debatte mit Tabus, wie in dem Fall Vertragsänderungen, könnte dazu führen, dass die Konferenz zu einer reinen Show-Veranstaltung verkommen würde. Sven Giegold, Grünen-Abgeordneter aus Deutschland, zufolge müssten EU-Verträge reformiert werden und die Zusammenarbeit der Institutionen verstärkt werden, um die Handlungsfähigkeit der EU zu erhalten. “Dazu brauchen wir den Druck der Zivilgesellschaft“, so Giegold.
Bis die Konferenz im Mai beginnt, wird es noch einiges zu diskutieren und zu besprechen geben, um Klarheit z.B. in der Beteiligung an den Bürgerforen, der Durchführung und der Ergebnisumsetzung zu erreichen.
Text: Lea Mindermann