Die Türkei und ihre Geschichte als EU-Beitrittskandidat

Die Türkei und ihre Geschichte als EU-Beitrittskandidat

Waren die Aussichten des Beitritts der Türkei in die EU 1999 nach Verleih des Status als Beitrittskandidat noch in mittelfristiger Zukunft zu erwarten, so liegen sie heute, knapp 24 Jahre später, auf Eis und die Lage in der Türkei scheint in dieser Hinsicht wenig optimistisch. Wir wollen nun auf die Geschichte der Türkei als Beitrittskandidat schauen und ihren Ablauf von den ersten vertraglichen Beziehungen mit der EWG und später der Europäischen Union, über den Beginn der Beitrittsverhandlungen – die Herausforderungen und Annäherungen im Verlauf dieser, bis hin zu der aktuellen Lage, begutachten.

Wechselhafte, aber optimistische Beziehungen

Schon 1949 tritt die Türkei dem Europarat und 1952 der NATO bei und die Beziehungen zwischen der Türkei und Europa sind in diesen Zeiten kooperativ und positiv. Dies begründet sich schließlich 1963 in dem „Abkommen von Ankara“ in welchem eine erste Assoziierung festgehalten wird und eine spätere Beitrittsperspektive zu der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), heute EU, in Aussicht gestellt wird. In den 80er und 90er Jahren schreiten diese Pläne voran: die Türkei stellt ein Beitrittsgesuch und bekommt 1999 durch den Europäischen Rat in Helsinki den Status eines Bewerberlandes. Die Voraussetzung für die zukünftigen Beitrittsverhandlungen, die Einhaltung der Kopenhagener Kriterien, also die Bedingungen für den Beitritt zur Europäischen Union, werden 2002 auf dem Gipfel von Kopenhagen betont und eine Entscheidung über den Verhandlungsbeginn auf 2004 verschoben. Der frisch gewählte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan stellt 2002 ein umfassendes Paket vor, um die Menschen- und Freiheitsrechte in der Türkei zu verbessern. Nach weiteren Staatsreformen zur Festigung der Rechtsstaatlichkeit beginnen im Oktober 2005 schließlich die Beitrittsverhandlungen.

Die Beitrittsverhandlungen – ein steiniger Weg

Trotz der Äußerung von Zweifel einiger EU-Mitgliedsstaaten kann es also 2005 in Einigkeit in die Verhandlungen gehen und das Ziel ist es, die Mitgliedschaft der Türkei umzusetzen. Die Verhandlungen um eine EU-Mitgliedschaft finden in 35 Kapiteln statt, welche verschiedene Themengebiete bearbeiten und für einen Beitritt abgeschlossen sein müssen. Schnell kommt es jedoch, im Jahr 2006, zu Uneinigkeiten. Die Türkei möchte die Republik Zypern nicht anerkennen und diese auch nicht in die Zollunion einbeziehen. Dieser Umstand, im Rahmen des Zypernkonfliktes, blockiert acht Kapitel der Verhandlungen gänzlich. Es wird bald deutlich, dass auch weitere Kapitel stagnieren und viele weitere noch nicht eröffnet werden können. Es gibt mehrere Konflikte, die immer wieder Verhandlungen blockieren und Zweifel hervorrufen. Weiterhin werden die Rechtsstaatlichkeit und die Einhaltung der Menschenrechte sowie Freiheitsrechte in der Türkei angezweifelt, der Zypernkonflikt strapaziert die Aussichten und Vorgaben werden nicht eingehalten. Zwischen 2009 und 2013 wird die Absicht eines Beitritts von beiden Seiten öffentlich hinterfragt, ab 2015, im Rahmen der Flüchtlingskrise, nähern sich die Parteien jedoch wieder an. Großflächige Kooperation findet statt und weitere Kapitel werden eröffnet. 2016 kommt es in der Türkei zu einem Putschversuch und Proteste und Unruhen innerhalb des Landes machen der Europäischen Union Sorge.

Die aktuelle Lage – Partnerschaft statt Beitritt?

In den letzten Jahren ist die Lage nicht weniger konfliktreich und wenig Hoffnung gilt einer zeitnahen Intensivierung der Verhandlungsgespräche. Nicht genehmigte Bohraktionen im Mittelmeer, welche bereits sanktioniert werden, sowie die türkischen Offensiven und Provokationen in Richtung Syrien, Zypern und Griechenland gelten seitens der EU als große Hindernisse, mit Griechenland scheint sich jedoch eine Deeskalationsphase entwickelt zu haben. Im Jahr 2021 wird zuletzt seitens der EU in dem Türkei-Bericht betont, dass die Türkei weiterhin einen wichtigen Partner darstelle und grade im Rahmen ihrer Leistungen als Aufnahmeland von Flüchtlingen weiterhin unterstützt werden solle. Was die Einhaltung und Erhaltung demokratischer Institutionen, der Menschenrechte der Zivilgesellschaft, der öffentliche Verwaltung, der Korruptionsbekämpfung und des Justizsystems der Türkei angehe, sei eine Entfernung von der EU deutlich. Auch wirtschaftlich stellt sich die Türkei immer weniger als tragbares, mögliches Mitglied der EU dar. Unter Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan hat sich die Wirtschaft in der Türkei in den letzten Jahren rapide verschlechtert und aktuell stehen die türkischen Staatsbürger:innen vor den Herausforderungen einer massiven Inflation. In einer 2022er Studie über die Sicht der Türk:innen auf Europa und die EU zeigt sich eine durchaus positive Perzeption Europas im Rahmen von Freiheit, Gleichheit und Demokratie, während die EU für ihre Wirtschaftskraft positiv wahrgenommen wird. 75,9 Prozent der Befragten würden eine Mitgliedschaft befürworten und 58,1 Prozent glauben auch an die Umsetzung dieser in fünf bis 20 Jahren. In dieser Studie zeigt sich also Hoffnung und Optimismus, aber auch eine Spaltung der Gesellschaft innerhalb der Türkei.

Text: Leslie Deák