Droht uns der Brexit?

Droht uns der „Brexit?“ Großbritannien und die EU (20.10.2015)

Am Dienstag, 20.10.2015, besuchten Dr. Berthold Busch vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln und Dr. Nicolai von Ondarza von der Stiftung Wissenschaft und Politik das Sozialinstitut Kommende Dortmund zu einer gemeinsamen Vortragsrunde mit anschließender Diskussion. Moderiert und eingeleitet wurde der Abend von Prälat Dr. Peter Klasvogt, dem Direktor der Kommende. Die Beiträge des Abends drehten sich um die Beziehung des Vereinigten Königreichs Großbritanniens (VK) zur Europäischen Union und um das von Premierminister David Cameron angekündigte Referendum zum eventuellen Austritt aus dieser.

Den ersten Vortrag hielt Dr. Berthold Busch, der spontan für den verhinderten Nick Leake eingesprungen war. Der Experte für Europäische Integration verwies darauf, dass die Meinung der Briten zur EU in der Vergangenheit immer deutlich schlechter ausgefallen war, als in den übrigen Mitgliedstaaten. Bereits 1975, zwei Jahre nach Beitritt, kam es zu einer ersten Volksabstimmung über einen möglichen Austritt.
Die wirtschaftlichen Dimensionen eines heutigen Austritts demonstrierte er anhand von Grafiken sehr anschaulich. Als Zwischenfazit sagte Dr. Busch, dass die EU ohne das VK kleiner, ärmer und weniger weltoffen sein würde.
Einen weiteren Programmpunkt in seinem Vortrag widmete Dr. Busch den Grundfreiheiten des Europäischen Binnenmarktes (freier Warenverkehr, freier Dienstleistungsaustausch, freier Kapitalverkehr und Arbeitnehmerfreizügigkeit). Er betonte hier den weltweiten Export an Finanz- und Unternehmensdienstleistungen des VK. Zudem erklärte er, dass das VK eines der Länder war, das nach der ersten Osterweiterung 2004 ohne Übergangsregelungen seinen Markt für Arbeitnehmer_innen aus den neuen Mitgliedstaaten öffnete. Dies trug unter anderem dazu bei, dass momentan im VK 2,4 Millionen Menschen mit einer Staatsangehörigkeit eines anderen EU-Staates leben. Die Migration sei eine der größten Ängste in der britischen Gesellschaft.
Im Anschluss versuchte Herr Busch, die Konsequenzen eines Austritts des VK aus der Union abzuschätzen. Laut ihm könnte sich die Abstimmung nicht nur auf die EU auswirken, sondern auch die künftige Existenz des VK in heutiger Form in Frage stellen. Mit einem Austritt aus der EU werde auch die Abspaltung Schottlands wahrscheinlicher.
Mit dem VK verlöre Deutschland in der Handelspolitik einen wichtigen „liberalen“ Partner, was zu einem regulierteren Markt führen könnte. Die genauen wirtschaftlichen Auswirkungen seien jedoch nur schwer zu berechnen, da es noch keine Vorstellungen über die Dimension zukünftiger Wirtschaftsbeziehungen beider Partner gibt. Was jedoch bereits feststehe, sei, dass es für die übrigen Mitgliedstaaten teurer werde, da mit dem VK der zweitgrößte Nettoeinzahler der Union ausschiede.
Anhand vielfältiger Modelle zeigte Dr. Busch vier verschiedene Alternativen eines eigenständigen VK auf (ähnlich Norwegen, ähnlich Schweiz, ähnlich Türkei oder eine Rückfallpostion zu einem Partner ähnlich der übrigen WTO-Staaten).

An das Referat von Herrn Dr. Busch schloss sich ein Vortrag von Dr. Nicolai von Ondarza an. Der Stellvertretende Leiter der Forschungsgruppe EU/Europa erläuterte die von David Cameron geplanten EU-Reformen und das angekündigte Referendum. Laut ihm wolle Cameron durch neue Regelungen der VK-EU Beziehungen die Brit_innen und vor allem seine eigene Partei von einem Verbleiben in der EU überzeugen. Die genauen Forderungen, die Cameron an die EU stellen will, stehen jedoch noch nicht fest. Grob lassen sich vier Punkte aus den öffentlichen Äußerungen des Premierministers ablesen (Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, eine Vertiefung des Binnenmarkts, Schutz der nationalen Souveränität, „Fairness“, Reduzierung der Migration). Konfliktreiche Forderungen, hierunter sind die sogenannte „Rote Karte“, die es den nationalen Parlamenten ermöglichen soll ,eine unerwünschte EU-Gesetzgebung zu stoppen, die „doppelte Mehrheit“ für Nicht-Euro-Länder bei Abstimmungen, die den Binnenmarkt betreffen, sowie die von Cameron geplante Anreizverringerung für Migrant_innen aus den übrigen EU-Staaten.
Erst sobald es mit der EU zu einer Einigung gekommen sein wird, soll den Brit_innen die Möglichkeit gegeben werden, über den Verbleib in der Union zu entscheiden. Als wahrscheinlichsten Zeitraum für die Abstimmung sieht Herr von Ondarza das zweite Halbjahr 2016 oder das erste Halbjahr 2017.
Der Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik ging davon aus, dass es eine Einigung zwischen EU und VK geben wird, schwer vorherzusagen sei jedoch, ob diese Änderungen der britischen Bevölkerung ausreichen werden.

An die beiden Vorträge schloss sich eine eifrige Fragerunde des Publikums an.
Mit dem VK würde die neben Frankreich wichtigste Militärmacht Europas die EU verlassen, allerdings würde sich ein Austritt auch auf die Beziehung zwischen dem VK und den USA negativ auswirken. Die Vereinigten Staaten hatten in der Vergangenheit immer wieder betont, dass sie das VK nur innerhalb Europas als strategischen Partner sehen.
Auf eine Frage nach den britischen Medien entgegnete Herr Dr. von Ondarza, dass diese traditionell eher EU-skeptisch eingestellt seien. Allerdings sind es auch die Medien, durch die Drittstaaten die Europäische Union am ehesten wahrnehmen. Ein Austritt des VK aus der EU würde demzufolge auch das Bild der EU in Drittstaaten grundlegend verändern.

Die Veranstaltung wurde organisiert vom Sozialinstitut Kommende Dortmund in Kooperation mit der Industrie und Handelskammer zu Dortmund, der Handwerkskammer Dortmund, der Konrad Adenauer Stiftung, der Auslandsgesellschaft Nordrhein-Westfalen und dem Europe Direct Dortmund.

Text: Johanna Simon, Auslandsgesellschaft NRW e.V.
Foto: CC0, Alexas_Fotos, pixabay.de