Erweiterung der EU: Wie wird ein Staat zum EU-Mitglied?

Erweiterung der EU: Wie wird ein Staat zum EU-Mitglied?

Seit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), dem Vorläufer der EU, im Jahr 1957 hat sich die europäische Gemeinschaft immer weiter vergrößert. Was als Zusammenschluss von sechs westeuropäische Staaten begann, um wirtschaftliche Zusammenarbeit zu fördern, ist heutzutage zu einer Vereinigung von 27 europäischer Länder geworden, die auf allen politischen Ebenen miteinander kooperieren. Aber wie wird es einem Staat möglich, der Europäischen Union beizutreten? Wir erläutern die Voraussetzungen für einen EU-Beitritt, den aktuellen Status der offiziellen Beitrittskandidaten und die Möglichkeiten weiterer Staaten, Beitrittskandidaten zu werden.

Wie funktioniert das Beitrittsverfahren?

Der Gründungsvertrag der EU, auch als Vertrag von Maastricht bekannt, räumt mit Artikel 49 jedem europäischen Land das Recht ein, einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft zu stellen. Voraussetzung dafür ist, dass der Staat die im Artikel 2 des EU-Vertrags genannten Werte vertritt und schützt. Diese Werte beinhalten unter anderem die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit, Demokratie, Rechtstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte. Nach dem Aufnahmeantrag und einer positiven Empfehlung durch die Europäische Kommission und dem Rat der EU kann der offizielle Status als „Beitrittskandidat“ vergeben werden. Nach der Vergabe dieses Status können die Verhandlungen über den Beitritt beginnen. Um der EU beitreten zu können, muss ein Staat außerdem die „Kopenhagener Kriterien“ erfüllen. Diese lassen sich in drei Kategorien aufteilen. Die erste Kategorie umfasst die politischen Kriterien, bei denen überprüft wird, ob ein Beitrittskandidat die Menschrechte wahrt, Minderheiten schützt und über institutionelle Stabilität, sowie eine demokratische und rechtstaatliche Grundordnung, verfügt. Die zweite Kategorie befasst sich mit wirtschaftlichen Kriterien, bei denen überprüft wird, ob der Staat über eine funktions- und wettbewerbsfähige Marktwirtschaft, offene Märkte gegenüber dem Ausland und die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdrucks des EU-Binnenmarktes standzuhalten, verfügt. Das dritte Kriterium ist das Acquis-Kriterium und bezeichnet die Fähigkeit eines Staates, sich alle Verpflichtungen und Ziele, die aus dem Recht einer EU-Mitgliedschaft hervorgehen, zu eigen zu machen. Wenn ein Land all diese Kriterien erfüllt, kann er Beitrittskandidat der EU werden.

Wer sind die aktuellen Beitrittskandidaten?

Im Moment haben fünf Staaten den Status eines offiziellen Beitrittskandidaten, und zwar Albanien, Nordmazedonien, Serbien, Montenegro und die Türkei. Albanien hat zuerst im Jahr 2009 einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft gestellt, seit 2014 ist das Land offizieller Beitrittskandidat und 2020 wurde entschieden, Beitrittsverhandlungen aufzunehmen, welche aber noch nicht begonnen haben. Für die Aufnahme der Verhandlungen forderte die EU von Albanien Fortschritte unter anderem in den Bereichen der Justizreform und der Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität. Nordmazedonien erhielt bereits im Jahr 2005 den Status des Beitrittskandidaten. Der Aufnahme der Verhandlungen stand, neben notwendigen Reformen im Bereich der Rechtstaatlichkeit, lange Jahre ein Konflikt mit dem EU-Mitglied Griechenland im Weg, welches den Namen „Mazedonien“ für sich beanspruchte. Dieser Streit konnte allerdings 2018 beendet werden und im Jahr 2020 entschied sich die EU, Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien aufzunehmen, welche aber noch nicht begonnen haben.

Serbien begann bereits im Jahr 2005 Gespräche mit der EU über einen möglichen Beitritt, der damals allerdings von der EU abgelehnt wurde, aufgrund davon, dass zwei ehemalige serbische Amtsträger, die als Kriegsverbrecher angeklagt waren, noch nicht verhaftet waren. Nach der Verhaftung wurden die Gespräche wieder aufgenommen. Serbien stellte 2009 einen offiziellen Antrag auf Mitgliedschaft und gilt seit 2012 als offizieller Beitrittskandidat. Seit 2014 führt die EU Beitrittsverhandlungen mit Serbien, die sich unter anderem mit dem Bestreben befassen, die Beziehung zwischen Serbien und Kosovo zu normalisieren. Erst dann wäre ein EU-Beitritt möglich. Montenegro reichte seinen Antrag auf EU-Mitgliedschaft im Jahr 2008 ein, nur zwei Jahre nach seiner Unabhängigkeit von Serbien und der damit einhergehenden Anerkennung als eigenständigen Nationalstaat. Die Verhandlungen mit Montenegro laufen seit 2012. Auch wenn das Land schon einige Entwicklungen in der EU-Annäherung gebracht hat, sind noch weitere Anstrengungen im Bereich der Schaffung und Implementierung von Verwaltungskapazitäten, sowie in der Presse- und Meinungsfreiheit erforderlich. Auch wenn Montenegro noch kein EU-Mitgliedsstaat ist, benutzt das Land bereits den Euro als offizielle Währung. Die Türkei erhielt bereits im Jahr 1999 den Status als offiziellen Beitrittskandidaten, Verhandlungen begannen im Jahr 2005. Es gibt allerdings einige Defizite in der Annäherung zur EU, welche von der Türkei nicht behoben werden. Darunter fällt zum Beispiel die eingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit, die Diskriminierung von Minderheiten und die mangelnde Achtung der Menschenrechte. Aufgrund der mangelnden Fortschritte sprach sich das EU-Parlament 2016 dafür aus, die Verhandlungen mit der Türkei einzufrieren. In den Bereichen der Demokratie, der Rechtstaatlichkeit, der Grundrechte und der Unabhängigkeit sei es zu gravierenden Rückschritten gekommen und die Türkei habe sich weiter von der EU entfernt, weswegen aus aktueller Sicht ein EU-Beitritt der Türkei als nicht realistisch bewertet wird.

Welche Staaten könnten potenziell zu Beitrittskandidaten werden?

Natürlich gibt es in Europa noch einige weitere Staaten, die potenziell der EU beitreten könnten, die aber aktuelle keine Beitrittskandidaten sind. Zum Beispiel die Mitgliedsstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA), also Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz. Die EFTA-Staaten, außer der Schweiz, bilden gemeinsam mit den EU-Staaten den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Island erhielt tatsächlich im Jahr 2010 nach einem Antrag den Status als Beitrittskandidat und führte Verhandlungen mit der EU. Nach einem Referendum zog Island den Mitgliedsantrag allerdings 2015 wieder zurück. Durch die bereits staken Verbindungen zur EU ist auch von den anderen EFTA-Staaten kein EU-Beitritt gewünscht. Die Schweiz beruft sich dabei auf ihr Neutralitätsgebot. Weitere potenzielle Beitrittskandidaten sind die europäischen Zwergstaaten Andorra, Monaco, San Marino und die Vatikanstadt. Für diese Staaten ist eine EU-Mitgliedschaft allerdings eher uninteressant, da sie dadurch einige für sie relevante Vorteile verlieren würden.

Auf dem Gipfel von Thessaloniki im Jahr 2003 wurde die Integration der Westbalkan-Staaten als Ziel der EU-Erweiterung formuliert. Slowenien und Kroatien wurden bereits aufgenommen, vier weitere Westbalkan-Staaten gelten als offizielle Beitrittskandidaten (siehe oben), übrig bleiben Kosovo und Bosnien und Herzegowina. Mit beiden Staaten hat die EU Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) getroffen, deren Ziel es ist, den jeweiligen Staat politisch und wirtschaftlich an die EU zu binden. Bosnien und Herzegowina hat bereits im Jahr 2016 einen Beitrittsantrag an die EU gestellt, gilt aber noch nicht als Beitrittskandidat. Dem EU-Beitritt des Kosovo stehen hingegen einige Hindernisse im Weg, so wie die Tatsache, dass noch nicht alle EU-Mitgliedsstaaten die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennen. Welche Staaten also tatsächlich als nächstes in die EU aufgenommen werden, bleibt weiterhin offen.

 

Text: Dorothea Ullrich