EU-Flüchtlingspolitik – Herausforderungen und Wirkungen (11.12.2018)
Die EU-Flüchtlingspolitik wurde seit der vermehrten Zuwanderung von Geflüchteten nach Europa im Jahr 2015 auf die Probe gestellt. Dies hat sich unterschiedlich auf die bis dato geführte Politik der EU ausgewirkt. Doch was heißt das konkret? Zusammen mit dem Mitglied des „Team Europe“ der Europäischen Kommission Dr. Thorsten Müller wurden am 11. Dezember 2018 im Dortmunder Rathaus die Herausforderungen und Wirkungen der Zuwanderung von Geflüchteten nach Europa für Europa unter die Lupe genommen und kontrovers diskutiert.
In den Jahren 2015 und 2016 erreichte die Europäische Union mehr als eine Millionen Geflüchtete. Dieser Zuwanderung folgte eine veränderte politische Landschaft in Europa, die mit einem vermehrten Rechtsruck einherging. Zwar stehe die EU nicht vor einem Zerfall, wie es oft beschwört würde, sagte Dr. Müller, dennoch könne gesagt werden, dass sie vor einer Existenzfrage stehe. Größte Herausforderung bestehe im Auseinanderfall von unterschiedlichen Interessen der Mitgliedsstaaten. Einzelne EU-Staaten hätten generell natürlich ein Recht darauf, ihre Grenzen zu schützen, denn Aufgabe von Grenzen sei die Regulierung von Zuwanderung, verdeutlichte der Referent. Jedoch dürfe die Hauptaufgabe nicht aus den Augen verloren werden: Menschen in Not müsse geholfen werden.
Es dürfe zudem nicht sein, fügte er hinzu, dass subjektive Wahrnehmungen das politische Bild trüben. „Wir müssen aufhören, unsere Gefühle als Maßstab der Realität zu nehmen. Wenn alle dies tun, braucht jede Person in Deutschland ihre eigene Partei und wir können nicht mehr miteinander sprechen. Demokratie funktioniert dann nicht mehr.“ Reale Fakten müssten objektiv wahrgenommen und als Arbeitsgrundlage akzeptiert werden, um auf politischer Ebene effektiv agieren zu können, so der Referent.
Außerdem müsse neben der eigenen subjektiven Wahrnehmung auch die Seite der Geflüchteten gesehen werden. Zwischen diesen Sichtweisen liege zwar oft eine große Diskrepanz und ihr Zusammenführen sei mühsam, jedoch unumgänglich. Das sei Integration, so Dr. Müller. Und: „Integration ist keine Einbahnstraße!“, fügte er hinzu.
Menschen würden nicht aus ihren Heimatländern fliehen, weil sie es sich wünschen. Menschen, die fliehen, hätten keine andere Wahl, so Dr. Müller. Wie könne diesen Menschen geholfen werden?
Ein Schritt sei, die Verbesserung ihrer Lebenssituation in der Heimat, so dass sie erst gar nicht fliehen müssen. So gebe die EU weltweit den größten Anteil an Entwicklungshilfe und versuche, friedensstiftend tätig zu sein. Leider liege die politische Strategie einzelner EU-Mitgliedstaaten jedoch lediglich darin, die nationalen Grenzen zu schließen. Dies könne vielleicht auf kurze Sicht erfolgreich sein, jedoch stelle es langfristig ein Fiasko dar, denn Grenzen werden nie unüberwindbar sein, sagte Dr. Müller. Die rigorose Verstärkung derer mache daher langfristig keinen Sinn.
Warum die EU das Ziel vieler Geflüchteter sei, liege auf der Hand: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit, innere und äußere Sicherheit sowie Wohlstand. Dem gegenüber stünden z.B. Wasserknappheit, Hunger, Konflikte und Krieg in den Herkunftsländern vieler Geflüchteter. Die Herkunftsländer hätten zudem wenig wirtschaftliches Interesse daran, die Menschen, die ihr Land verlassen, zurückzuhalten oder wieder aufzunehmen. Die EU zahle hohe Summen an Entwicklungshilfe. Liberia zum Beispiel erlange 31% seines BIPs allein durch Geldzahlungen aus dem Ausland.
Eine Herausforderung an die EU sei dementsprechend, wie man den Zuwachs an Flucht aufgrund schlechter wirtschaftlicher Zustände in den Herkunftsländern bekämpfen könne.
Im weiteren Verlauf des Vortrags kam Dr. Müller auf den kürzlich geschlossenen Migrationspakt zu sprechen. Er räumte den Mythos, der Pakt sei ein reiner Wählerstimmenfang, aus der Welt. Er habe zum Ziel, internationale Migration zu ordnen. Dabei würde ein Fokus auf die Herkunfts- und Transitländer gelegt, sie würden zur Verantwortung gezogen. Zudem werde klar zwischen legaler und illegaler Migration unterschieden und die Arbeitsmigration solle erleichtert werden. Vor diesem Hintergrund verstehe er die aktuelle Diskussion in Belgien um den Vertrag nicht. Der Pakt versuche, zu regulieren. „Ich würde mir diese Regulierung für Deutschland und Europa wünschen!“, so Dr. Müller.
In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum wurde nach der Agentur Frontex und ihren Aufgabenfeldern gefragt. EU-Länder mit einer Außengrenze trügen die alleinige Verantwortung für die Grenzkontrolle, erläuterte Dr. Müller, jedoch könne die Agentur Frontex auf Anforderung bei der Verwaltung der Außengrenzen unterstützen. Dies geschehe unter anderem durch Risikoanalysen, Entsendung von Fachkräften und technischer Ausrüstung, Informationssysteme sowie der Entwicklung von optimalen Verfahren zur Rückführung von Migrant*innen. Durch einen Entschluss der EU erhielte Frontex nun mehr Kompetenzen. Es könne neuerdings ohne Zustimmung des betroffenen Landes eingesetzt werden. Außerdem solle das Personal aufgestockt bzw. ein eigener Pool an Angestellten eingerichtet werden, denn zurzeit seien nur ausgeliehene Beamte der Nationalstaaten bei Frontex tätig.
Welcher Rolle Eurosur dabei zukomme, wurde der Referent in diesem Zusammenhang gefragt. Eine einheitliche Überwachung der Außengrenzen würde durch „Eurosur“ gewährleistet, antwortete Dr. Müller. Dabei handele es sich um ein Überwachungssystem, welches dazu diene über Grenzen hinweg Kriminalität und illegale Migration zu stoppen und das Leben von Migrant*innen zu schützen.
Die Veranstaltung wurde gemeinsam mit der Stadt Dortmund durchgeführt. Sie fand im Rahmen einer Roadshow zum Themenfeld Flucht und Migration der Europe-Direct-Informationszentren Dortmund, Duisburg, Essen sowie dem Europabüro der Stadt Hagen statt.
Text: Eileen Eisenhut, Auslandsgesellschaft.de e.V.
Fotos: © Milica Kostic, Auslandsgesellschaft.de e.V.