EU-Wirtschaft in Turbulenzen - Ukraine-Krieg und Corona in einer globalisierten Welt (09.03.2022)

EU-Wirtschaft in Turbulenzen – Ukraine-Krieg und Corona in einer globalisierten Welt (09.03.2022)

Die Wirtschaft in der Europäischen Union wird durch Krisen geschüttelt: Klimawandel, COVID-19 und nun der Krieg in der Ukraine. Das beeinflusst die wirtschaftliche Entwicklung in den Mitgliedstaaten. Wie können wir als EU unseren Wohlstand unter diesen Umständen sichern? Jürgen Matthes vom Deutschen Institut für Wirtschaft ist einer der Euroexperten in Deutschland. Am 09. März beantwortete er alle Fragen zum Thema EU-Wirtschaft in Krisenzeiten. Die Moderation übernahm Jochen Leyhe.

Ist eine Zeitenwende spürbar?

Das Institut der deutschen Wirtschaft ist das größte private Wirtschaftsinstitut Deutschlands. Es hat sich der Forschung zur der deutschen Marktwirtschaft verschrieben und setzt sich für eine freiheitliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ein. Jürgen Matthes ist Leiter des internationalen Teams, welches vor allem Krisentracking betreibt. Momentan beschäftigt er sich nicht nur mit akuten Krisen, wie dem Ukrainekrieg, sondern auch mit längerfristigen Entwicklungen, wie der Beziehung zu China. Eine Zeitenwende sei in der Politik spürbar – in der Wirtschaft auch? Ja, jedoch sei diese nicht so hart und akut wie in der Politik, sondern eher schleichend. Matthes erklärte, dass zum Beispiel der Umgang mit China seit einiger Zeit ein großes Thema sei und Veränderungen hier bereits schon länger spürbar sei. Früher waren Politik und Wirtschaft gedanklich oft getrennt – heute kann man das nicht mehr so einfach behaupten. Wenn zwei Großmächte wie China und die USA geopolitische Konflikte austragen, merke man das auch in der Wirtschaft. Und die EU stehe in der Schusslinie, erklärt Matthes.

„Die Abhängigkeit von Russland hat sich als fehlerhaft erwiesen.“

Höhere Sprit- und Heizpreise gelten heute fast schon als Solidaritätsbekundung – früher hätte es einen noch viel größeren Aufschrei gegeben, so Matthes. Erst durch Fukushima aus Atomkraft, dann wegen Klima aus Kohle raus, nun sind wir zumindest übergangsweise auf Gas angewiesen: „So haben wir uns klar von Russland abhängig gemacht.“. Matthes meinte, dass so aktiv Putins Krieg finanziert wird und Sanktionen würden unterlaufen. Leyhe fragte, ob Putin durch die erhöhten Spritpreise nun auch mehr Geld verdient? Ja und das sei unser Dilemma, weil die Preise nur weiter steigen würden, lautete Matthes klare Antwort.

Wie wirkt sich der Krieg auf deutsche Unternehmen aus?

Viele deutsche Unternehmen ziehen sich grade vom russischen Markt zurück. Was wird dies für Auswirkungen haben? Ist nur der Umsatz betroffen oder kann dies auch zu Arbeitsplatzverlusten führen? Dies kommt auf das Unternehmen an, aber generell lässt sich festhalten, dass circa 2% der deutschen Ausfuhren nach Russland gehen, erklärte Matthes. Dies sei nicht viel, aber wenn Einbußen kämen, kann dies natürlich auch immer zu Arbeitsplatzverlusten führen. Größere Auswirkungen wird der Import und Handel bemerken, wenn Öl und Gaspreise weiter steigen. „55% unserer Gasimporte kommen aus Russland in Deutschland. Wir könnten auf Russland verzichten, wenn wir im Sommer nichts benötigten und der Winter mild wird.“, so Matthes.

Ausbau der Erneuerbaren – Jetzt erst recht?

Wir werden unsere Abhängigkeit von Russland nicht von heute auf morgen los, da ist sich Matthes sicher. Aber nicht nur die sicherheitspolitische Verantwortung müssen wir einsehen – auch die Bekämpfung des Klimawandels ist nun nochmal durch den Krieg und die Abhängigkeit von Russland in ein anderes Licht gerückt worden. So kam auch in der Diskussion der Ausbau der Erneuerbaren Energien zur Sprache. Werden hier zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen? Matthes ist da pessimistisch. Der Ausbau der Erneuerbaren sei weiterhin ein langfristiges Projekt. Im Raum steht, ob Frankreich mit seinem Ausbau der Atomenergie nicht am Ende doch strategischer gedacht hat.

NextGenerationEU für eine krisensicherere Zukunft

Ist nun ein Weltwirtschaftscrash wegen des Krieges zu befürchten? Dies sei noch zu schwierig zu beantworten, da Matthes und sein Team noch dabei wären, Prognosen aufzustellen. „Wir hatten ja grade eine Krise, wir wollen aus der Coronakrise heraus. Die EU investiert in Form von NextGenEU. Ist das jetzt alles umsonst?“, fragte Leyhe. Matthes erklärte darauf, dass der NextGenerationEU Aufbaufonds ein Gesamtvolumen von 800 Milliarden Euro hat und primär als mittelfristiger Fonds gedacht wurde, um die EU grüner, digitaler und sozialer aus der Krise herauszuführen. Manche Gelder kämen erst in diesem oder nächsten Jahr und würden sich erst später bemerkbar machen. In jedem Fall ist der Fonds ein starkes Zeichen von Solidarität innerhalb der EU, das es in dieser Form bislang nicht gegeben hat.