Euro Englisch: Sprachvariante mit Zukunft?

Euro Englisch: Sprachvariante mit Zukunft?

Die Europäische Union hat 24 Amtssprachen. Um zu gewährleisten, dass alle EU-Bürger:innen alle Veröffentlichungen der EU verstehen können und dass alle EU-Politiker untereinander kommunizieren können, arbeiten tagtäglich hunderte Dolmetscher:innen und Übersetzer:innen daran, die europäischen Inhalte in die jeweiligen Amtssprachen zu übersetzen. Doch natürlich gibt es im europäischen Alltag Momente, in denen niemand anwesend ist, der angemessene Übersetzungsarbeit leisten könnte. In diesen Situationen ist Englisch nach wie vor die vorherrschende Sprache. In den letzten Jahren hat sich allerdings unter europäischen Nicht-Muttersprachlern eine Variante der englischen Sprache herausgebildet, die sich auf interessante Weise vom Standard-Englisch unterscheidet. Diese Variante wird häufig „Euro Englisch“ genannt. Was hat es damit auf sich? Wir erläutern das Aufkommen des Euro Englisch, seine Eigenheiten und wie es sich in Zukunft entwickeln könnte.

Sprachenvielfalt in Europa und die Notwendigkeit einer gemeinsamen Sprache

Der Multilingualismus der Europäischen Union beruht auf dem demokratischen Grundrecht, dass jede:r EU-Bürger:in Mitglied des Europäischen Parlaments sein kann, auch wenn er oder sie keine Fremdsprachenkenntnisse hat. Schließlich sollen Politiker:innen nach ihren politischen Kompetenzen bewertet werden, und nicht ihren Sprachfähigkeiten. Um zum Beispiel sicher zu stellen, dass alle Abgeordneten des Europäischen Parlaments (EP) über alle für ihre Arbeit notwendigen Informationen verfügen, arbeiten im EP 600 Übersetzer:innen, sowie 270 verbeamtete Dolmetscher:innen. Es wird allerdings regelmäßig auch auf externe Übersetzungs- und Dolmetschungskräfte zurückgegriffen. Außerdem soll es auch allen EU-Bürger:innen möglich sein, die Vorschriften und Gesetzgebungen der EU verstehen zu können, weswegen diese auch in alle 24 Amtssprachen übersetzt werden. Es soll den EU-Bürger:innen auch möglich sein, sich an alle Organisationen und Institutionen zu wenden, ohne Bedenken haben zu müssen, auf Kommunikationsprobleme zu treffen. Die Sprachenvielfalt der EU dient also der Zugänglichkeit der Inhalte und spiegelt die kulturelle Vielfalt der EU-Mitgliedsstaaten wider.

Auch wenn ein so großer Wert auf den Sprachenpluralismus in der EU gelegt wird, gibt es natürlich immer wieder Situationen, in denen niemand anwesend ist, der professionelle Übersetzungsarbeit leistet.  In diesen Fällen sind die Kenntnisse in einer gemeinsamen Sprache unabdingbar. Die Wahl fiel vor Jahren auf natürliche Weise auf die englische Sprache, aus dem einfachen Grund heraus, dass diese von den meisten Personen in Europa verstanden wird. Ganze 38% der Europäer:innen gaben laut einer Eurobarometer-Umfrage im Jahr 2012 an, Englisch sprechen zu können. Damit liegt die Sprache klar vor der zweitplatzierten französischen Sprache mit 12%. Wo also kommt Englisch unter europäischen Nicht-Muttersprachlern zum Einsatz? Zum einen natürlich unter allen Europäer:innen, die Kontakte zu Menschen aus anderen europäischen Staaten haben. Dabei ist es egal, ob diese Kontakte privat, im Beruf oder im Rahmen eines Erasmus-Aufenthalts geknüpft werden. Zum anderen sind aber auch die privaten Gespräche der Politiker:innen und Mitarbeiter:innen in den EU-Institutionen interessant. Denn in diesem Kontext hat sich das sogenannte „Euro Englisch“ herausgebildet, eine Variante der englischen Sprache, die von europäischen Nicht-Muttersprachlern verwendet wird. Die Variante ist zum einen gekennzeichnet durch grammatikalische Einschläge aus anderen europäischen Sprachen, und zum anderen durch spezifisches Vokabular, das in den EU-Institutionen Verwendung findet. Dieses Euro Englisch bildet die gemeinsame Verständigungsgrundlage für Europäer:innen, die nicht dieselbe Muttersprache sprechen.

Die Eigenheiten des Euro Englisch

Betrachtet man das Englisch, das von europäischen Nicht-Muttersprachlern gesprochen wird, fallen zunächst die Einflüsse anderer Sprachen auf die Ausdrucksweise auf. Viele der Merkmale des Euro Englisch können als Fehler werden von Muttersprachlern als Fehler wahrgenommen, obwohl sie bloß reflektieren, dass der/die Sprecher:in Englisch nicht als Muttersprache spricht. Aus diesem Grund wird das Euro Englisch häufig von Sprachpurist:innen kritisiert. Es entspreche nicht der Standardsprache und solle deswegen „korrigiert“ werden. Im Grunde sind die Merkmale des Euro Englisch aber nichts anderes als ein Ausdruck des kulturellen Einflusses, den Nicht-Muttersprachler in ihren Sprachgebrauch ganz natürlich einfließen lassen.

Was sind nun die Merkmale, an denen man den Unterschied zwischen dem Gebrauch eines Muttersprachlers und eines Nicht-Muttersprachlers festmachen kann? Zum einen gibt es grammatikalische Unterschiede. So tendieren europäische Nicht-Muttersprachler dazu, die Verlaufsform eines Verbs zu benutzen in Satzkonstruktion, in denen ein Muttersprachler dies nicht tun würde. So heißt es standardsprachlich „I come from France.“ (Ich komme aus Frankreich) und ein Sprecher des Euro Englisch könnte stattdessen „I am coming from France“ sagen. Ein weiteres Merkmal sind die Frageanhängsel, die im Englischen sehr häufig sind. Wenn es standardsprachlich heißt „She’s on her way home, isn’t she?“ (Sie ist auf dem Weg nach Hause, oder?), so könnte ein Nicht-Muttersprachler etwas sagen wie „She’s on her way home, non?“ Das „non“ ist hier klar aus dem Französischen entlehnt. Außerdem hängen Nicht-Muttersprachler gerne ein „s“ an Pluralformen an, die in der englischen Standardsprache kein „s“ haben. Zum Beispiel ist das Wort „information“ im Englischen ein unzählbares Substantiv und benötigt kein Plural-S. Ein Sprecher des Euro Englisch könnte im Plural allerdings „informations“ sagen. Ein weiteres Merkmal ist die Verwendung von „how“ (wie) anstelle von „what“ (was) in Fragen wie „What do you call that?“ (Wie nennt man das?). Zu solchen grammatikalischen Unterschieden kommen die zahlreichen Unterschiede im Vokabular. So wird zum Beispiel das Wort „possibility“ gerne synonym zu „opportunity“ verwendet (im Deutschen beide: Möglichkeit). Anstatt von „occassional“ (gelegentlich), verwendet man „punctual“ (Standardsprache: pünktlich, verwendet als punktuell). Aus „current“ (aktuell) wird das naheliegende „actual“ (Standardsprache: tatsächlich). Und so setzt sich die Liste fort. Interessant sind auch die Begriffe, die innerhalb der EU-Institutionen entstehen und außerhalb kaum Verwendung finden. Zum Beispiel wird das Wort „Berlaymont“, der Name des Hauptsitzes der Europäischen Kommission gerne synonym für „bureaucracy“ (Bürokratie) verwendet. Oder das Wort „comitology“, das sich vom Wort „committee“ (Komitee) ableitet. Oder der Binnenmarkt, im Englischen „domestic market“ oder „single market“, der im Euro Englisch zum „internal market“ wird.

Viele dieser Ausdrücke erscheinen einem Muttersprachler erstmal als falsch. Unter Nicht-Muttersprachlern kann man sich mit diesen Gebrauchsweisen aber gut verständigen. Wenn eine Person aus Frankreich zum Beispiel „possibility“ anstatt von „opportunity“ verwendet, aufgrund der Nähe zum französischen „possibilité“, so stolpert vielleicht ein englischer Muttersprachler über diesen Ausdruck, während eine Person, die eine andere romanische Sprachen spricht, auch wenn es nicht Französisch ist, aufgrund der Nähe zur eigenen Sprache mit der Formulierung keine Probleme hat (spanisch: posibilidad, italienisch: possibilità, portugiesisch: possibilidade, rumänisch: posibilitate). Die Verwendung der englischen Sprache in Europa ist also sehr flexibel und nicht so sehr an die Vorschriften der Standardsprache gebunden, wie ein Muttersprachler es gewohnt ist. Da Englisch als gemeinsame Sprache Europas verwendet wird, sind die Einflüsse anderer europäischer Sprachen klar erkennbar. Die Frage wird gerne ausgeworfen, ob sich europäische Nicht-Muttersprachler bemühen sollten, standardsprachlich korrektes Englisch zu sprechen, oder ob sie die Einflüsse ihrer eigenen Muttersprache akzeptieren und ihr Euro Englisch bewahren sollten.

Wie sieht die Zukunft aus für Englisch in Europa?

Ursprünglich wurde Englisch mit dem EU-Beitritt des Vereinigten Königreichs im Jahr 1973 zur offiziellen Amtssprache der EU. Nach dem Brexit stand die Frage im Raum, ob die englische Sprache ihren Status als EU-Amtssprache verlieren sollte. Schließlich hatten die beiden anderen Mitgliedsstaaten, in denen Englisch als Amtssprache verwendet wird (Irland und Malta), das Englische aus kulturpolitischen Gründen nicht als EU-Amtssprache nominiert. Stattdessen sind Irisch und Maltesisch offizielle Amtssprachen der EU. Da die englische Sprache allerdings so weitverbreitet gesprochen wird, erscheint es nicht als sinnvoll, ihr den Status als EU-Amtssprache abzuerkennen. So ein Beschluss müsste von allen 27 Mitgliedsstaaten einstimmig beschlossen werden und dieser Fall ist sehr unwahrscheinlich, angesichts der Tatsache, dass zum Beispiel die Mehrheit der irischen Bevölkerung nur Englisch, und nicht Irisch, spricht. Natürlich gibt es auch Vertreter:innen der Haltung, dass Englisch den Status als EU-Amtssprache verlieren sollte. So spricht sich zum Beispiel Clément Beaune, der Europaminister Frankreichs, dafür aus, dass man nach dem Brexit Englisch nicht mehr als gemeinsame Sprache in Europa verwenden sollte, und stattdessen auf sprachliche Diversität setzen sollte. Von vielen Seiten wurde angenommen, dass in seiner Aussage die Andeutung mitschwang, dass die französische Sprache dadurch wieder einen höheren Stellenwert erlangen könnte.

Grundprinzipiell ist es unwahrscheinlich, dass die englische Sprache ihren aktuellen Status in Europa verliert, angesichts der Tatsache, dass sie sehr weitverbreitet verstanden wird. Linguist:innen sprechen allerdings für die Zukunft von einem Abwenden vom standardisierten Britischen Englisch und einer Tendenz zum Euro Englisch, auch wenn dieses für Muttersprachler manchmal „falsch“ klingen kann. Es wird dazu aufgerufen, die Kompetenzen der europäischen Nicht-Muttersprachler als solche anzuerkennen und sich Englisch als gemeinsame europäische Sprache anzueignen, ohne sich darauf zu beschränken, was standardsprachlich korrekt ist. Solange Europäer:innen untereinander weiterhin ihre Variante der englischen Sprache sprechen, hat diese auch eine Zukunft – „I am coming from Europe!“

 

Text: Dorothea Ullrich