„Europa – ich wähle Dich: 40 Jahre Europawahl“ (02.04.2019)
40 Jahre Europawahl. 40 Jahre Stillstand? Oder doch Entwicklung, Vorankommen und Veränderung? Am Dienstagabend, den 2. April 2019, wurde intensiv in einer Fish-Bowl-Diskussion im Dortmunder Rathaus über dieses und weitere spannende Europathemen diskutiert. Besonderer Fokus der Veranstaltung des Europe Direct Dortmund und der Staatskanzlei des Landes NRW lag dabei auf einem Vergleich zwischen der ersten Europawahl 1979 und der aktuellen Wahl am 26. Mai 2019: Wie erleben die Erstwählen*innen von damals und die Erstwähler*innen von heute die diesjährige Europawahl?
Weiterer Schwerpunkt der Diskussion lag auch auf der stetig sinkenden Wahlbeteiligung sowie ihrer Gründe und Lösungsvorschläge. Nach einer Begrüßung durch die Bürgermeisterin der Stadt Dortmund, Birgit Jörder, und Klaus Wegener, dem Präsidenten der Auslandsgesellschaft.de e.V., begann die Diskussion, moderiert von ARD-/WDR-Korrespondent Ralph Sina aus Brüssel. Auf dem Podium nahmen Martin Loberg, Geschäftsführer der Auslandsgesellschaft.de e.V., als Wähler der ersten Europawahl 1979, Nora Varga vom Städtischen Gymnasium Bergkamen als Erstwählerin 2019 und Dr. Ines Soldwisch von der RWTH Aachen als Expertin zum Thema Geschichte des Europäischen Parlaments, Platz. Gemeinsam stellten sie sich auch Fragen aus dem Publikum. Zudem wurde das Kreativprojekt „Dein Europa – deine Stimme“ vom Projektleiter Dirk Schubert vorgestellt.
1979-2019: 40 Jahre Europawahl
Die ersten direkten Wahlen für das Europäische Parlament fanden 1979 statt. Heute, im Jahr 2019, feiert die Europawahl ihr 40-jähriges Jubiläum. In der Fish-Bowl-Diskussion wollten das Europe Direct Dortmund und die Staatskanzlei des Landes NRW von den geladenen Expert*innen wissen, was sich seit damals im Europäischen Parlament und bei den Wahlen verändert hat.
Loberg bezeichnete die Europapolitik des Jahres 1979 als „Symbolpolitik“. Er bezog sich darauf, dass das Europäische Parlament kaum Befugnisse und nur wenig politischen Einfluss hatte. Alle Entscheidungen wurden von der Europäischen Kommission und dem Rat der Europäischen Union gefällt. Dementsprechend habe die EU keine große Rolle im Bewusstsein seines Umfelds gespielt und das Interesse an den Wahlen sei eher gering ausgefallen, so Loberg.
Heute seien die Befugnisse des Europäischen Parlaments deutlich größer, urteilte Dr. Soldwisch. Im Laufe der Jahre habe es eine klare Entwicklung hin zu mehr Entscheidungsmacht gegeben. Ein Beispiel sei die Tatsache, dass das Europäische Parlament mittlerweile Gesetzestexte ändern und abschließend über ihr In-Kraft-Treten entscheiden kann. Allgemein sei aber deutlich, dass seit einigen Jahren immer mehr und immer wichtigere Entscheidungen vom Europäischen Parlament getroffen würden, wie es auch bei der aktuellen Abstimmung zu Artikel 13/17 des Urheberrechts der Fall war.
Habe sich dementsprechend auch die Wahrnehmung der Europawahlen bei der EU-Bevölkerung in ihrer 40-jährigen Geschichte geändert? Diese Frage sei mit einem klaren „Ja“ zu beantworten, sagte Dr. Soldwisch. Mit den zunehmenden Befugnissen des Europäischen Parlaments würden auch sein politischer Einfluss und dessen Aussagekraft wachsen. Die heutigen Wähler*innen könnten sich an das Europäische Parlament wenden und mittlerweile darauf vertrauen, dass dieses ein professionelleres sei, als noch vor 40 Jahren. Heutige Europapolitiker*innen beschrieb Dr. Soldwisch als stark interessiert an europäischen Themen und kompetent bei Sachthemen.
Europa, so wichtig wie nie zuvor
Alle Redner*innen des Abends waren sich einig, dass die Europawahl 2019 ein Kräftemessen der Systeme würde und ein Kampf um den Erhalt von Demokratie. Bereits in ihrem Grußwort sagte Bürgermeisterin Birgit Jörder: „Die wahren Demokraten müssen jetzt auf die Tube treten.“ Damit spielte sie auf das Erstarken von antidemokratischen Kräften in den nationalen Parlamenten in ganz Europa an, welche nun auch in das Europaparlament einziehen wollen, vornehmlich mit dem Ziel, die Europäische Union wie es sie heute gibt zu lähmen.
Umso wichtiger sei das Thema der Wahlbeteiligung, so Dirk Schubert, bei der Vorstellung seines Kreativprojekts „Dein Europa – deine Stimme“. Darüber versuche er, Europa in die Lebenswirklichkeit von Jugendlichen zu integrieren. Vorrangigste Gründe für die sinkende Wahlbeteiligung der letzten Jahre wären zunächst mangelnde Informationen, zum zweiten ein fehlendes Gefühl für die Europäische Gemeinschaft und zum dritten die Skepsis und das mangelnde Vertrauen darin, was Politik bewirken kann. Bei der letzten Europawahl 2014 habe die Wahlbeteiligung bei Jugendlichen unter 21 Jahren beispielsweise bei nur 39% gelegen.
Gründe für die niedrige Wahlbeteiligung gäbe es viele, da waren sich die Referent*innen einig. Varga machte darauf aufmerksam, dass die Politik stärker auf die Interessen von jungen Menschen eingehen müsse. Der aktuelle Einsatz Jugendlicher zu den Themen Umweltpolitik (Fridays for Future Demonstrationen) und Urheberrechtsschutz hätte bewiesen, wie sehr sich die junge Generation mehr Engagement von den Politiker*innen wünsche. Auch wenn sich schon viel getan habe, so müsse die europäische Politik noch mehr Präsenz in den sozialen Medien zeigen, um möglichst viele Menschen in ihrem Alltagsleben zu erreichen.
Bei einer Fish-Bowl-Diskussion gibt es natürlich auch Input von den Gästen. Die kritischen Fragen des rund 65-köpfigen Publikums wurden sachlich und ehrlich von den Referent*innen beantwortet, welche sich nicht scheuten zuzugeben, dass die EU nicht perfekt sei. Vor allem das Thema Lobbyismus sorgte für Kritik im Publikum. Es war den Referent*innen aber möglich, anhand von Beispielen klarzustellen, dass die Politiker*innen im Europäischen Parlament nicht durchweg käuflich seien und häufig auch gegen die Interessen der Wirtschaft handeln würden, wie in jüngster Zeit beim Beschluss über die Schadstoffemissionen.
Zum Ende der Diskussion wurde deutlich, dass Publikum und Referent*innen mit Spannung auf die Europawahl 2019 blickten. Die Hoffnung, mehr Nicht-Wähler*innen zu mobilisieren und den antidemokratischen Strömungen Einhalt zu gebieten, war groß. Es herrschte ein Grundkonsens darüber, dass die EU stärker auf soziale Medien setzen müsse, um eine größere Bandbreite von jungen Menschen zu erreichen. Genauso müsse es Bildungsauftrag sein, den jüngeren Generationen zu zeigen, dass Europa in ihrem Alltag von Bedeutung sei, damit der europäische Einigungsgedanke fortbestehe. Um es mit Nora Vargas Worten abzuschließen: „Wenn ich in 40 Jahren als Zeitzeugin für die Europawahl 2019 hier sitze, möchte ich sagen können, dass es eine gute Wahl war. Ich möchte, dass wir dann immer noch ein Europa haben, in dem es wert ist, zu leben.“
Die Veranstaltung wurde vom Europe Direct Dortmund in der Auslandsgesellschaft.de e.V. gemeinsam mit der Staatskanzlei des Landes NRW, dem Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales des Landes Nordrhein-Westfalen, Dr. Stephan-Holthoff-Pförtner, und der Stadt Dortmund organisiert.
Einen Bericht über die Veranstaltung vom Städtischen Gymnasium Bergkamen finden Sie hier.
Text: Karin Bienkowski, Auslandsgesellschaft.de e.V.
Fotos: © Celine Kutzner, Auslandsgesellschaft.de e.V.