Europa im Fadenkreuz des Terrorismus – Herausforderung und Bekämpfungsmaßnahmen (16.02.2017)

Europa im Fadenkreuz des Terrorismus – Herausforderung und Bekämpfungsmaßnahmen (16.02.2017)

Am 16. Februar 2017 empfing das Europe Direct Dortmund Prof. Dr. Thorsten Müller, Politikwissenschaftler und Soziologe an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW. Er analysierte die aktuelle terroristische Bedrohungslage in Europa und diskutierte mit den anwesenden Gästen über die Ursachen von Terrorismus sowie gemeinsame europäische Bekämpfungsmaßnahmen.

Bedrohungsanalyse: Müssen wir in Europa Angst haben?

„Terror ist die Verbreitung von Angst und Schrecken durch Gewalt, und zwar jede Art von Gewalt, die Gegenreaktionen hervorrufen soll.“, definierte Prof. Dr. Thorsten Müller Terrorismus zu Beginn seines Vortrags.

In Folge terroristischer Anschläge, wie in Berlin, Brüssel oder Paris, würde sich die europäische Bevölkerung ihrer Verletzlichkeit bewusst und wünsche sich mehr Sicherheit. Hier tue sich ein Dilemma auf, denn: Wie sicher können wir in einer freien Gesellschaft sein? So genannte „weiche Ziele“, wie der Berliner Weihnachtsmarkt, Cafés oder Restaurants, seien de facto nicht zu 100% zu schützen.

In diesem Zusammenhang stellte der Referent eine Statistik vor, die die häufigsten Todesursachen in den USA aufzeigt. So ist der Tod durch einen Autounfall, ja selbst durch die falsche Bedienung eines Rasenmähers um einiges häufiger, als der Tod durch einen terroristischen Anschlag. „Aber es ist keine Frage von Statistik. Wenn man die Angst der Menschen mit Hilfe von Statistiken weg reden könnte, dann wäre das Problem gelöst.“, kommentierte der Politikwissenschaftler und Soziologe. „Es ist eine emotionale Frage. (…) Wir müssen hier auf die Gefühle eingehen, auf die Ängste der Menschen.“

Wer begeht terroristische Anschläge in Europa?

Ein Blick auf Anschläge mit islamistischem Hintergrund in der EU in den letzten Jahren zeigt, so Prof. Müller, dass Kommandos bzw. organisierte Terrorist_innen der Gesellschaft besonders im Gedächtnis bleiben – im Gegensatz zu sog. „einsamen Wölfe“ bzw. Einzeltäter_innen, die jedoch zahlenmäßig um einiges größer sind. In Deutschland gebe es im europäischen Vergleich zwar eine geringe Anzahl an Toten durch Terrorismus, aber im Fadenkreuz stehe ja auch nicht Deutschland, nicht ein bestimmter Ort, sondern die westliche Gesellschaft, erinnert der Referent.

Doch woher kommen die Täter_innen? – Sie sind Teil unserer europäischen Gesellschaft, antwortet der Politikwissenschaftler. Und woher in unserer Gesellschaft kommen sie? – Radikalisierung wachse vor allem in Milieus mit hoher Arbeitslosigkeit, in Milieus, in denen die Teilhabe der Menschen an Bildung und Wohlstand nicht gelungen sei.

Salafismus in Europa

In diesem Zusammenhang warf der Referent einen Blick auf den Salafismus und die Frage, warum dieser in letzter Zeit in Europa viele junge Menschen anzieht. Der Salafismus ist eine fundamentalistische, islamistische Strömung, die die Deutungshoheit darüber beansprucht, wie Mohammed den Islam gedacht hat. Es sind drei Strömungen des Salafismus zu unterscheiden: der puristische, der politische und der dschihadistische Salafismus. Ersterer sei völlig unproblematisch, so Prof. Müller, letztere beiden hingegen gefährlich.

Dem politischen Salafismus in Deutschland gehört Pierre Vogel an, dem dschihadistischen Sven Lau. Erst durch die beiden habe der Salafismus in Deutschland in den letzten fünf bis zehn Jahren Auftrieb genommen.

Auch den politischen Salafismus von Pierre Vogel erachtet Prof. Müller als gefährlich an. Es stimme, dass Vogel sich öffentlich immer von Gewalt distanziere. Er strahle jedoch eine unheimliche Attraktivität aus und könne Menschen gut an sich und damit auch den Salafismus binden. Von Vogel sei es nur noch ein kurzer Schritt zum gewaltbereiten Salafismus.

Politischer und dschihadistischer Salafismus zeichnen laut Müller Entwicklungsprozesse nach: Der Weg beginne bei Vogel und ginge in Lau über. Der politische Salafismus sei dementsprechend nicht zu verharmlosen.

Was suchen junge Menschen, die sich radikalisieren, eigentlich?

Anerkennung und Beständigkeit, so der Referent. Dies sei in unserer globalisierten Gesellschaft jedoch nur schwer zu finden.

In diesem Zusammenhang entwickelte sich eine rege Diskussion mit dem Publikum. Eine fehlende Kultur des Scheiterns gekoppelt an hohe Ansprüche der Flexibilität und breiten Kompetenzen an die Jugendlichen sowie den Wunsch, junge Menschen immer früher in den Arbeitsmarkt zu schicken, um angesichts der Globalisierung auf dem Markt Bestand zu haben, wurden als einige Erklärungsgründe mit dem Publikum, das aus vielen Pädagog_innen bestand, diskutiert. Hinzu kamen die Abwertung von Handwerksberufen und die daraus folgende ‚Überakademisierung‘ sowie die Frage, was wir mit denjenigen jungen Menschen machen, die nicht für eine Hochschule geeignet sind.

Was können wir in Europa tun?

Neben Strategien, um die Teilhabe der Menschen an Bildung und Wohlstand in unserer Gesellschaft zu erhöhen, stellte Prof. Müller, der auch Beamter des Innenministeriums ist, konkrete Maßnahmen im Umgang mit dem Salafismus vor: Der deutsche Staat agiere momentan bspw. repressiv, d.h. er verbiete bzw. zerschlage salafistische Organisationsstrukturen. Zudem gebe es verstärkt Kontrollen von identifizierten ‚Gefährder_innen‘. Auch die Kooperation mit Moschee-Vereinen werde ausgebaut, denn man werde durch sie oft erst auf viele Gefährder_innen aufmerksam. Es sei wichtig, den Moscheeverbänden zu signalisieren, dass es sich um ein gemeinsames Problem handele, dass es um ‚unsere‘ Jugendlichen gehe und man mit ihnen, nicht gegen sie, arbeiten wolle. Des Weiteren spreche Deutschland z.B. Ausreiseverbote aus, um radikalisierte Menschen an der Ausreise in IS-Gebiete zu hindern.

Auf die Frage, ob es mehr Polizei brauche, antwortete Müller: „Ja, aber nicht unbedingt uniformierte Polizei, sondern mehr Beamt_innen im Bereich der Cyberkriminalität und des Staatsschutzes.“ Zwar könnten bewaffnete Polizist_innen in der Öffentlichkeit das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger_innen bestärken, im Falle eines terroristischen Anschlags könnten sie jedoch kaum etwas ausrichten.

 

16.02. Nr.2

Foto oben von links nach rechts: Martin Loberg, Geschäftsführer der Auslandsgesellschaft NRW e.V.; Prof. Dr. Thorsten Müller; Lena Borgstedt, Leiterin des Europe Direct Informationszentrums Dortmund; Klaus Wegener, Präsident der Auslandsgesellschaft NRW e.V.

Foto unten: Martin Loberg, Geschäftsführer der Auslandsgesellschaft NRW e.V., und Prof. Dr. Thorsten Müller.

Text: Lena Borgstedt, Auslandsgesellschaft NRW e.V.
Fotos: © Lena Borgstedt, Auslandsgesellschaft NRW e.V.