Fortschritte in der Raumfahrt: Kann die ESA noch mithalten?

Fortschritte in der Raumfahrt: Kann die ESA noch mithalten?

In den USA wird die Kommerzialisierung der Raumfahrt immer mehr vorangetrieben. Milliardäre wie Richard Branson und Jeff Bezos schießen sich zum Vergnügen selbst ins All. Währenddessen stellt sich die Frage: Was macht denn eigentlich die European Space Agency (ESA)? Wo steht Europa im internationalen Vergleich? Wir geben einen Überblick über die Gründung der ESA, ihre Tätigkeitsbereiche und ihre Arbeit in der bemannten Raumfahrt.

Gründung der ESA: Europäische Unabhängigkeit durch eigene Trägerraketen

Zur Zeit des Kalten Krieges lieferten sich die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion einen erbitterten Kampf um die Vorherrschaft im Weltraum. Um im „Space Race“ mitzuhalten, bemühten sich in der Zeit auch einige westeuropäische Staaten, eigene Raumfahrtprogramme auf die Beine zu stellen. Diese blieben allerdings im Vergleich zu den USA und der Sowjetunion technologisch weit zurück. So entstand eine zwischenstaatliche Zusammenarbeit, welche die westeuropäische Raumfahrt international wettbewerbsfähig machen sollte. Nach einigen Vorläufermodellen wurde dann im Jahr 1975 die Europäische Weltraumagentur (European Space Agency: ESA) gegründet. Grund war der Wunsch nach technologischer Unabhängigkeit. Bereits vor der Gründung war es gelungen, einen eigenen europäischen Satelliten ins All zu bringen, jedoch nur mit Hilfe einer amerikanischen Trägerrakete. So war dann auch das erste Projekt der ESA der Bau einer eigenen Trägerrakete, der Ariane, die erstmals im Jahr 1979 startete. Die Raketen des Ariana-Trägersystems bringen bis heute europäische Wetter- und Kommunikationssatelliten in die Erdumlaufbahn und haben dafür gesorgt, dass Europa über ein unabhängiges und umfassendes Satellitennetzwerk verfügt.

Was macht die ESA heute?

Die ESA ist keine Organisation der Europäischen Union. Die Mehrzahl der EU-Mitgliedsstaaten beteiligt sich allerdings an der ESA, weswegen die EU trotzdem eng mit ihr verbunden ist. Insgesamt hat die ESA 22 Mitgliedsstaaten, sowie vier weitere assoziierte Mitglieder, und beschäftigt rund 2.300 Mitarbeiter. Der Sitz der ESA ist in Paris; sie unterhält aber noch mehrere Zentren in verschiedenen Standorten in Europa. Zum Beispiel befindet sich das Satellitenkontrollzentrum der ESA in Darmstadt. Startort für alle europäischen Raketen ist die Stadt Courou im südamerikanischen Überseegebiet Französisch-Guayana. Der Ort wurde aufgrund seiner Nähe zum Äquator ausgewählt, da diese den Start von Raketen erleichtert. Es besteht eine enge Zusammenarbeit zwischen der ESA und anderen Weltraumorganisationen im Rahmen des Consultative Committee for Space Data Systems (CCSDS).

Die Arbeit der ESA lässt sich in drei Aufgabenbereiche aufteilen: Die Erdbeobachtung, die Weltraumforschung und die Telekommunikation. Im Rahmen der Erdbeobachtung überwacht die ESA mit Hilfe von Wettersatelliten die Entwicklung der Umwelt und des Klimas, zum Beispiel mit dem „Copernicus“-Observationssystem. Zum einen umfasst dies Langzeitmessungen von Parametern wie der Eisdecke oder des Magnetfelds und zum anderen die Überwachung von Risiken wie Vulkanausbrüchen oder Fluten. Der Bereich der Weltraumforschung befasst sich mit der Erkundung unseres Sonnensystems und des Alls darüber hinaus. Mit Sonden, Robotern und Teleskopen erforscht die ESA die grundlegenden physikalischen Gesetze des Universums und dessen Zusammensetzung. Im Bereich der Telekommunikation hat die ESA ein umfassendes Netzwerk von Kommunikationssatelliten erschaffen. Außerdem plant die ESA, mit dem Navigationssystem „Galileo“ dem amerikanischen GPS-System Konkurrenz zu machen.

Bemannte Raumfahrt: ESA als Schlusslicht?

Es gibt einen Bereich der Raumfahrt, in dem die ESA im Schatten ihrer internationalen Konkurrenten steht: die bemannte Raumfahrt. Die ESA hat zwar eigene Astronauten, aber keine eigenen Möglichkeiten, diese ins All zu schicken. Vertreten sind europäische Astronauten zum Beispiel auf der internationalen Raumstation (ISS), wo sie in Zusammenarbeit mit Astronauten anderer Weltraumorganisationen Forschung betreiben. Bisher ist die ESA allerdings darauf angewiesen, Mitfahrgelegenheiten ihrer Kollegen in den USA oder in Russland zu nutzen, um ihre Astronauten ins All zu bringen. Doch dies soll sich in Zukunft ändern. Aktuell plant die ESA Vorbereitungen für die eigene bemannte Raumfahrt mit neuen Raketen. Denn sonst droht, dass die ESA den Anschluss an die internationale Konkurrenz völlig verliert. Gerade wegen der Fortschritte von privaten Weltraumorganisationen wie dem von Elon Musk gegründete SpaceX, aber auch, da die Raumfahrt in aufstrebenden Ländern wie China und Indien immer fortschrittlicher wird, soll Europa nicht abgehängt werden. Problematisch wird es allerdings bei der Umsetzung dieses Vorhabens: Zum einen bestehen technische Herausforderungen, die von der ESA zunächst bewältigt werden müssen, und zum anderen sind mit einem solchen Projekt hohe Kosten verbunden. Dadurch, dass andere Projekte der ESA, wie das neueste Modell der Ariane-Trägerraketen, aktuell mehr Kosten schlucken als ursprünglich geplant war, werden die Mittel für Großprojekte wie die eigene bemannte Raumfahrt eng. Außerdem gibt es starke Diskrepanzen zwischen den Forderungen der Industrie und der Arbeit der ESA, was zu Konflikten zwischen den beiden Parteien führt, die den Fortschritt der europäischen Raumfahrt behindern. Nicht zuletzt wäre für mehr Erfolg in der europäischen Raumfahrt ein Konsens unter den ESA-Staaten nötig, die Förderung der ESA oben auf die politische Agenda zu setzen.

 

Text: Dorothea Ullrich