Frankreich in Zeiten wachsender Instabilität (18.02.2025)

Frankreich in Zeiten wachsender Instabilität (18.02.2025)

Frankreich blickt auf ein turbulentes politisches Jahr zurück: Vorgezogene Parlamentswahl, kurze Zeit später ein Misstrauensvotum gegen Premierminister Michel Barnier und nicht zuletzt der erste Gerichtsprozess gegen eine aktive Politikerin. Hinzu kommen ein wankendes Europa und das schwierige Verhältnis zu Deutschland. Am 18. Februar ist Dr. habil. Landry Charrier auf Einladung der Auslandsgesellschaft.de, Europe Direct Dortmund, der Europa Union Dortmund, des Deutsch-Französisches Kulturzentrums Essen sowie der Deutsch-Französischen Gesellschaft Duisburg nach Dortmund gekommen und hat sein Wissen zur politische Situation Frankreichs mit einem breiten Publikum geteilt.

Umstrittene Neuwahlen

Die Europawahlen im Juni 2024 gewinnt die rechtspopulistische Partei Rassemblement National mit großem Vorsprung: Sie erhält rund 31 % der französischen Stimmen. Präsident Emmanuel Macron sieht das als Zeichen und löst die Nationalversammlung auf. Er erntet für diese Entscheidung harte Kritik: „zu Recht“ wie Dr. Charrier festhält. „Denn diese Entscheidung traf er wohl im Alleingang.“

Die Neuwahlen des Parlaments finden bereits wenige Wochen später statt. Der Erfolg des Rassemblement National bleibt wider aller Erwartungen aus. Gewonnen hat hingegen das links-grüne Bündnis Nouveau Front Populaire. Auf dem zweiten Platz liegt das Parteibündnis von Präsident Macron mit dem Namen Ensemble. Erst an dritter Stelle folgt die rechte Partei von Marine Le Pen. Keine der drei Parteien hat die Mehrheit im Parlament erreicht, sodass die Nationalversammlung dreigeteilt bleibt.

Man ist von nun an auf Zusammenarbeit angewiesen. „Das ist in Frankreich nur schwer möglich,“ erklärt Dr. Charrier. Die politische Kultur Frankreichs, die Geschichte sowie die Verfassung des Landes machen es nicht einfach. Der Experte weiß: „In Frankreich ist das Wort Kompromiss ein Synonym für sich kompromitieren.“ Das Land ist seither von großer Instabilität geprägt. Ein Beispiel dafür ist das erfolgreiche Misstrauensvotum und der darauffolgende Regierungswechsel nur drei Monate nach der Parlamentswahl.

Gerichtsprozess gegen Marine Le Pen

Marine Le Pen hat lange eine tragende Rolle im Rassemblement National inne. Gegen sie läuft nun allerdings ein Prozess wegen Veruntreuung von EU-Geldern. „Das hat ihre Position in der Partei erheblich geschwächt“, so Dr. Charrier. Das abschließende Urteil wird Ende März erwartet. „Eine Berufungsklage hätte keine direkten Auswirkungen.“ Eine Verurteilung wäre also mit gravierenden Folgen für Le Pen verbunden. Denkbar wäre beispielsweise die Auflage, dass Le Pen sich fünf Jahre nicht in politische Ämter wählen lassen darf.

Die Klage ist besonders: Erstmals richtet sie sich gegen eine aktive politische Figur. „Gerichtsurteile gegen Politikerinnen und Politiker gab es schon – meist aber erst nach ihrem Karriereende,“ beobachtet der Experte.

Nicht nur ein französisches Problem

„Was wir in Frankreich erleben, erleben wir in ganz Europa,“ hält Dr. Charrier in seinem Vortrag fest. Ein großes Problem sei die zunehmende Polarisierung. Die gibt es überall in der Europäischen Union. „Es wird nun auf Deutschland ankommen,“ so der Experte. Rückblickend hat Bundeskanzler Olaf Scholz viel versäumt – gerade im Blick auf die deutsch-französischen aber auch europäischen Beziehungen: „Der Krieg gegen die Ukraine hätte ihn europäischer machen sollen – er hat ihn transatlantischer werden lassen.“ Auch aus diesem Grund beobachtet man die Bundestagswahlen in Frankreich gespannt. Friedrich Merz hat in der Vergangenheit immer wieder den Kontakt zu dem Nachbarland gesucht. „Er weiß, dass sein Erfolg als Bundeskanzler auch von seinem Verhältnis zu Frankreich abhängen wird,“ erklärt Dr. Charrier. Diese Erkenntnis kann für einen Neustart essentiell sein. Welche Richtung die zukünftige Bundesregierung einschlägt, bleibt abzuwarten.

Text und Bild: Fabia Lulis