„Gleichstellung ist nicht nur am Weltfrauentag“ – Podiumsdiskussion zur Gleichstellung im Berufsleben in Europa (28.06.2017)
“Geht die Tür von meinem Büro auf und ein Mann fragt: ‘Ist hier niemand?'”
Am 28. Juni 2017 ging es in einer spannenden Podiumsdiskussion um die Frage der Gleichstellung zwischen Männern und Frauen im Berufsleben in Europa. Marion Böker (Präsidium des Deutschen Frauenrings e.V., Menschenrechtsexpertin boeker-consult, Berlin), Dr. Zarifa Mamedova (stv. Gleichstellungsbeauftrage der Fakultät Humanwissenschaften und Theologie, TU Dortmund) und Prof. Dr. Martina Stangel-Meseke (Vorsitzende des Vorstands des Dortmunder Forums Frau und Wirtschaft) diskutierten unter der Moderation von Carmen Tietjen (DGB) über die Verwirklichungschancen von Männern und Frauen im Beruf, die Rollenmodelle der Geschlechter, die Entwicklungen der letzten Jahre sowie wann und wie Gleichstellung zwischen den Geschlechtern erreicht werden kann. Die Veranstaltung wurde vom Europe Direct Dortmund und der Auslandsgesellschaft NRW e.V. ausgerichtet. Kooperationspartner waren der DGB Dortmund-Hellweg und die Stadt Dortmund.
Gleichstellung in den EU-Verträgen
Eröffnet wurde die Veranstaltung von Carmen Tietjen. Sie stellte fest, dass die EU viel für die Gleichstellung der Geschlechter getan hat. Schon die Römischen Verträge von 1957 beinhalteten den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen. Der Vertrag von Lissabon (2009) regelt die Gleichbehandlung und -stellung von Männern und Frauen. Auch in der Charta der Grundrechte ist der Grundsatz der Gleichstellung geregelt. Zusätzlich wurden 14 Richtlinien von der EU zum Thema erlassen. Das Problem besteht somit nicht in fehlenden EU-Gesetzen, sondern in der mangelnden und verspäteten Umsetzung durch die Mitgliedsstaaten, welche zahlreiche Vertragsverletzungsverfahren zur Folge hat. „Wir alle wissen, Gleichstellung ist ein vielschichtiges Ziel. Ein Ziel, dass mit den gleichen Rechten und Pflichten auch gleiche Chancen auf Geld, Macht, Zeit und Anerkennung einschließt.“, kommentierte Tietjen.
Gleichstellung als Thema in der Öffentlichkeit
Tietjen erklärte, dass das Thema der Gleichstellung in den letzten Jahren immer präsenter in der Öffentlichkeit geworden sei. Nach dem Spezial Eurobarometer 428 der Europäischen Kommission zur Gleichberechtigung der Geschlechter (2015) nehmen in Deutschland zwei Drittel der befragten Bevölkerung die Ungleichbehandlung der Geschlechter als sehr oder ziemlich verbreitetes Problem wahr. Ähnlich sieht das Ergebnis auch auf EU-Ebene aus.
Situation in Deutschland und im internationalen Vergleich
2014 gab es in Deutschland nach Schweden zwar die zweithöchste Erwerbstätigenquote von Frauen in der EU mit 73%, so Tietjen. Stangel-Meseke erklärt jedoch, dass die Ergebnisse des ersten und zweiten Gleichstellungsberichtes des Bundes in eine ähnlich erschreckende Richtung gehen: Sie zeigen auf, dass es eine ungleiche Verteilung bei Erwerbs- und Sorgearbeit, Einkommen und Vermögen, beruflichen Positionen sowie Verwirklichungschancen und Lebensmodellen zwischen den Geschlechtern gibt. Die deutsche Gesellschaft ist nach wie vor auf Vollzeitarbeit ausgelegt und der Teilzeitsektor stellt weiterhin eine Frauendomäne dar. Dadurch sind hauptsächlich Frauen von Armut und insbesondere Altersarmut betroffen, so Stangel-Meseke.
Von links: Marion Böker (Präsidium des Deutschen Frauenrings e.V., Menschenrechtsexpertin boeker-consult, Berlin), Prof. Dr. Martina Stangel-Meseke (Vorsitzende des Vorstands des Dortmunder Forums Frau und Wirtschaft), Lena Borgstedt (Europe Direct Dortmund), Carmen Tietjen (DGB) und Dr. Zarifa Mamedova (Stv. Gleichstellungsbeauftrage der Fakultät Humanwissenschaften und Theologie, TU Dortmund)
Frauen im Berufsleben
Junge Frauen haben gute Noten sowie Bildungsabschlüsse und starten gut in den Berufseinstieg, aber kurz darauf treten Probleme auf. Was passiert?, fragte Tietjen.
Böker antwortete, dass dies an der klassischen Geschlechterrollenverteilung liege. Aufgrund von Pflegearbeit und Kindererziehung befinden sich mehr Frauen als Männer in Teilzeit. Laut UNO betreffe eine sog. „Zwangsteilzeit“ rund 32% der Frauen, jedoch nur 8,2% der Männer. Dies habe Altersarmut zur Folge. Viele Frauen würden die Geschlechterstereotypisierungen im Alltag zudem nicht erkennen. Böker wünschte sich, dass es ein Fach in der Schule gäbe, welches Tipps und Hilfestellungen zur Eigen- und Selbstständigkeit von Frauen vermittelt, damit diese nicht in der Altersarmut landen. „Man sollte das Leben von hinten denken“, sagte sie, d.h. schon früh über die Rente nachdenken und was man tun kann, um als Frau nicht in Armut zu landen.
Für Dr. Mamedova ist es sehr wichtig, über das Thema Gleichstellung zu sprechen, d.h. im Alltag ein Bewusstsein dafür zu entwickeln und immer wieder die existierenden Rollenmodelle zu hinterfragen. Dr. Mamedova fragte zum Beispiel, warum Männer im Berufsleben als konkurrenzfähig wahrgenommen werden, wenn sie die Ellenbogen ausfahren, während Frauen bei einem solchen Verhalten Stutenbissigkeit nachgesagt wird.
Stangel-Meseke brachte außerdem ein, dass die Globalisierung und die damit einhergehende Beschleunigung von Bildungsgängen zu einem Nachdenken über die eigene und die nationale Identität sowie zu einer Retraditionalisierung der Familie und der Rollenverteilung geführt haben.
Maßnahmen gegen Diskriminierung der Geschlechter
Böker postulierte als einen Lösungsweg, verstärkt wissenschaftlich darzustellen, wie und wodurch Diskriminierung abläuft und Prozesse zu formalisieren. Ein Beispiel seien anonymisierte Bewerbungen. Sie forderte, dass der Anteil in den einzelnen Berufsfeldern gleich zwischen Männern und Frauen verteilt sein sollte. Der Zugang und die Verteilung in den Bereichen sollten gleich geregelt sein. Dies begründete Böker mit der Tatsache, dass wenn Frauen 80% in der Ingenieursberufen ausmachen würden, die Ingenieursberufe abgewertet und schlecht bezahlt werden würden. Eine Umorientierung in den Berufsfeldern sei somit keine Lösung. Böker setzte sich für mehr Quoten, Anreize, Gesetze und Sanktionen ein. Sie forderte eine gesetzliche 50%-Quote von Frauen in den Parlamenten.
Rolle der Frau
Wir müssen uns überlegen, wie wir als Frau sein wollen und in welchem Lebensmodell wir leben und arbeiten wollen, so Stangel-Meseke. Wollen wir in Teilzeit oder Vollzeit arbeiten oder uns hauptsächlich ehrenamtlich engagieren?
Eine Besucherin stellt die Frage nach der Gleichstellung als „tagtäglichen Kampf“ dar, der sie oft müde und frustriert mache. Sie sagte, dass viele in ihrem Umfeld nicht für das Thema sensibilisiert seien und ihnen nicht auffalle, dass sie diskriminiert werden.
Eine andere Frau fügte hinzu, dass sich aus ihrer Sicht vieles nach und nach zum Positiven verändere: „Zunächst sind das ganz kleine Änderungen, das wird aber noch einiges nach sich ziehen.“
Die Referent*innen waren sich einig, dass einiges schon erreicht sei, aber auch noch vieles zu tun sei, bis eine vollkommene Gleichstellung in Europa erreicht ist.
Text: Svenja Hennigfeld
Fotos: © Lena Borgstedt / Auslandsgesellschaft NRW e.V.