Humanitäre Hilfe: Wie unterstützt die EU?

Humanitäre Hilfe: Wie unterstützt die EU?

22,8 Millionen Afghan:innen werden laut einem Bericht des UN-Welternährungsprogramms ab November nicht genug zu essen haben. Bevor die Taliban das Land übernahmen, war Hunger bereits ein weitreichendes Problem in vielen Teilen der afghanischen Bevölkerung. Aber wegen des laufenden Konflikts benötigt nun fast die Hälfte der afghanischen Bevölkerung humanitäre Hilfe. Der internationale Währungsfonds rechnet im nächsten Jahr mit einem Einbruch der afghanischen Wirtschaft. Der Hauptgrund dafür ist das Ausbleiben internationaler Hilfsgelder. Diese hatten etwa 80% der afghanischen Ausgaben finanziert und wurden nach der Übernahme der Taliban ausgesetzt.

Obwohl die EU ursprünglich beteuert hatte, kein Geld in ein von den Taliban kontrolliertes Afghanistan zu überweisen, gibt es nun aufgrund der schlimmen humanitären Lage der afghanischen Bevölkerung, doch EU-Hilfe. Während des G20-Treffens kündigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein Hilfspaket von einer Milliarden Euro für die Bevölkerung Afghanistans und seine Nachbarländer an. Diese haben geflüchtete Afghan:innen aufgenommen und sollen so bei der Migrationssteuerung und Terrorismusprävention unterstützt werden.

Wie funktioniert humanitäre Hilfe der EU?

Die Europäische Union stellt weltweit die meiste humanitäre Hilfe bereit. Die Hilfe beinhaltet drei Hauptbereiche: die Nahrungsmittelhilfe, Soforthilfe und Hilfe für Flüchtlinge und Vertriebene. Außerdem setzt die humanitäre Hilfe der EU einen besonderen Fokus auf Kinderrechte.

2007 wurden mit der Unterzeichnung des „Europäischen Konsens über die humanitäre Hilfe“ durch die Europäische Kommission, den Rat und das Parlament die Bedingungen für die humanitäre Hilfe der EU festgelegt, so dass die Hilfe zukünftig effektiver und quantitativer organisiert werden kann. Die Ziele wurden festgelegt auf Lebensrettung, das Verhindern und Lindern von Leid und Hilfe zur Wahrung der Menschenwürde. Außerdem wurde zugestimmt, die Hilfe auf den vier Grundsätzen der humanitären Hilfe aufzubauen: Menschlichkeit, Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit.

Die EU verpflichtet sich, das humanitäre Völkerrecht zu respektieren. Die Mitgliedstaaten und die Europäischen Institutionen setzen sich das Ziel, koordiniert zusammen zu arbeiten, sich zu ergänzen und die Vereinten Nationen zu unterstützen. Mögliche Hilfeleistungen sind Vorbereitung und Risikominimierung von humanitären Katastrophen und Notfallmaßnahmen. Durch die Beachtung des Konsenses in der EU Politik haben sich die humanitäre Hilfe und der Informationsaustausch verbessert.

Wer ist für die humanitäre Hilfe der EU zuständig?

Humanitäre Hilfe im Rahmen der EU wird von dem Europäischen Amt für humanitäre Hilfe (ECHO) organisiert. Das Amt für humanitäre Hilfe der Europäischen Gemeinschaft wurde 1992 gegründet. Seitdem wurden humanitäre Hilfsprojekte in über 100 Drittländern finanziert. 1999 wurde das Amt in die Europäische Kommission eingegliedert. Durch den Vertrag von Lissabon wurde es zur Generaldirektion. Generaldirektionen sind Fachabteilungen innerhalb der Europäischen Kommission, welche für ihre zuständigen Bereiche Strategien, Rechtsvorschriften und Förderprogramme der EU entwickeln, realisieren und lenken.

Neben der humanitären Hilfe für Drittländer ist die Generealdirektion ECHO auch für den Europäischen Katastrophenschutzmechanismus zuständig. Dieser regelt einen Zuschuss für Maßnahmen zur Prävention und Folgenbewältigung von Katastrophen innerhalb und außerhalb der Mitgliedstaaten. Das Katastrophenschutzverfahren wurde in seinem 20-jährigen Bestehen bereits 500 Mal angewendet, allein 2020 fanden 102 Aktivierungen statt. Eine kürzlich erfolgte Anwendung stellt die Rückholung von EU-Bürger:innen dar, welche nach Ausbruch der Corona-Pandemie aus 85 Ländern ausgeflogen wurden. Mit Hilfe von 400 Flügen wurden über 100.000 Europäer:innen in die EU zurückgeholt. Zurzeit unterstützen einige EU-Mitgliedstaaten im Zuge des EU-Katastrophenschutzverfahrens Rumänien mit einer Bereitstellung von Medikamenten, Beatmungsgeräten und anderen medizinischen Gütern. Auch Nicht-Mitgliedstaaten wie Tunesien und Namibia wird durch das Verfahren bei der Bewältigung der Pandemie geholfen.

Die GD ECHO hat über 40 Außenstellen. Ihre Aufgabe ist es, humanitäre Hilfe zu finanzieren, zu verwalten und sicherzustellen, dass die Mittel bei den betroffenen Bevölkerungen wirklich ankommen. Die tatsächliche Durchführung wird von Partnerorganisationen übernommen, wie dem roten Kreuz. Die EU finanziert humanitäre Hilfe für 200 Partnerorganisatoren, wie NGOs, internationale Organisationen und Agenturen der Vereinten Nationen.

2014 leistete die Europäische Union humanitäre Hilfe im Wert von 1,27 Milliarden Euro für Menschen aus 80 Ländern. Dies erfolgte unter anderem durch Bereitstellung von Nahrungsmitteln und wichtigen Nährstoffen, medizinische Hilfe und psychosoziale Betreuung, Wasser- und Sanitärversorgung, Unterkunft, Notreparaturen an der Infrastruktur, Minenräumung und Bildung.

Das Budget des Europäischen Amtes für humanitäre Hilfe beläuft sich jährlich auf etwa eine Billion Euro. Der genaue Betrag wird jedoch vom Europäischen Parlament und Rat festgelegt. Darüber hinaus gibt es bei unvorhersehbaren Ereignissen zusätzlich eine Soforthilfereserve, mit welcher humanitäre Hilfe finanziert werden kann. Außerdem gibt es noch den Europäischen Entwicklungsfonds und direkte Beiträge von einzelnen EU-Mitgliedsstaaten.

Wo hilft die EU noch?

Zurzeit sind etwa 170 Millionen Menschen weltweit auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Zahl der hilfsbedürftigen Menschen steigt aufgrund von Konflikten, einer wachsenden Anzahl von Flüchtlingen und Naturkatastrophen, die durch den Klimawandel ausgelöst werden. Die Europäische Union leistet derzeit humanitäre Hilfe in mehr als 80 Ländern. Die Generaldirektion ECHO ist neben Afghanistan aktuell insbesondere noch in 3 weiteren Ländern aktiv: in Syrien, Äthiopien und im Jemen.

In Syrien benötigen 13,4 Millionen Menschen humanitäre Hilfe, fast 60% der syrischen Bevölkerung erleben einen Mangel an Lebensmitteln. Über 12 Millionen Syrer:innen mussten ihre Heimat wegen des Krieges verlassen, wobei die Mehrzahl innerhalb des eigenen Landes Zuflucht sucht. Die Menschen, die in ihre Heimat zurückzogen, kämpfen durch die zusammengebrochene Wirtschaft unter anderem mit Hunger, einer mangelnden Gesundheitsversorgung und fehlendem Schutz. 2021 hat die EU 130 Millionen Euro für die humanitäre Hilfe in Syrien bereitgestellt. Die Hilfe wird von 40 Partnerorganisationen innerhalb Syriens gelenkt. Diese konzentrieren sich auf Gesundheitsversorgung, Nahrungsmittelhilfe, Zuflucht, Wasserversorgung und Hygiene, psychosoziale Unterstützung, notwendige Haushaltsgegenstände, Bildung und Schutz für die syrische Bevölkerung. Die EU finanziert humanitäre Hilfe auch in Jordanien, Libanon, Irak, Ägypten und der Türkei, welche die meisten syrischen Flüchtlinge aufgenommen haben.

Seit November 2020 herrscht in Äthiopien ein militärischer Konflikt zwischen der Volksbefreiungsfront in Tigray und der äthiopischen Regierung. Im Zuge der Tigray-Krise benötigt fast 15% der äthiopischen Bevölkerung Nahrungsmittelhilfe. Durch die Corona-Pandemie steigen die Nahrungsmittelpreise, was die Situation weiter verschlimmert. Die EU hat 2021 über 85,2 Millionen Euro für humanitäre Projekte in Äthiopien bereitgestellt. Dieses Geld wird hauptsächlich für Schutz, Nahrungsmittelhilfe, sicheres Wasser, Unterkünfte, lebensnotwendige Güter, Ernährungshilfe und Gesundheitsfürsorge, Krankheitsvorsorge und Bildung verwendet.

Im Jemen kämpfen die Huthi-Rebellen um Unabhängigkeit. Die jemenitische Regierung wird im Konflikt gegen die Rebellen unter anderem von Saudi-Arabien unterstützt. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind 400.000 jemenitische Kinder gefährdet, zu verhungern. Zweidrittel der Gesamtbevölkerung sind auf Hilfe angewiesen. 2021 hat die EU 134 Millionen Euro für humanitäre Hilfe bereitgestellt. Das Geld wird unter anderem für Ernährung, Gesundheit und Bildung der jemenitischen Bevölkerung verwendet. Darüber hinaus werden Flüchtlingen, die durch den Jemen nach Saudi-Arabien flüchten, Notfallmaßnahmen und grundlegende Gesundheitsversorgung bereitgestellt.

Nach Afghanistan schickte die EU letzte Woche eine weitere humanitäre Luftbrücke, um dringend benötigte medizinische Güter und Nahrungsmittel in das Land zu bringen. Die Helfer brachten medizinische Ausrüstung, unter anderem Behandlungssets für Covid-19, welche von UNICEF, Save the Children und der Weltgesundheitsorganisation gespendet wurden. Die EU finanzierte bereits zwei Luftbrücken, die auch medizinisches Material lieferte. Die Lage für die afghanische Bevölkerung verschlechtert sich allerdings weiter und wenn die Hilfe nicht ausgeweitet wird, warnt das WFP, werden Menschen verhungern.

 

Text: Luise Blessing