2019_06_18 Macron Revolution

Ist Macrons Révolution schon am Ende? – Frankreich nach der Europawahl (18.06.2019)

Am 18. Juni 2019 kam ein kleines Stück Frankreich in das Europe Direct Dortmund: Michaela Wiegel, Auslandskorrespondentin der FAZ sowie Frankreich- und Macron-Expertin, war zu Gast. Schon vor der Europawahl sah alle Welt nach Frankreich, als die Proteste der ‚Gelbwesten‘ durch das Land zogen. Aber auch heute, nach der Europawahl, kann man immer noch mit Spannung auf die dortigen Entwicklungen schauen. Macron ist für seine Reformen bekannt, aber ist seine Révolution nun zu Ende? Wiegel ist mit uns in einer spannenden Diskussion die Geschehnisse durchgegangen.

„Die Verbindung zwischen Frankreich und Deutschland ist wesentlich für die Zukunft der EU“, leitete Rainer Frickhöfer, Vizepräsident der Auslandsgesellschaft.de e.V., die Veranstaltung ein. Frankreich sei ein wichtiger Teil Europas und die EU ohne eine deutsch-französische Freundschaft so nicht möglich. An diesem Abend gehe es vor allem um die Ergebnisse der Europawahl 2019, die nicht so ausgegangen seien, wie Macron sie sich wünschte, kündigte Frickhöfer an.

2019_06_18 Macrons Revolution

Rainer Frickhöfer, Vizepräsident der Auslandsgesellschaft.de, begrüßte die zahlreich erschienenen Gäste („Ist Macrons Révolution schon am Ende?“ 18.06.2019).

Aus dem Nichts in den Élysée-Palast

„Ich freue mich, an diesem südfranzösischen Sommerabend hier zu sein“, begann Wiegel ihren Vortrag. Sie hätte Macron am liebsten mitgebracht, er sei aber leider verhindert und entschuldige sich für seine Abwesenheit, scherzte sie. Vor allem die Reise nach Dortmund freue sie sehr, denn Macron selbst habe schon einige Zeit hier verbracht. Macron sei, was viele nicht wissen, während seiner Schulzeit zweimal im Rahmen eines Schüleraustauschs nach Dortmund gekommen. Seine Erfahrungen in Dortmund und Deutschland müssen insgesamt wohl positiv gewesen sein, so Wiegel, denn Macron suche auch jetzt als französischer Präsident viel Kontakt zu Deutschland und dessen Politik. Insgesamt sei er ein Senkrechtstarter gewesen, sagte die Referentin: „Aus dem Nichts direkt in den Élysée-Palast.“ Nach seiner Ernennung zum Präsidenten Frankreichs sei es aber zu Kritik an Macron gekommen; zur Europawahl 2019 habe man eine Wiederauferstehung der Republikaner erwartet. „Überraschenderweise wurden die Parteien aus dem Jahr 2017 bestätigt.“, kommentierte Wiegel. Die rechte Partei Rassemblement National (kurz: RN) sei zwar die stärkste Kraft, Macron liege mit seiner Partei aber nur 0,7 Prozentpunkte dahinter. Die Stärke des RN und seiner Vorsitzenden Marine Le Pen sei verstörend, so Wiegel, Macrons weitere Regierungsfähigkeit aber erstmal nicht gefährdet. „Dabei schien Macron schon von allen abgeschrieben worden zu sein.“, kommentiert die FAZ-Korrespondentin.

In diesem Zusammenhang kam sie auf die Proteste der ‚Gelbwesten‘ zu sprechen. Wiegel habe miterleben können, wie diese sich immer mehr aufbauten und erzählte von den Anfängen der Bewegung. Macron habe von Anfang an darauf geachtet, wie er vor den Bürger*innen des Landes auftrat. Es sei ihm wichtig gewesen, eine Art Hochwürdigkeit und Autorität auszustrahlen. „Doch die Grenze zwischen ‚hochwürdig‘ und ‚abgehoben‘ ist fließend.“, erzählte Wiegel. Auf seinen Reisen durch das Land sei Macron eher wie ein „Operettenpräsident“ empfunden worden, seine Besuche seien eher persönliche Paraden gewesen. Durch seine Idee, die Benzin- und Ölpreise zu erhöhen, sei die Wut der Leute zusätzlich gestiegen. „Sie fühlten sich abgehängt.“, kommentierte Wiegel. Der Präsident habe den Kontakt zu den Menschen verloren, also seien sie auf die Straße gegangen. „Aber eine Panne auf dem Weg in den Abgrund kann lebensrettend sein.“ Macron habe durch die Proteste der Gelbwesten neu überdenken müssen, wie er in Zukunft vorgehen wolle. Er habe als Reform Straßendebatten organisiert, welche überall im ganzen Land stattfanden und auch selbst an ihnen teilgenommen. „So wurde die wildgewordene Straßenkultur in etwas Zivilisiertes umgewandelt.“, erklärte die Referentin. Und dieser Reformprozess sei nach diesen Ereignissen weiter gegangen. „Es ist erstaunlich, wie gezielt Macron sein Land reformiert.“, erzählte Wiegel. Neben Reformen in der Arbeitsmarktpolitik habe er zum Beispiel die Klassengröße von Grundschulen in sozial benachteiligten Bezirken verringert. Außerdem plane er, das deutsche Abitursystem in Frankreich einzuführen.

2019_06_18 Macron Revolution

Michaela Wiegel spricht über die Anfänge und Entwicklungen der Präsidentschaft Macrons („Ist Macrons Révolution schon am Ende?“ 18.06.2019).

Der Widerstand der deutschen Politik

Im Rahmen von Reformen sei es wichtig, bereit zu sein, Altbewährtes zu verändern, sagte Wiegel. Doch auf europapolitischer Ebene gebe es hier viel Widerstand, vor allem auch von Seiten Deutschlands. Sie bedauerte: „Die meisten Vorschläge Macrons wurden zerredet oder gleich komplett verworfen.“ Der Vorschlag zur Reform der Eurozone sei von Deutschland nur innerhalb einer Minimallösung angenommen worden. Wiegel verstehe die Zögerlichkeit nicht. „Hat die deutsche Politik Angst, dass die Wählerschaft nicht mitzieht? Ich weiß es nicht.“, kommentierte Wiegel. Man verharre lieber, als in die gereichte Hand Macrons einzuschlagen. So kam sie zum Fazit und zur Beantwortung der Hauptfrage des Abends: Ist Macrons Révolution schon am Ende? Diese Frage müsse man gespalten beantworten. Innerhalb des Landes seien die Reformen Macrons nicht gescheitert. Auf europapolitischer Ebene sei die Révolution aber mit der jetzigen deutschen Bundesregierung fehlgeschlagen.

Die Veranstaltung wurde vom Europe Direct Dortmund in der Auslandsgesellschaft.de e.V. mit der Deutsch-Französischen Gesellschaft Dortmund und der Europa-Union Kreisverband Dortmund e.V. organisiert.

 

Text von: Celine Kutzner, Auslandsgesellschaft.de e.V.

Fotos: © Karin Bienkowski, Auslandsgesellschaft.de e.V.