Deutsche Europapolitik nach der Bundestagswahl (25.03.2025)

Deutsche Europapolitik nach der Bundestagswahl (25.03.2025)

Im Februar hat Deutschland einen neuen Bundestag gewählt. Bereits im Wahlkampf standen außenpolitische Themen immer wieder auf der Tagesordnung. Wie geht es weiter? Vor welchen Herausforderungen steht die neue Bundesregierung? Wie werden sich die europäischen, aber auch die transatlantischen Beziehungen weiterentwickeln? Bei unserer Online-Veranstaltung am 25. März haben wir nach Antworten auf diese Fragen gesucht. Moderator Jochen Leyhe sprach mit dem Europa-Experten und Politikwissenschaftler Siebo Janssen.

Europafeindliche Parteien gewannen dazu

„Die Ampelparteien wurden deutlich abgewählt“, stellt Moderator Jochen Leyhe fest. Die SPD erzielte mit nur 16,4 % der Stimmen ihr historisch schlechtestes Ergebnis, und auch die Grünen mussten mit einer Niederlage leben, da sie lediglich 11,6 % der Stimmen erhielten. Die FDP scheiterte sogar an der Fünf-Prozent-Hürde und schied somit aus dem Bundestag aus. Auch wenn sie mit 28,5 % ihr zweitschlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl zu verzeichnen hatten, gingen CDU und CSU als Gewinner hervor. Auch die AfD konnte sich über einen Stimmenzuwachs freuen und erreichte 20,8 %. Am anderen politischen Rand freut man sich ebenfalls, denn Die Linke ging mit 8,8 % aus der Wahl hervor. Obwohl die junge Partei BSW es nicht in den Bundestag schaffte, konnte sie dennoch Zuwächse verzeichnen. „Insgesamt haben europafeindliche Kräfte an Unterstützung gewonnen“, fasst Leyhe das Wahlergebnis zusammen.

Siebo Janssen bestätigt diese Wahrnehmung: „Die Linke ist zwar nicht EU-feindlich, vertritt aber durchaus eine kritische Position. Allein mit der AfD und dem BSW, die wirklich europafeindlich sind, hat diese Position 25 % bekommen.“ Aktuell verhandeln Union und Sozialdemokraten über eine mögliche Koalition. Bis diese Verhandlungen abgeschlossen sind, ist nicht sicher, ob der CDU-Spitzenkandidat Friedrich Merz der nächste Bundeskanzler wird. Wahrscheinlich ist es aber.

Europa schaut auf Friedrich Merz

In der Europäischen Union wurde das Ergebnis der Bundestagswahl überwiegend mit Erleichterung aufgenommen. „Merz galt als der entscheidungs- und handlungsfreudigste Kandidat“, so Janssen. Besonders in der Außen- und Sicherheitspolitik vertraut man ihm.

Vor allem in Deutschlands Nachbarländern Frankreich, Belgien und den Niederlanden war allerdings auch Beunruhigung zu spüren. „Sie haben gesehen, wie sich Merz am Ende des Wahlkampfs der AfD angenähert hat.“ Es ist kein Geheimnis, dass rechtspopulistische Parteien in der EU an Zustimmung gewinnen, aber in Deutschland hat dies aufgrund des historischen Kontextes eine besondere Bedeutung.

Ein Weckruf für Europa

„Wird mit der neuen Regierung alles besser?“, fragt Leyhe. „Zumindest hat Merz erkannt, dass wir uns nicht länger auf die Vereinigten Staaten verlassen können.“ Das ist von entscheidender Bedeutung, denn das Verhältnis zu dem Partner in Übersee befindet sich in einem kritischen Zustand. „Die transatlantischen Beziehungen sind Hirntod“, kommentiert Janssen. Er verweist damit auf den französischen Präsident Emmanuel Macron, der die NATO bereits im Jahr 2019 ebenso bezeichnete. Besonders die Beziehung zu den USA hat sich in den letzten Jahren weiter verschärft. Erst kürzlich gehen US-Präsident Donald Trump und sein Vize J.D. Vance bei einem Treffen im Weißen Haus verbal auf den ukrainischen Präsident Wolodymyr Selenskyj los. Inzwischen sind außerdem interne Regierungschats an die Öffentlichkeit gelangt – in diesen bezeichnet Vance Europa als „Schmarotzer“. Währenddessen finden Verhandlungen mit Russland noch immer ohne europäische Beteiligung statt. „Das war auch ein Weckruf für Europa“, beobachtet Janssen.

Die Strategie „America First“ ist jedoch nicht neu. Schon frühere US-Präsidenten forderten Europa auf, mehr Verantwortung zu übernehmen. Dass die USA ihre nationalen Interessen stärker in den Vordergrund stellen, „wird sich wohl so schnell nicht ändern“.

Die deutsch-französische Freundschaft ist entscheidend

Aber nicht nur die transatlantischen Beziehungen stellen eine große Herausforderung dar, auch die deutsch-französische Freundschaft wird für die neue Regierung von Bedeutung sein. „Sie ist entscheidend für das Funktionieren der Europäischen Union“, so Janssen. Olaf Scholz hat während seiner Amtszeit einiges versäumt. Janssen ist sich aber sicher: „Das Verhältnis von Friedrich Merz und Emmanuel Macron wird besser sein“. Bereits während des Wahlkampfs ist Merz auf Frankreich zugegangen. Um die Probleme in der Europäischen Union anzugehen, müssen die beide Länder gemeinsame Sache machen. „Wenn Merz und Macron das nicht schaffen, sehe ich schwarz für die europäische Integration“, gibt Experte Janssen eine Einschätzung ab. Ob Macron im eigenen Land genügend Rückhalt hat, bleibt abzuwarten. Im Jahr 2027 finden in Frankreich die nächsten Präsidentschaftswahlen statt. Von wem er dann abgelöst wird, ist unklar. Ebenso ist nicht sicher, welche außenpolitische Position das Land dann einnehmen wird. „Es sind noch zwei Jahre, in denen man das Ruder rumreißen kann.“

„Wir müssen Verantwortung übernehmen“

„Die USA wollen weniger Verantwortung übernehmen, muss die EU dann mehr leisten?“, fragt Leyhe. „Ja, und Merz hat das verstanden“, bestätigt Janssen. Besonders wichtig ist es, eine gemeinsame Linie mit den europäischen Partnern zu finden. „Das ist die letzte Chance für Europa“, glaubt der Experte. Eine Koalition der Willigen, wie sie aktuell wieder diskutiert wird, birgt jedoch Gefahren. Die EU braucht die Solidarität ihrer Mitgliedstaaten, und wenn diese nicht aufrechterhalten wird, könnte dies zu einer weiteren Spaltung führen. Länder wie Ungarn, die regelmäßig Veto einlegen und so europäische Entscheidungen aufhalten, kann man auf verschiedene Wege umgehen. Nichtsdestotrotz würde das bedeuten, dass die EU nicht mehr geschlossen auftritt. „Und das zeigt Schwäche, die wir uns nicht mehr leisten können“.

Insbesondere in der Außenpolitik brauche Europa eine geeinte Position. „Wir müssen sicherstellen, dass wir unsere eigene Sicherheit gewährleisten können“, erklärt der Politikwissenschaftler. Das bedeute jedoch, dass einige Länder ihre Souveränität in bestimmten Bereichen abgeben müssen – und dafür ist Vertrauen erforderlich. „Auch in Deutschland wird es noch Diskussionen darüber geben, weil viele nicht genau wissen, welche Konsequenzen das hat“, so Janssen. Das Land hat sich in der Vergangenheit häufig hinter seiner Geschichte versteckt. Doch heute kann es sich nicht mehr einfach herausnehmen. „Es geht nicht mehr ohne Deutschland. Wir müssen Verantwortung übernehmen.“

Deutschland spielt eine Schlüsselrolle in der Europäischen Union. Die Entscheidungen der nächsten Bundesregierung werden weitreichende Auswirkungen haben. Siebo Janssen betont: „Wenn wir das Land wieder auf Spur bringen, ist auch für Europa und die transatlantischen Beziehungen was gewonnen.“

Text: Fabia Lulis