
NextGenEU vor Ort: MY TURN. MY CAREER.
Das Projekt „MY TURN. MY CAREER.“ bietet kostenlose Beratung, Begleitung und Unterstützung von Frauen für Frauen und wird im Rahmen des Programms „MY TURN – Frauen mit Migrationserfahrung starten durch“ durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und über den Europäischen Sozialfonds Plus (ESF Plus) als Teil von NextGenerationEU gefördert.
Das Projekt richtet sich an Frauen mit Migrationserfahrung und arbeitet im Projektverbund an mehreren Standorten in der Projektregion Westfälisches Ruhrgebiet (Dortmund, Kreis Unna, Hamm) um Frauen die Integration in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Wir haben mit Çiler Fırtına vom Multikulturellen Forum e. V. sowie Friederike Bamberg und Charline Grafe von der Werkhof gGmbH über das Projekt gesprochen.
Steckbrief
Name des Projekts: MY TURN. MY CAREER. Frauen mit Migrationserfahrung: Potenziale für den Arbeitsmarkt
Träger: Multikulturelles Forum e.V.
Teilvorhabenpartner: Werkhof-Projekt gGmbH, Kolping-Bildungszentren Westfalen gGmbH, IN VIA Unna e.V. Katholischer Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit, Werkstatt im Kreis Unna GmbH, Dobeq – Dortmunder Bildungs-, Entwicklungs- und Qualifizierungsgesellschaft mbH
Kooperationspartner: Jobcenter, Arbeitsagentur, Träger von Kinderbetreuungseinrichtungen, Betrieben und Ausbildungseinrichtungen, unterschiedlichste Akteure in den unterschiedlichen Sozialräumen Innenstadt und Stadtbezirk Scharnhorst, Wirtschaftsförderung, IHK
Förderprogramm: Europäischer Sozialfonds Plus (ESF Plus)
Ziel des Projekts: Zugewanderte Frauen zu orientieren, zu ermutigen und auf ihrem Weg in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, Qualifizierung oder Ausbildung zu begleiten
Projektmaßnahmen:
- Einzelcoachings,
- Empowermentangebote: Gruppenangebote, Workshops & Kurse zu verschiedenen Themen, Vermittlung digitaler und sprachlicher Basiskompetenzen, Kommunikations-, Bewerbungstraining, Information über Strukturen, Systeme und Angebote im Sozialraum
- Empowerment von Frauen, ihre Fähigkeiten und Ressourcen zu erkennen und zu nutzen
- Beratung zur Vereinbarkeit von Qualifizierung & Beruf mit Familie
- Unterstützung bei der Suche nach Kita-, Schulplätzen (Lotsenstelle Kinderbetreuung)
- Unterstützung bei der Suche nach, Ausbildungs-, Praktikums- und Arbeitsplätzen sowie wohnortnahen Qualifizierungs- und Unterstützungsangeboten
- Vermittlung in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung
Besuchen Sie auch die Projektwebsite: www.myturn-mycareer.de
Interview mit den Projektmitarbeiterinnen Çiler Fırtına, Friederike Bamberg und Charline Grafe
Frau Fırtına, wer profitiert konkret von dem Projekt “MY TURN. MY CAREER.”?
Çiler Fırtına: Unser Projekt richtet sich an Frauen mit eigener Migrationsgeschichte, die keine deutsche Staatsbürgerschaft haben. Des Weiteren müssen sie über 16 Jahre alt sein und Schwierigkeiten beim Zugang auf den Arbeitsmarkt haben. Dabei ist es egal, aus welchem anderen Land sie kommen. Doppelstaatsbürgerschaften sind leider ein Ausschlusskriterium. Weitere Kriterien sind, dass die Frauen einen gesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland und eine Arbeitserlaubnis haben. Wichtig ist auch, dass die Frau sich zumindest ein bisschen auf Deutsch verständigen kann. Sprachliche Barrieren sind einer der Hauptgründe, warum Migrantinnen keine Arbeit finden können. Denn sie müssen sich auch bei dem, was wir uns als einfache Arbeit vorstellen, beispielswiese in der Spülküche eines Altenheims, verständigen können und Anweisungen und Dienstpläne verstehen.
Friederike Bamberg: Es ist schwierig kurz zusammenzufassen, wen wir aus unserer Zielgruppe tatsächlich erreichen. Meiner Erfahrung nach haben wir hier an diesem Standort, dem Werkhof, doppelt so viele Gespräche mit Frauen geführt, als wir nachher tatsächlich in My Turn. My Career. aufgenommen haben. Viele Frauen sind in dem Projekt, weil sie wussten, dass wir ihnen helfen. Sie kamen dann auch mit all ihren Lebensanliegen. Ganz vorn sind Themen wie Wohnraumbeschaffung, Unterstützung bei der Bewältigung von Ämteranliegen und Ähnliches. Viele kommen mit für uns unrealistischen Perspektiven. Insofern unrealistisch, als die von ihnen gewünschten Arbeitszeiten nicht denen des Arbeitsmarkts entsprechen, der ja von der Arbeitskraft dieser Frauen profitieren würde. Es ist sehr schwierig, wenn eine Frau mit mehreren kleinen Kindern, die nicht stabil versorgt sind, eine Stelle mit Schichtdienst antritt, da sie frustriert wird. Nur die allerwenigsten Arbeitgeber sind bezogen auf die Arbeitszeiten flexibel. Im zunehmenden Verlauf des Projekts haben wir erlebt, dass viele Frauen, die aufgrund der Kriegssituation in der Ukraine nach Deutschland gekommen sind, unsere Unterstützung in Anspruch nehmen. Sie bringen oft Qualifikationen und Berufserfahrung mit.
Çiler Fırtına: Wir bemühen uns, das Matching gut hinzubekommen und der Qualifikation entsprechende Arbeit zu finden. Allerdings merken wir vor allem bei qualifizierten Frauen, dass unser Arbeitsmarkt noch nicht soweit ist. Die Fachkräfte, die wir brauchen, schaffen es meist nicht, ohne Unterstützung einen ihrer Qualifikation entsprechenden Job zu finden. Die Arbeitgeber hätten natürlich gern Mitarbeiterinnen, die die Abläufe schon kennen und direkt eingesetzt werden können. Die Frauen in unserem Projekt brauchen aber die Chance, sich im Job zu orientieren und einzuarbeiten. Deswegen ist eine unserer wichtigen Aufgaben, Arbeitgeber für die Qualitäten dieser Frauen zu sensibilisieren.
Was ist das Besondere an Ihrem Projekt?
Çiler Fırtına: Das Besondere an diesem Projekt ist, dass wir sehr individuell arbeiten und die Ressourcen und Fähigkeiten der Frauen in den Mittelpunkt stellen. Dabei ist uns kein Zeitlimit gesetzt. Wir können uns für jede Frau so viel Zeit wie nötig nehmen und herausfinden, wo sie noch Unterstützung braucht. Dadurch können wir, wenn wir mit potenziellen Arbeitgebern Kontakt aufnehmen oder es um die Bewilligung eines weiteren Sprachkurses geht, uns gut und fundiert für die jeweilige Frau einsetzen. Auch wenn wir gern die Frauen bei der Überwindung der oft komplexen Problemlagen unterstützen, müssen wir uns doch immer wieder auf unseren Auftrag konzentrieren: Die Integration von Migrantinnen in den Arbeitsmarkt.
Friederike Bamberg: Das Besondere ist eben, dass wir ganz oft merken, dass bei Frauen viele Probleme erst im Laufe des Kontaktes erkannt werden. Es gibt die, die sofort mit ihrem Anliegen kommen, aber Probleme psychischer Art werden häufig erst angesprochen, wenn sie Vertrauen zu uns gefasst haben. Außerdem ist unser vernetztes Arbeiten über unsere Standorte und mit Kooperationspartner ein Alleinstellungsmerkmal. Heute habe ich zum Beispiel einen Anruf einer Kollegin von In Via aus Unna bekommen, die mir von einer Frau erzählte, die schon länger bei ihnen im Projekt ist und jetzt kurzfristig eine schlimme Gewalterfahrung hatte. Sie suchte nun schnell eine Unterbringungsmöglichkeit. Wir sind gut vernetzt und letzte Woche waren wir zufällig auf dem Fachtag „Gewalt gegen Frauen“, so dass ich meine Kollegin an die Mitternachtsmission in Dortmund verweisen konnte, in der Hoffnung, dass diese der Frau jetzt weiterhelfen können.
Çiler Fırtına: Die Netzwerke und deren Nutzung sind das A und O. Ohne sie kann man oft nicht weiterhelfen. Deswegen ist es essentiell, etablierte Beraterinnen zu haben, die sich sehr gut in ihrer Stadt auskennen – und die haben wir definitiv.
Charline: Ich bin neu in dem Projekt und meine ersten Eindrücke sind, dass hier sehr viele hochmotivierte Frauen hinkommen, die sehr viel Lust haben, auf dem deutschen Arbeitsmarkt aktiv zu werden, und die ihre Qualifikationen aus anderen Ländern einsetzen wollen. Aber es gibt halt teilweise auch Problemlagen im privaten Bereich, die das Ganze erschweren, wo wir dann Step-by-Step gucken, welche Netzwerke wir nutzen können, um die privaten Baustellen zu beseitigen und dann auf dem Arbeitsmarkt aktiv zu werden.
Çiler Fırtına: Wichtig ist für uns auch die menschliche, empathische Haltung in unserer Beratungsarbeit. Es reicht nicht, den Frauen nur bestimmte fassbare Dinge mitzugeben. Zu Empowerment gehört auch, dass jemand sich angenommen fühlt. In einem Land, in dem man neu ist und in dem man vielen Hürden begegnet, ist es einfach hilfreich, wenn jemand vor einem sitzt und freundlich fragt: „Erzählen Sie mal. Was kann ich für Sie tun?“ Es stärkt die Frauen sehr, wenn sie einen Ort haben, wo sie immer nachfragen können, auch wenn sie nicht mehr im Projekt sind. Diese Wertschätzung bedeutet uns unglaublich viel und das signalisieren wir den Frauen in allen Kontaktphasen. Gerade die Frauen mit die Kriegs- und Fluchterfahrung haben ganz viel zurückgelassen. Und durch diese Traumata kann ein Mensch einfach nicht so gut funktionieren. Daher ist uns der respektvolle, empathische und menschliche Ansatz in unserer Arbeit sehr wichtig. Das geben uns die Frauen auch zurück.
Die Jobcenter in unserer Projektregion sind unsere Kooperationspartner. Wir arbeiten sehr gut mit dem Jobcenter hier in Dortmund zusammen. Wir organisieren beispielsweise gemeinsam Frauencafés, damit wir die Frauen unserer Zielgruppe auch erreichen. Das Jobcenter lädt die Kundinnen, die in unser Projekt passen, zum Frauencafé bei unseren Trägern ein, damit wir ihnen das Projekt und unsere Unterstützungsangebote vorstellen können. Außerdem tauschen wir uns über erforderliche Bildungsgutscheine aus. Wir nutzen auch sehr intensiv die Jobmessen in unserer Projektregion.
Was genau ist Ihre Rolle in dem Projekt?
Çiler Fırtına: Wir haben im Projekt eine Stelle für die Projektleitung. Diese Stelle teilen meine Kollegin Dr. Petra Leuenberger und ich uns. Wir kümmern uns um alle formellen Dinge wie die Einhaltung aller Vorgaben, Erfassung, Zielerreichung, Kommunikation mit dem Ministerium und um alle finanziellen Angelegenheiten. Eine weitere wichtige Aufgabe ist Vernetzung und Teambuilding. Wir sind 6 Teilvorhabenpartner an 4 Standorten im westfälischen Ruhrgebiet. Wir freuen uns sehr, dass es uns gut gelungen ist, zu einem Team zusammenzuwachsen und uns regelmäßig fachlich und kollegial auszutauschen. Außerdem schauen wir, welche Empowerment-Angebote gut funktionieren und wie die Kolleginnen – wir sind ein reines Frauenteam – gute Ideen voneinander übernehmen können. Ein weiteres wichtiges Feld ist die Arbeitgeberakquise. Da schauen wir, welche Arbeitsfeldcluster wir bilden können und strukturieren diese, um Arbeitgeber und Arbeitnehmerinnen zusammenzubringen. Wir sind auch für die Kommunikation mit unseren Kooperations- und Netzwerkpartnern zuständig und sorgen dafür, dass unser Projekt bekannt ist, damit die Frauen, die unsere Unterstützung benötigen, auch den Weg zu uns finden.
Friederike Bamberg: Ich bin die Teamleiterin beim Werkhof. Mein Team verlässt sich darauf, dass ich das Projekt durchblicke, aber natürlich arbeite ich auch operativ und habe meine Teilnehmerinnen, die ich betreue. Als Diplompädagogin bin ich schon seit Beginn dabei, wobei mir meine Berufserfahrung sehr geholfen hat. Recherchearbeiten für die Arbeitgeberakquise gehört mit zu unseren Aufgaben und gestaltet sich aktuell als eine echte Herausforderung. Vor allem aber der Austausch zwischen Kolleginnen ist sehr wichtig, um nochmal einen frischen Blick auf eine Situation oder eine neue Idee, wie man weiterhelfen kann zu bekommen. Wir organisieren auch Bewerbungstrainings und Workshops, wo die Frauen dann auch eigenständig Bewerbungen schreiben und vorstellen. Dazu kommen noch verstetigte Angebote, wie beispielsweise das Sprachcafé oder EDV-Angebote.
Charline Grafe: Ich bin staatlich anerkannte Sozialarbeiterin und Projektmitarbeiterin, unterstütze Friederike und führe Gruppenangebote wie das Frauencafé durch. Außerdem führe ich viele Einzelgespräche mit den Frauen, um zu schauen, wo ich ansetzen kann. Vernetzung und Kommunikation untereinander ist essentiell, da es häufig so ist, dass man von den Netzwerken der Kolleginnen profitieren kann. Oder dass man Probleme, wie die Suche nach einem Kitaplatz an die Mitarbeiterin übergeben kann, die die „Lotsenstelle Kinderbetreuung“ inne hat. Diese Lotsenstelle Kinderbetreuung ist für uns sehr wichtig, denn so können wir Beraterinnen uns auf die Jobsuche konzentrieren.
Wie ist es zu der EU-Förderung gekommen?
Çiler Fırtına: Wir, das Multikulturelle Forum, haben den Antrag in Zusammenarbeit mit den anderen beteiligten Trägern geschrieben. Zuerst haben wir sondiert, wer welche Expertise einbringen kann und was wir im Rahmen des Projektes umsetzen können. Von ca. 180 Anträgen wurden bundesweit 62 bewilligt. Offenbar hat unser Antrag überzeugt und so setzen wir nun dieses tolle Projekt um.