Planspiel „Wer ist das Volk? Populist*innen an der Macht“ mit der Peter-Weiss-Gesamtschule Unna (23.09.2019)
Um was geht es Populist*innen eigentlich? Wie fühlt es sich an, wenn Populist*innen nach der Macht greifen? Oder noch schlimmer: Schon an der Macht sind? Nein, wir reden hier nicht von der derzeitigen politischen Situation in Ungarn und auch nicht von Italien vor dem Abgang Salvinis. Wir reden hier von einem Planspiel. Von Kabadien. Einem erfundenen EU-Mitgliedstaat und der Reise, die die Peter-Weiss-Gesamtschule Unna am 23.09.2019 gemeinsam mit den Teamer*innen von planpolitik dorthin unternahm. Ähnlich wie Ungarn sitzt in Kabadien eine eher rechtspopulistisch orientierte Partei fest im Sattel, nur dass diese Partei Kabadische Volkspartei (KVP) und nicht Fidesz heißt. Ähnlich wie Viktor Orbáns Partei ist der KVP jedes Mittel recht, um die liberale Demokratie, die vorher in Kabadien herrschte, weiter abzubauen. Da kommt ein Posten, der beim Verfassungsgericht neu zu besetzen ist, gerade recht.
Doch bevor es direkt in das spannende Geschehen in Kabadien geht, mussten erst einmal ein paar Grundbegriffe geklärt werden. Was macht diesen ominösen „Populismus“ eigentlich aus? Nach einer kurzen Vorstellungsrunde begann der Workshop deshalb mit einem Input der Teamer*innen von planpolitik. Zentral für jegliche Form des Populismus, ganz egal ob Links- oder Rechtspopulismus, sei ein sehr enger Volksbegriff. Für Populist*innen sei ganz klar und sehr vereinfachend zu klären, wer zum Volk gehöre. Dies sei so wichtig, da strategisch populistische Kräfte vor allem auf Vereinfachungen setzen. Die am stärksten verbreitete: „Die Eliten sind korrupt!“ bzw. das „Volk“, „die einfachen Leute“, gegen die Eliten. Des Weiteren entstünden aus diesen Vereinfachungen häufig Verschwörungstheorien, in welchen jegliche Form der tatsächlichen Kausalitätsbeziehung abhandenkomme, so der Workshop-Leiter von planpolitik. An dieser Stelle waren die Schüler*innen besonders aufmerksam, denn viele von ihnen kannten Menschen, die an manche dieser Verschwörungstheorien glauben. Die Bandbreite der Erfahrungen reichte hierbei von absurd – „Es gibt viele Menschen, denen ich begegnet bin, die behaupten, die Erde sei flach.“ – bis schlichtweg rassistisch: „Dass Ausländer Kinder essen und viel mehr kriminell sind, ist ja auch eine gängige Verschwörungstheorie.“ Ganz ohne Einflussnahme der Teamer*innen wurden „Impfgegner*innen“ und „die Klimatheorie der AfD, dass der menschgemachte Klimawandel nicht existiert“ auch unter populistischen Verschwörungstheorien einsortiert. Gefährliche Lügen entlarven, das konnten die Schüler*innen der Peter-Weiss-Gesamtschule Unna auf jeden Fall.
Nur an einer Stelle wurde von den Teamer*innen ein weiteres Merkmal populistischer politischer Kräfte ergänzt, nämlich die Bezugnahme auf die oder eine „positive“ Vergangenheit. Dies zeige sich etwa, wenn Alexander Gauland auf die „Großtaten der Deutschen Nation verweist und gleichzeitig die nationalsozialistische Gewaltherrschaft bewusst ausblendet“. Ob dies nicht ein Merkmal allein rechts- und nicht linkspopulistischer Kräfte sei, da waren sich die Geister unein.
In den Augen der Schüler*innen hatten linkspopulistische Kräfte jedenfalls zumindest auf dem Papier weniger Gefahrenpotential: „Ich kann mir vorstellen, dass der Linkspopulismus eher kommunistisch veranlagt ist, also dass sie die Gleichheit zwischen den Menschen herstellen wollen.“
Kabadien – ein Land, das Nordrhein-Westfalen gar nicht so unähnlich ist?
So viel zur Theorie. Vorbereitet ging es nun auf nach Kabadien, das Nordrhein-Westfalen komischerweise gar nicht so unähnlich ist. 16,4 Millionen Menschen wohnen in Kabadien, meist Bio-Kabadier*innen, also gebürtige Kabadier*innen, aber auch eine kleine Minderheit an vorwiegend muslimisch geprägten Ramnesier*innen. Kurz vor den Parlamentswahlen gab es mehrere Terroranschläge. Die Situation war aufgeheizt, weswegen die KVP aufgrund ihrer rechten Stimmungsmache gegen die Ramnesier*innen im Land, welche mit den Anschlägen fadenscheinig in Verbindung gebracht wurden, nun die absolute Mehrheit erlangt hatten. Ihr Vorsitzender George Wilkos wurde zum Präsidenten ernannt. Mit 61 Sitzen im Parlament hatte die KVP die absolute Mehrheit, während die Opposition bestehend aus der Konservativen Kabadischen Union (KKU) mit 23 Sitzen und die Sozialliberale Union mit 16 Sitzen gerade einmal auf 39 Sitze kamen. Zusätzlich zu den Rollen, die für die politischen Akteure zu vergeben waren, gesellte sich noch die Zivilgesellschaft, bestehend aus der Katholischen Kirche, einem Bündnis für Minderheitenrechte, die Gewerkschaften, das Verfassungsgericht und weitere. Anders als sonst üblich bei Planspielen gab es damit eine große Bandbreite an zivilgesellschaftlichen Akteuren, die durch gewisse Mechanismen, wie etwa einem Generalstreik, Einfluss auf das gesellschaftspolitische Leben in Kabadien nehmen konnten. Voraussetzung dafür: Vier Gruppen der Zivilgesellschaft mussten sich einig sein. So weit das Szenario.
Per Zufallsprinzip wurden nun die Rollen des Planspiels zugelost und daraufhin die Namensschilder ausgetauscht. Statt Luisa Bauer saß da nun George Wilkos, rechtspopulistischer Präsident Kabadiens. Nicht bei jeder/jedem sorgte die zugeloste Rolle für Begeisterung, manche Schüler*innen wären wohl auch lieber in eine machtvollere Position gekommen. Dennoch trugen am Ende alle ihre Namenschilder und spielten ihre neuen Rollen mit voller Inbrunst. Schließlich machte der Titel „Erzbischof von Kabadien“ einiges her. Zusätzlich erhielten die Schüler*innen Briefings zur ihrer jeweiligen Rolle, um sich in Kleingruppen intensiv auf ihre Arbeit vorbereiten zu können. Manche Teilnehmer*innen nutzten diese Zeit besser als andere, so sollte sich gerade auch das Lesen der Verfassung Kabadiens später als besonders wichtig herausstellen. Um das Planspiel noch immersiver zu gestalten, stellten die Teamer*innen von planpolitik mit der Plattform Kwitter, die keinerlei absichtliche Nähe zu ähnlichen Informationsdiensten aufwies, ein weiteres Tool bereit, mittels welchem die Teilnehmer*innen ihre Gesetzesvorschläge posten oder sich über verschiedene Räume hinweg austauschen konnten.
Auch in Kabadien steht die Verfassung (noch) über allem
Die erste Einheit des Planspiels begann mit einer Sitzung der Regierung, während die oppositionellen Kräfte und die Zivilgesellschaft sich auf andere Räume aufteilten. Die Kabinettsitzung startete mit der Innenministerin, die für ein Abtreibungsverbot warb. Die Gründe dafür seien vielfältig, zum einen sei die Geburtenrate sehr niedrig, zum anderen würden immer mehr Menschen aus Kabadien wegziehen. Deshalb fordere sie ein striktes Abtreibungsverbot nach zwei Wochen Schwangerschaft. So weit, so regressiv, aber die Justizministerin legte gleich nach. Aufgrund der Terroranschläge, die für sie trotz unsicherer Ermittlungserkenntnisse einen klaren muslimischen Hintergrund hatten, fordere ihr Ministerium ein sofortiges Bauverbot für Moscheen. Worauf der Ministerpräsident erwiderte: „7% der Bevölkerung sind Muslime und sie sind auch Teil unserer Kultur. Ich weiß nicht, ob das möglich und mit der Verfassung vereinbar ist.“ Trotz einiger heftiger Diskussionen wurden beide Gesetzesvorschläge in der Kabinettsitzung angenommen und per Kwitter auf die Agenda der Parlamentssitzung gesetzt.
In der ersten Parlamentssitzung kam es zum Eklat: Auch die oppositionelle, noch weiter rechts stehende Partei KKU hatte einen Gesetzesvorschlag eingebracht. Sie forderte die Neubesetzung des vor kurzem frei gewordenen Postens im Verfassungsgericht durch einen Mann aus ihren eigenen Reihen, den ultrakonservativen Richter Theo Philipps. Erstaunlicherweise sprangen die Abgeordneten der Regierungspartei KVP der eigentlichen Oppositionspartei mit den Worten „Herr Philips ist ein sehr geeigneter Mann, der den Job durch sehr viel Seriosität und Härte ausfüllen wird.“ zur Seite. Der Minderheitenrat protestierte: „Wir dürfen nicht zulassen, dass eine so rechte Partei durch einen solchen Posten ohne Wahlmandat noch mehr an Macht gewinnt.“ Es war erstaunlich zu sehen, wie schnell die Schüler*innen in ihren Rollen aufgingen und dabei in recht heftigen Debatten häufig auch Positionen vertraten, mit denen sie sonst wohl kaum übereinstimmen würden. Am Ende wurde der konservative Hardliner Theo Philipps mit nur 4 Gegenstimmen zum Verfassungsrichter vorgeschlagen. Eine herbe Niederlage für Opposition und Zivilgesellschaft, die zumindest das drohende Moschee-Verbot durch einen Generalstreik vertagen konnten. Nun schlug die Stunde des Verfassungsgerichts, das sich kurz zur Beratung zurückzog, um die Rechtmäßigkeit des Vorschlags der KKU zu überprüfen. Es verurteilte die Ernennung Theo Phillips zum Richter, da dieser sein Amt aufgrund seiner zu langen Tätigkeit in der KKU nicht neutral ausfüllen könne. Zudem verwiesen sie auf die Gefährdung der Meinungsfreiheit durch Philips Nominierung. Eine nicht gerade unkontroverse Entscheidung, dennoch kam von der Regierung und der KKU kaum Protest. Vielleicht hatten sie einfach die Verfassung nicht genau gelesen?
Dieser Ablauf wiederholte sich in verschiedenen Variationen. Die Regierung schlug ein problematisches Gesetz vor und die Opposition tat alles, um dieses zu verhindern. Häufig bewies dabei gerade das unabhängige Verfassungsgericht Stärke, indem es sich konsequent für Menschenrechte stark machte. Nach Abschluss dreier inhaltlicher Module hatte es die KVP dennoch geschafft, die Rechte von Muslim*innen und anderen Minderheiten konsequent abzubauen. In der abschließenden Auswertung kamen deshalb auch durchaus kritische Stimmen, so sagte eine Schülerin: „Ich hab gelernt, dass es schwer ist, wenn man in der Minderheit ist.“ Aber auch von Schüler*innen der rechtspopulistischen Regierungspartei KKV gab es Probleme damit, solch harte Positionen vertreten zu müssen: „Ich mochte es nicht, eine Meinung zu vertreten, die ich im echten Leben nicht vertrete.“ Am Ende waren alle Teilnehmenden froh, Teamer*innen wie Schüler*innen, dass es in Deutschland mit der Ewigkeitsklausel im Grundgesetz Mechanismen gebe, die einer solch populistischen, auf Ausgrenzung abzielenden Politik Steine in den Weg legen würden. Fernab des Lerninhalts Populismus gab es aber auch weitere positive Lerneffekte bei den Teilnehmer*innen. So sagte ein Schüler: „Ich habe heute sehr viele Dinge darüber gelernt, wie in Europa politisch entschieden wird.“ Somit erfüllte das Planspiel nicht nur die Aufgabe, breitere Lerninhalte über die Verfasstheit liberaler europäischer Demokratien zu vermitteln, sondern zeigte auch, wie schnell Rechtspopulist*innen nach der Macht greifen können, wenn sie erst einmal gewählt sind.
Die Veranstaltung wurde vom Europe Direct Dortmund in der Auslandsgesellschaft.de e.V. mit Unterstützung vom DGB Dortmund-Hellweg, der Stadt Dortmund und dem AK gegen Rechtsextremismus organisiert. Wir danken der Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen für die freundliche Förderung des Projekts.
Text von: Lorenz Blumenthaler, Auslandsgesellschaft.de e.V.
Fotos: © Lena Borgstedt, Auslandsgesellschaft.de e.V.