Pressefreiheit in Europa – und vor der eigenen Haustür? (14.06.2022)

Pressefreiheit in Europa – und vor der eigenen Haustür? (14.06.2022)

Austausch über lokale Entwicklungen im Journalismus sowie die europäische Perspektive – das konnten die Teilnehmenden unserer Podiumsdiskussion Pressefreiheit in Europa – und vor der eigenen Haustür? am 14.06. im Studio B erleben. Sie hatten die Möglichkeit mit Tina Bettels-Schwabbauer, Dozentin am Institut für Journalistik der TU Dortmund, Christian Gerstenberger, Leiter der Lokalredaktion Dortmund bei den Ruhr Nachrichten und Alexander Völkel, ehrenamtlicher Redaktionsleiter von nordstadtblogger.de über die lokalen und europäischen Entwicklungen des Journalismus und der Pressefreiheit zu diskutieren. Ralph Sina, der viele Jahre als EU-Korrespondent und ehemaliger Leiter des WDR/NDR-Studio in Brüssel tätig war, moderierte unsere Veranstaltung. Die Diskussion war das zweite Event der diesjährigen Europa-Projektwochen zum Thema Pressefreiheit, die wir gemeinsam mit der Stadt Dortmund und dem European Journalism Observatory durchführen.

„Spaltung der Gesellschaft“ macht sich bemerkbar

Nachdem Moderator Ralph Sina zunächst von Beispielen der Einschränkung von Pressefreiheit aus seiner Zeit in Afrika berichtete, stellte Christian Gerstenberger zu Beginn klar: „Während Journalistinnen und Journalisten in anderen europäischen Ländern wie Polen und Ungarn mit staatlichen Repressionen konfrontiert werden, haben wir hier in Deutschland nicht mit behördlichen Einschränkungen zu kämpfen“, Allerdings sei die zunehmende „Spaltung der Gesellschaft“ problematisch, die sich im Zuge der Corona-Pandemie noch verstärkt habe.  „Kollegen haben bei Demonstrationen Anfeindungen erlebt. Einige Teilnehmenden haben sie bedrängt und bedroht, bevor die Polizei eingreifen konnte“, berichtete der Lokalredaktionsleiter der Ruhrnachrichten. Das „Diskussionsverhalten“ auf den Social-Media-Kanälen habe diese Spaltung zusätzlich verstärkt: „Man konnte im Schutze der Anonymität Anfeindungen verfassen. Somit war die Hemmschwelle niedriger, beleidigend zu werden.“

Alexander Völkel, Ralph Sina, Tina Bettels-Schwabbauer, Christian Gerstenberger (von links)

Verbale Diffamierungen bis hin zu körperlicher Gewalt

Neben den szenetypischen Diffamierungen, Schmährufen wie „Lügenpresse“ und verbalen Bedrohungen, hat laut der Menschenrechtsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ auch die physische Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten im vergangenen Jahr zugenommen. „Wenn man hört, dass in Deutschland 80 Medienschaffende gewaltsam angegriffen wurden, ist das wirklich schockierend“, findet Tina Bettels-Schwabbauer. „Ein Kollege vom WDR ist von Rechtsextremisten geschlagen worden, einer von uns wurde über den Alten Markt gejagt. Das ist die Wirklichkeit der Pressefreiheit in Deutschland,“ ergänzte der „überzeugte Nordstädter“ Völkel.

Darüber hinaus ist es für den Gründer der Nachrichtenseite nordstadtblogger.de erschreckend, dass Behörden mehrerer Bundesländer aufgrund der Gefahr von Übergriffen bei Protesten gegen die Corona-Maßnahmen bereits spezielle Schutzzonen oder “Safe Spaces” auf den Kundgebungen anbieten mussten, um zu gewährleisten, dass Journalistinnen und Journalisten in Sicherheit ihrer Arbeit nachgehen können. In Sachsen wurden zusätzlich Medienschutzteams eingesetzt. „Mittlerweile zeigen einige vermeintlich besorgte Bürger Verhaltensweisen, die man sonst nur von Neonazis kennt“, so Völkel weiter.

Psychische Folgen für Medienschaffende

Die zunehmenden Anfeindungen sowie die Ausübung körperlicher Gewalt gegenüber Medienschaffenden hat Spuren hinterlassen: „Viele von uns haben die Auskunftssperre beantragt“, berichtete Gerstenberger. Diese ermöglicht es unter anderem, dass personenbezogene Daten, beispielsweise von Journalistinnen und Journalisten, nicht von den Behörden weitergegeben werden dürfen. Somit soll der Schutz der Privatsphäre gewährleistet und gewaltsame „Hausbesuche“ verhindert werden. Auch die Dozentin Bettels-Schwabbauer behandelt diese Themen mit ihren Studentinnen und Studenten: „Die Studierenden haben keine Angst vor der Zukunft, aber einige Vorfälle verunsichern sie doch“, berichtete sie.

Pressefreiheit stärken – Aber wie?

Nach teils kontroversen Diskussionen mit dem Publikum am Ende der Veranstaltung stellte auch Ralph Sina noch einmal klar, dass er in seiner langjährigen Laufbahn als Journalist nie in irgendeiner Weise thematisch von staatlicher Seite beeinflusst wurde. Dass der Journalistenberuf jedoch immer noch von einer nicht besonders diversen Bevölkerungsgruppe ausgeübt werde, sahen alle Podiumsteilnehmer als Problem und mehr Diversität als Aufgabe der Medien an. Auf die Frage nach der zukünftigen Stärkung der Pressefreiheit appelliert Völkel: „Bei solchen Geschehnissen wie in den vergangenen Jahren darf man nicht wegschauen!“ Wir müssen engagierte Menschen stärken und dabei unterstützen für gesellschaftliche Werte einzutreten.“ Außerdem könne man Projekten helfen, die sich gegen Gewalt stellen. Um die Pressefreiheit weiter zu stärken sei es auch wichtig „die Medienkompetenz zu fördern“ und Menschen „den Zugang zu Medien zu gewährleisten“, betonte Bettels-Schwabbauer zum Abschluss.