Pressefreiheit in Europa unter Druck – zur Lage in Ungarn und Polen

Pressefreiheit in Europa unter Druck – zur Lage in Ungarn und Polen

In diesem Jahr zeigt die Weltkarte von „Reporter ohne Grenzen” nur wenige grüne Flecken. Die Nichtregierungsorganisation veröffentlicht jedes Jahr eine Rangliste der Pressefreiheit, auf deren Daten auch ihre Karte basiert. Nur in den grün eingefärbten Ländern – 8 von 180 – können Journalistinnen und Journalisten gut arbeiten. Die anderen Länder sind gelb („zufriedenstellend”), orange („erkennbare Probleme”), dunkelorange („schwierig”) oder rot („sehr ernst”). Deutschland wechselte bereits in der Rangliste des vergangenen Jahres seine Farbe von „weiß” (was inzwischen „grün” ist) zu „gelb” und ist in diesem Jahr um weitere drei Plätze auf den 16. Platz abgestiegen. Ein wesentlicher Grund dafür: Mindestens 80 gewalttätige Angriffe gegen Medienschaffende, vor allem bei Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen.

Das Ranking zeigt aber auch, dass fast alle Länder Verlierer sind. Die Pressefreiheit gehört zu den demokratischen Grundwerten der EU. In manchen Mitgliedsländern aber ist sie zunehmend gefährdet, in den vergangenen zwei Jahren hat dabei auch die Corona-Pandemie eine große Rolle gespielt, die von vielen Regierungen missbraucht wurde, um freie Berichterstattung einzuschränken.

In vielen EU-Staaten ist die Pressefreiheit aber bereits seit einigen Jahren in Gefahr, vor allem in Ungarn und Polen. In Ungarn befindet sich die Pressefreiheit, seitdem Viktor Orbán 2010 erneut an die Macht kam, im freien Fall. Während sich Ungarn im Jahr 2010 in der Rangliste der Pressefreiheit noch auf Rang 24 befand, belegt das Land im aktuellen Ranking nur noch Platz 85. In Polen regiert sei 2015 die PiS-Partei („Recht und Gerechtigkeit”) – seitdem ist das Land vom 18. auf den 66. Platz abgestiegen. Im Folgenden stellen wir einige Entwicklungen exemplarisch vor.

Ungarn: Orbán-Macht gibt immer mehr Anlass zur Sorge

Schritt für Schritt hat die Medienpolitik unter der Regierungspartei Fidesz ein Medienumfeld geschaffen, in dem regierungsfreundliche Medien unbegrenzten Zugang zu Marktressourcen und Informationen haben, ihre Expansion durch die Entscheidungen der Medienbehörde unterstützt wird und in dem eine strenge Kontrolle über den öffentlichen Diskurs ausgeübt wird.

Vor allem der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Ungarn hat sich, seitdem Viktor Orbáns Fidesz-Partei 2010 erneut an die Macht kam, zu einem stark zentralisierten System entwickelt, das viel Raum für politische Einflussnahme lässt. So kam zum Beispiel während des Wahlkampfs 2018 der OSZE-Wahlbeobachter zu dem Schluss, dass „der öffentlich-rechtliche Rundfunk (…) die Anti-Migrations-Rhetorik verstärkte”. Außerdem, so hieß es, „zeigte der öffentlich-rechtliche Sender in seiner redaktionellen Berichterstattung auf M1 eine Voreingenommenheit zugunsten der Regierungskoalition und der Regierung, die 61 Prozent der Nachrichtenberichterstattung erhielt. Über 90 Prozent davon waren im Ton positiv, während die Berichterstattung über die Opposition in 82 Prozent der Nachrichten im Ton negativ war”.

Im Jahr 2020 veröffentlichte das ungarischsprachige Nachrichtenportal von Radio Free Europe eine Tonaufnahme über eine interne Redaktionssitzung, in der der Chefredakteur des ungarischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks seinen Kollegen mitteilte, dass die Öffentlich-Rechtlichen die Opposition nicht unterstützen und dass jeder, dem das nicht gefällt, sofort seine Kündigung einreichen sollte. Die Veröffentlichung der Tonaufnahme hat zu keinerlei Konsequenzen geführt, und der betreffende Redakteur ist einer der einflussreichsten Leiter der staatlichen Medien geblieben.

Vom ungarischen Medienrat ist keine Schützenhilfe zu erwarten. Das Parlament hatte erst im Dezember 2019 erneut nur Fidesz-Kandidaten für weitere neun Jahre in den Rat gewählt, darunter einen früheren Europaparlament-Abgeordneten und einen ehemaligen Kommunikationsdirektor der Fidesz-Partei sowie einen persönlichen Sekretär des Fidesz Parlamentspräsidenten – das vierte gewählte Mitglied hat keine medienbezogene Erfahrung. Durch eine Verfassungsänderung war der ungarische Medienrat 2011 mit weitreichenden Kompetenzen zur „Kontrolle“ sämtlicher in Ungarn verfügbarer Medien ausgestattet worden – so obliegt es dieser Behörde auch, Medienbeiträge auf „politische Ausgewogenheit“ zu prüfen.

Im Jahr 2020 wurde schließlich auch das Nachrichtenportal Index.hu von Geschäftsleuten übernommen, die der Regierungspartei Fidesz nahestehen. Index.hu war das meistgelesene ungarische Nachrichtenportal und erreichte mit seinem breit gefächerten Angebot nicht nur Oppositions-, sondern auch Pro-Regierungswähler. Sein Eigentümerhintergrund war schon seit Anfang der 2010er Jahre ein Grund zur Sorge, denn die Besitzer kamen aus Fidesz-Wirtschaftskreisen. Die Unabhängigkeit der Redaktion aber wurde bewahrt – was sich mit dem Beitritt von Miklós Vaszily zum Eigentümerkreis änderte. Vaszily hatte zuvor die staatlichen Medien und den Fidesz-nahen Sender TV2 geleitet und war bereits bei der Fidesz-Übernahme eines anderen großen Nachrichtenportals, Origo.hu, eine Schlüsselfigur.

Im Sommer 2020 machte die Redaktion von Index öffentlich, dass ihre Unabhängigkeit bedroht sei. Der Chefredakteur wurde daraufhin entlassen, woraufhin die gesamte Redaktion aus Protest und Loyalität Index verließ. Nach dem Eigentümerwechsel stellte sich die Redaktion neu auf und das Nachrichtenportal wurde zu einem unkritischen Übermittler von Regierungsbotschaften. Im Herbst 2020 starteten ehemalige Nachrichtenjournalisten von Index ein neues Nachrichtenportal unter dem Namen Telex.hu. Telex will sich hauptsächlich durch Spenden finanzieren und hat sich schnell zu einem der beliebtesten Nachrichtenportale entwickelt.

Ein weiteres wichtiges Instrument der illiberalen Medienpolitik ist der Eingriff in den Werbemarkt. Aufgrund der Finanzkrise von 2008 war der ungarische Werbemarkt erheblich geschrumpft. Öffentliche Werbung – Werbung von staatlichen Stellen und öffentlichen Unternehmen – wurde damit bedeutender. Diese machte in den ersten fünf Monaten des Jahres 2019 26 % und in den ersten fünf Monaten des Jahres 2020 32 % der gesamten Werbeausgaben aus, so eine Analyse von G7 Newsportal. Nach einer Analyse von Mertek Media Monitor gingen 86 Prozent der staatlichen Werbeausgaben im Jahr 2020 an Fidesz-nahe Medienunternehmen. Die Macht großer Werbebudgets liegt auf der Hand: Sie ermöglichen es, die finanzielle Überlebensfähigkeit von Medienprodukten zu sichern, die sonst am Markt nicht bestehen könnten. Darüber hinaus dienen die staatlichen Anzeigen einem zweiten Zweck: Sie vermitteln anderen Werbetreibenden die wichtige Botschaft, welche Akteure auf dem Medienmarkt von der Regierung „bevorzugt” werden. Die Auswahlkriterien sind weder geregelt noch werden sie irgendwo veröffentlicht.

Auch die Corona-Pandemie hat für die Behinderung der Arbeit von Journalisten durch die Regierung gesorgt. Die Änderung des Strafgesetzbuches im Frühjahr 2020, die angeblich der Bekämpfung von Desinformation dienen sollte, erregte international große Aufmerksamkeit: Wer „Falschnachrichten“ über das Coronavirus und über die Maßnahmen, die zu seiner Eindämmung vorgesehen sind, verbreitet, begeht eine Straftat. Das Gesetz wurde zwar nicht auf Journalisten angewandt, aber dafür genutzt, um gegen regierungskritische Beiträge von Facebook-Nutzern polizeilich vorzugehen und damit Bürger, die ihre Meinung äußern wollen, zu entmutigen. Darüber hinaus schreckte es auch Wissenschaftler und Ärzte, ab, Journalisten überhaupt erst Informationen zu geben. Die einzige Informationsquelle für Medienschaffende war die tägliche Pressekonferenz des „Operationalen Stabes“, für den Journalisten ausschließlich online Fragen einreichen konnten. Ein intransparenter Auswahlprozess der Fragen führte dazu, dass unabhängige Medien abermals diskriminiert wurden.

Der Wahlkampf für die Parlamentswahlen 2022 hat erneut deutlich gemacht, welche Macht die von der Fidesz-Regierung kontrollierten Medien haben. Im Wahlkampf gab es keine Debatten über die Politik des Ministerpräsidenten oder der Regierung, weil Orbán und die Fidesz-Politiker die Debatte verweigerten. In den öffentlich-rechtlichen Medien bekam der Oppositionskandidat für das Ministerpräsidentenamt Péter Márki-Zay nicht mehr als fünf Minuten Sendezeit, die Kritik der Fidesz-Partei an ihm nahm wesentlich mehr Raum ein. Unmittelbar vor seinem fünfminütigen Auftritt wurde die Rede Orbáns auf einer Demonstration am Vortag gezeigt. Zudem wurde der Wahlkampf von falschen Behauptungen über den Oppositionskandidaten beherrscht. Nach dem Beginn der russischen Aggression gegen die Ukraine war die einzige Botschaft der Fidesz-Regierung die Behauptung, dass die Opposition Ungarn in den Krieg führen würde. Die Vorherrschaft der Fidesz-Medien im ungarischen Mediensystem ist so groß, dass diese unsinnige Botschaft Hunderte von Menschen überzeugte. Einer Analyse zufolge gab die Fidesz-Partei achtmal so viel für Plakate aus wie die Opposition. Die Fidesz-Partei dominierte auch die Online-Medien und gab fast doppelt so viel für Online-Werbung aus wie alle Oppositionsparteien zusammen. Der ungarische Wahlkampf 2022 war somit ein perfekter Nährboden für Post-Truth-Kampagnen.

Nach den Wahlen leitete die wiedergewählte Fidesz-Regierung umfangreiche wirtschaftliche Sparmaßnahmen ein. In diesem Zusammenhang hat sie eine Werbesteuer wieder eingeführt, deren Einzelheiten noch nicht bekannt sind.

Die ungarische Medienpolitik seit 2010 zeigt deutlich, wie ohne Zensur im traditionellen Sinne und ohne physische Gewalt gegen Journalisten das Mediensystem und die öffentliche Kommunikation so tiefgreifend umgestaltet werden können, dass die Botschaften der Regierung und der Regierungspartei für die große Mehrheit der Wähler zur dominanten Interpretation der Realität werden.

Polen: Immer mehr Medien in den Fängen der Regierungspartei

Medien im ungarischen Mediensystem ist so groß, dass diese unsinnige Botschaft Hunderte von Menschen überzeugte. Einer Analyse zufolge gab die Fidesz-Partei achtmal so viel für Plakate aus wie die Opposition. Die Fidesz-Partei dominierte auch die Online-Medien und gab fast doppelt so viel für Online-Werbung aus wie alle Oppositionsparteien zusammen. Der ungarische Wahlkampf 2022 war somit ein perfekter Nährboden für Post-Truth-Kampagnen.

Nach den Wahlen leitete die wiedergewählte Fidesz-Regierung umfangreiche wirtschaftliche Sparmaßnahmen ein. In diesem Zusammenhang hat sie eine Werbesteuer wieder eingeführt, deren Einzelheiten noch nicht bekannt sind.

Die ungarische Medienpolitik seit 2010 zeigt deutlich, wie ohne Zensur im traditionellen Sinne und ohne physische Gewalt gegen Journalisten das Mediensystem und die öffentliche Kommunikation so tiefgreifend umgestaltet werden können, dass die Botschaften der Regierung und der Regierungspartei für die große Mehrheit der Wähler zur dominanten Interpretation der Realität werden.

Polen: Immer mehr Medien in den Fängen der Regierungspartei

Seitdem die rechtskonservative PiS (Recht und Gerechtigkeit) in Polen an der Macht ist, haben zahlreiche westliche Medien und Experten die Sorge geäußert, dass sich das Land politisch und in Bezug auf die Pressefreiheit zu einem „zweiten Ungarn“ entwickeln könnte.

Wie berechtigt sind diese Sorgen? Ist die Situation in Polen so schlecht, wie sie in den liberalen Medien Westeuropas dargestellt wird? Oder ist die Sorge übertrieben – und Polen wird nur durch eine andere Brille gesehen als andere EU-Mitgliedsstaaten?

Bis zu einem gewissen Grad scheinen die Antworten auf der Hand zu liegen. Während das mitteleuropäische Land sich im Jahr 2015 noch auf dem 18. Platz (von 180 Ländern) befand, belegt es mittlerweile im aktuellen Ranking nur noch Rang 66.

Die vollständige und beispiellose staatliche Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks TVP, die 2016 durch eine Gesetzänderung durchgesetzt wurde, und die kürzliche Übernahme des Polen-Geschäfts der Verlagsgruppe Passau (Polska Press) mit 20 Regionalzeitungen, 300 Wochentiteln und 500 Internetportalen durch den staatlichen Ölkonzern Orlen sind sichtbare Zeichen dafür, dass die PiS-Partei so viele Medienorganisationen wie möglich überwachen möchte.

Auf der anderen Seite aber gibt es noch immer eine beträchtliche Anzahl relevanter Medien, die (fast) jeden Schritt der Regierungspartei heftig kritisieren, darunter die Tageszeitung Gazeta Wyborcza und der führende private Fernsehsender TVN. Darüber hinaus sind die Einschaltquoten des öffentlich-rechtlichen Radios und auch teilweise des öffentlich-rechtlichen Fernsehens so niedrig wie nie zuvor – und auch die Zahl der Leser und Nutzer der Zeitungen und Websites, die zuvor im Besitz der Verlagsgruppe Passau waren, sank unmittelbar nach der Übernahme durch den Orlen-Konzern erheblich. Das „Immunsystem“/Abwehrsystem der polnischen Gesellschaft ist also noch aktiv und sie lässt sich die Dominanz der Politik über die Medien nicht einfach gefallen. Dennoch fällt es schwer, eine optimistische Prognose für die Pressefreiheit in Polen in den nächsten fünf bis zehn Jahren abzugeben.

Zwar ist das Ende der PiS-Regierungszeit nur eine Frage der Zeit – dabei wird es sich aber eher um einen längeren als einen kürzeren Zeitraum handeln. Die Regierungspartei wird noch genügend Zeit haben, um langfristige Strategien zur Kontrolle über die Medien zu implementieren, wobei große staatliche Unternehmen wie Orlen sicherlich eine entscheidende Rolle spielen, indem sie zur Schaffung einer neuen, konservativen Medienelite und zur Neuausrichtung des Kapitals beitragen.

Darüber hinaus lässt sich in Polen – wie in anderen Ländern auch – ein Mangel an nachhaltigen Geschäftsmodellen beobachten, der die privaten Medien schwächt und sie angreifbar macht.

Ausländische Investoren könnten dem Beispiel der Verlagsgruppe Passau folgen und ihre polnischen Anteile an staatliche Unternehmen verkaufen, die in der Lage sind, mehr zu zahlen als andere. Das gleiche Schicksal könnte auch bereits angeschlagene polnische Privateigentümer von überregionalen und regionalen Medien ereilen.

Andere private Eigentümer könnten beschließen, die Entwicklung ihres Geschäfts nicht weiter voranzutreiben oder den Umfang ihrer Tätigkeiten einschränken. Der jüngste Konflikt zwischen der Nachrichtenredaktion der Tageszeitung Gazeta Wyborcza und Agora, dem Unternehmen, dem die Zeitung gehört, ist ein sehr gutes Beispiel für diesen Trend. Agora plant, die Online-Aktivitäten der Tageszeitung und seines Infotainment-Portals gazeta.pl zusammenzulegen und wirft der Redaktion der Gazeta Wyborcza vor, „das Internet nicht zu verstehen“ und bei der Monetarisierung von Online-Inhalten ineffizient zu sein. Selbst mehr als 200.000 Bezahl-Abos scheinen nicht genug zu sein, um die Gazeta Wyborcza profitabel zu machen.

Der traditionelle privatwirtschaftlich organisierte Mediensektor wird den Medienmarkt und die Pressefreiheit in Polen also eher nicht retten können. Das Umfeld der unabhängigen Online-Medien aber bietet vorsichtigen Anlass zum – vorsichtigen – Optimismus. So liefern einige Medienorganisationen, die alternative, meist auf Spenden basierende Geschäftsmodelle umsetzen, vielversprechende Ergebnisse, darunter die investigative Plattform OKO.press und zwei neue Online-Radiosender, die von ehemaligen Journalisten des öffentlich-rechtlichen Radios aufgebaut wurden, die mit dem Machtantritt der PiS-Partei beim öffentlichen Rundfunk entlassen worden waren.

Solche Medienorganisationen, die weder vom Staat noch von Werbung abhängig sind, können potenziell zur Stärkung des Medienpluralismus beitragen. Andererseits schafft eine 100-prozentige Abhängigkeit von Spenden auch langfristige Unsicherheiten.

Die polnische Medienlandschaft ist extrem polarisiert – was zwar bedeutet, dass es noch Pluralismus auf dem Markt gibt, doch hat dieser seinen Preis. Es besteht kein Zweifel, dass die Medien in Polen (sowie in anderen mittel- und osteuropäischen EU-Staaten) in einen ideologischen Kampf zwischen konservativen und progressiven Narrativen verwickelt wurden. Die Auswirkungen der sozialen und politischen Spaltung werden in Polen sicherlich noch lange zu spüren sein.

 

Tina Bettels-Schwabbauer, Michał Kuś, Gábor Polyák