Roma in Europa

Roma in Europa – der Kampf für ein würdiges Leben (09.10.2017)

Nicht nur über Roma sprechen, sondern mit ihnen – so lautete das Credo des ganztägigen Symposiums „Roma in Europa – Der Kampf für ein würdiges Leben“, welches im Rahmen des Festivals „Djelem Djelem“ am 09. Oktober 2017 im Dortmunder U stattfand. Die Veranstaltung rückte die aktuelle Lebenslage der Roma in den Fokus der Aufmerksamkeit. In mehreren Gesprächsrunden diskutierten Vertreter*innen südosteuropäischer (Roma-)NGOs über Unterstützungsprogramme der EU und die empowerment-Bewegung der Roma in den europäischen Staaten.

„Was macht unser Zusammentreffen riskant?“, fragte Jörg Stüdemann, Stadtdirektor und Kulturdezernent der Stadt Dortmund, in seiner Eröffnungsrede. Seit der Zuwanderung aus Osteuropa ab 2006 spalte sich die politische Diskussion auch auf nationaler Ebene in zwei Lager: „mal beruhigend-relativierend, mal aufgewühlt-polarisierend“, so Stüdemann. Demnach stünden neutrale Zustandserfassungen und Prozessbeschreibungen sozialer Veränderungen antiziganistischen Stereotypen und dramatisierenden Darstellungen gegenüber. Tatsächlich stimme jedoch kaum eines der propagierten Vorurteile, welche Roma-Familien u.a. Sozialbetrug und Bildungsferne unterstellen. Aktuelle Zahlen belegen, dass die Arbeitslosenrate unter den Roma sogar geringer ist als die anderer ethnischer Minderheiten in Dortmund. Über ein Viertel gilt als hochqualifiziert. Stüdemann äußerte sich dementsprechend zuversichtlich: Die Zuwanderung sei aufgrund des Fachkräftemangels und des demographischen Wandels positiv zu bewerten und das Festival, welches zum vierten Mal in Dortmund stattfand, solle im Namen des sozialen und kulturellen Austauschs zum empowerment der Roma-Gemeinschaften beitragen.

Für Staatssekretärin Serap Güler ist Djelem Djelem „nicht nur ein Festival, Djelem Djelem ist auch die internationale Bühne der Roma“. Auch sie benannte das Problem der tiefen Verankerung antiziganistischer Vorurteile in unserer Gesellschaft, welche laut ihrer Aussage oftmals auf Unwissenheit basierten. Deshalb müsse die Bekämpfung des Antiziganismus integraler Bestandteil in sämtlichen Bereichen der Gesellschaft sein, bemerkte MdEP Prof. Dr. Dietmar Köster in seinem Grußwort. Er appellierte an den politischen Vorsatz „um unserer gemeinsamen Zukunft Willen“, etwas gegen diese Form des Rassismus zu unternehmen. Klaus Wegener, Präsident der Auslandsgesellschaft NRW e.V., schloss sich dem an: Er ermutigte das Publikum, im Namen der „Völkerverständigung im Geiste von Humanität und Toleranz“ seine Stimme gegen derartige Tendenzen zu erheben. Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, erinnerte an die Vergehen zu Zeiten des Holocausts, dem nicht nur viele Juden, sondern auch Sinti und Roma zum Opfer gefallen sind. Aus diesem Grund solle dem Antiziganismus genauso entgegengetreten werden wie dem Antisemitismus, so Rose.

Über die Diskriminierung der Roma in Europa

Roma in Europa

Prof. Dr. Elizabeta Jonuz

Thematisch eingeleitet wurde das Symposium mit einem Impulsvortrag der Soziologin und Professorin für Soziale Arbeit, Prof. Dr. Elizabeta Jonuz. Sie sprach über die institutionelle Diskriminierung der Roma im Bildungssektor, bei der Polizei, im Gesundheitswesen und auf dem Wohnungsmarkt. Eine Umfrage aus dem Jahr 2012 ergab, dass 81 Prozent der deutschen Sinti und Roma in der Vergangenheit bereits Diskriminierung erfahren haben, jedoch kennen 82 Prozent der Roma keine Organisation, die Opfer von Diskriminierung unterstützt. Jonuz bemerkte, dass es sich bei Rassismus und insbesondere Antiziganismus oftmals um die Suche nach nationaler Identität handle, von dem damit einher gehenden Nationalwahn seien Roma-Familien besonders betroffen. Dies sei sowohl in den Herkunftsländern, u. a. Mazedonien, als auch in Deutschland der Fall.

Warum verlassen Roma ihre Heimat im Zuge der aktuellen EU-Binnenmigration?

Roma in Europa

Von links: Costal Bercus, Christoph Leucht (ROMED-Programm des Europarats), Ferdi Ismaili, Nezir Huseini (beide „Roma Democratic Development Association“), Lillya Makaveeva, Kadrin Hasanov (beide “Integro Association”)

Im Anschluss fand die erste Gesprächsrunde statt, in der Vertreter*innen internationaler Roma-Selbstorganisationen aus Mazedonien, Rumänien und Bulgarien zu Wort kamen. Es wurde u.a. darüber diskutiert, was Roma dazu bewegt, ihre Heimatländer zu verlassen und nach Westeuropa zu ziehen. Lillya Makaveeva von „Integro Association“ aus Bulgarien betonte insbesondere folgende Push-Faktoren: Es handle sich nicht ausschließlich um reine Wirtschaftsflucht, sondern auch gesellschaftliche Benachteiligung und eine schlechte Infrastruktur begünstigten die Auswanderung. Viele Roma kämen mit dem Ziel nach Westeuropa, nicht nur zu überleben, sondern ein menschenwürdiges Leben zu führen. Auch die Repräsentant*innen der Roma-Organisationen sprachen über politische Hetze in ihren Herkunftsländern, welche die über Massenmedien verbreiteten Stereotype (z.B. Roma als Kriminelle) unterstütze. Sie ginge zu großen Teilen von nationalsozialistisch-populistischen Parteien aus, sei mittlerweile jedoch auch zunehmend ein Element von Parteien der Mitte. Das Phänomen ginge so weit, dass selbst Kinder, die noch nie eine*n Roma getroffen haben, davon überzeugt seien, dass es sich bei dieser ethnischen Gruppe grundsätzlich um schlechte Menschen handle. Nichtsdestotrotz waren sich alle Referent*innen einig, dass auch Roma selbst sich fragen müssen, was sie gegen die eigene Diskriminierung tun können. Costal Bercus aus Rumänien merkte dazu an, dass die Roma sich seiner Erfahrung nach wenig selbst engagierten und kaum für ihre Rechte einträten. Weiterer Konsens bestand auch darüber, dass die Situation der Roma in den jeweiligen Ländern recht unterschiedlich sei und man keine pauschalen Aussagen über antiziganistische Tendenzen und profunde Benachteiligungen treffen könne. Beispielsweise könne nicht generalisiert werden, dass Bemühungen stattfinden, um Roma systematisch aus Rumänien zu vertreiben, so Bercus.

Die Umsetzung der Empfehlung des Europäischen Rats: Nationale Roma-Inklusionsstrategie

Roma in Europa

Von links: Sami Dzemailovski, MdEP Prof. Dr. Dietmar Köster, Thorsten Afflerbach (Gruppenleiter des Sonderbeauftragten für Roma-Interessen beim Generalsekretär des Europarats), Birgit Zoerner (Sozialdezernentin der Stadt Dortmund), Nadir Redzepi („Roma Education Fund“)

„Was unternimmt die Europäische Union, um die Lage der Roma in Europa zu verbessern?“.  Über diese Frage diskutierten Thorsten Afflerbach aus Straßburg, Prof. Dr. Dietmar Köster aus Brüssel, Nadir Redzepi aus Budapest und Birgit Zoerner aus Dortmund. „Die EU-Rahmenstrategie ist sicher nicht das Allheilmittel“, betonte Köster, ein Mitglied des Europaparlaments. Die Sparsamkeitspolitik der letzten Jahre habe positive Entwicklungen nicht gewährleisten können, denn zur Bekämpfung von sozialer Ungleichheit müsse investiert werden, z.B. in Bildung. Während niemand den Bedarf an Förderprogrammen für Roma bestritt, gingen die Meinungen darüber, ob es Sinn mache, diese Unterstützungsmaßnahmen so offiziell zu ethnisieren, weit auseinander. Während Zoerner, Sozialdezernentin der Stadt Dortmund, damit argumentierte, dass eine Ethnisierung von Programmen die negative Aufmerksamkeit für Roma nur verstärke und andere Minderheiten von der Förderung ausschließe, wehte aus den Reihen des Publikums ein starker Gegenwind. Ein Zuschauer betonte, dass in den Medien oder Polizeiberichten auch rigoros ethnisiert werde, dem könne und müsse man durch offizielle Förderprogramme entgegenwirken.

Zuwanderung aus Süd- und Osteuropa seit 2008 in Nordrhein-Westfalen und die Lage der Roma

Roma in Europa

Von links: Daniela Schneckenburger (Jugend- und Schuldezernentin der Stadt Dortmund), Annette Berg (Stadträtin für Kultur, Bildung, Jugend und Sport der Stadt Gelsenkirchen), Margarita Kaufmann (Beigeordnete für Jugend, Soziales, Bildung und Kultur der Stadt Hagen), Anton Rütten (Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes NRW)

Bringen Roma-Kinder größere Herausforderungen mit als andere Kinder? Wie kann man die Thematik in den Einwanderungskontext einbinden? In einer Situationserfassung zu den Herausforderungen und Bewältigungsstrategien für das Land und die Kommunen diskutierte Annette Berg, Stadträtin für Kultur, Bildung, Jugend und Sport der Stadt Gelsenkirchen, mit drei Vertreter*innen verschiedener jugendorientierter Institutionen über die aktuelle Situation in NRW. Anton Rütten vom Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration NRW plädierte dafür, in den relevanten Sozialräumen selbst anzusetzen und mit entstehenden Konflikten konstruktiv umzugehen. Dahingehend müsse man sich nicht nur fragen, was von Einwander*innen erwartet wird, sondern auch, was man für sie leisten kann. „Die Kommunen müssen handeln, damit Europa gelingen kann“ bemerkte Daniela Schneckenburger, Jugend- und Schuldezernentin der Stadt Dortmund. Man müsse die Situation differenzierter wahrnehmen und das Potenzial, welches die Roma mitbringen, erkennen. Dieser Aussage schloss sich die Beigeordnete für Jugend, Soziales, Bildung und Kultur der Stadt Hagen, Margarita Kaufmann, an. Sie äußerte den Wunsch nach mehr Austausch – viele soziale Organisationen wüssten noch zu wenig, weshalb man den Zugang zur Roma-Kultur erleichtern müsse, um die interkulturelle Verständigung zu verbessern. Ansätze für erfolgversprechende Integrationsstrategien, wie z.B. neue Modelle für die Weiterbildung und Qualifikation von Quereinsteiger*innen, seien erkennbar. Jedoch betonte Kaufmann, dass sich nicht alle Probleme ad hoc lösen ließen, da es sich dabei oft um tiefergehende strukturelle Probleme handle.

Wie sich das Zusammenleben mit Zugewanderten in Dortmund und Umgebung besser gestalten lässt, war eine der wegweisenden Fragen des Symposiums. Trotz angeregter Diskussionen war man sich über eines einig: Projekte zur Verbesserung der Lebenslage von Roma seien weiterhin notwendig, die Bekämpfung antiziganistischer Tendenzen müsse ein integraler Bestandteil politischer und sozialer Bemühungen werden. Dennoch hinterließ die Veranstaltung ein positives Bild der Roma-Gemeinschaften: Der soziale sowie kulturelle Austausch ermöglichte die Einnahme einer neuen Perspektive, welche u.a. die Bereicherung hervorhob, die Roma durch berufliche Qualifikationen und eine vielfältige Kultur mitbringen.

Text: Isabel Bezzaoui

Fotos: © Auslandsgesellschaft NRW e.V.