Schülerbesuch in einer Dortmunder Flüchtlingsunterkunft (22.06.2016)

Schülerbesuch in einer Dortmunder Flüchtlingsunterkunft (22.06.2016)

Workshop „Die Lebenssituation von Flüchtlingen“

Der dritte Vormittag der Themenwoche „(Neue) Heimat Europa? Die EU-Flüchtlingspolitik im Fokus“ des Europe Direct Dortmund am Mittwoch, den 22. Juni 2016, stand im Zeichen des Dialogs zwischen jungen Menschen und Geflüchteten. Rund dreißig Schüler_innen des SoWi-Grundkurses der Martin-Luther-King Gesamtschule Dortmund, nebst Lehrer und Schulleiterin, nutzten die Möglichkeit, Einblick in den Lebensalltag von Bewohner_innen der Flüchtlingsunterkunft in der Adlerstraße 44 zu erhalten.

Empfangen wurde die Gruppe von Elaine Yousef, der stellvertretenden Leiterin der Einrichtung. Zu Beginn nannte sie einige Basisinformationen zur Unterkunft sowie seines Trägers und beantwortete erste Fragen der Gruppe. Das Gebäude in der Adlerstraße, eine leerstehende ehemalige Abendrealschule, wurde im November 2014 vom Verbund der sozial-kulturellen Migrantenselbstorganisationen in Dortmund (VMDO) übernommen. Der VMDO als Betreiber finanziert sich aus Geldern der Stadt und beschäftigt in der Unterkunft Adlerstraße zwei Pädagog_innen sowie elf hauptamtliche Betreuer_innen. Das Gebäude fasst rund 120 Bewohner_innen, welche auf drei Etagen in den ehemaligen Klassenräumen, getrennt nach Frauen, Männern und Familien, untergebracht sind.

Es folgte ein Rundgang durch die Unterkunft. Gleich neben dem Eingangsbereich im Innenhof befinden sich in Baucontainern die Duschen für die Bewohner_innen, was einen ersten Eindruck der teils rudimentären Umstände gab. Selbst im Winter müssen die Bewohner_innen erst über den Hof des Gebäudes laufen, um die Sanitäranlagen nutzen zu können. Frau Yousef gab den Schüler_innen zudem die Möglichkeit, eine momentan unbenutzte Wohneinheit anzusehen. Die ehemaligen Klassenräume werden durch Stellwände in einzelne Sektionen unterteilt, um den Bewohner_innen zumindest ein Minimum an Privatsphäre zu ermöglichen. Aufgrund der desolaten Wohnungslage in Dortmund und Umgebung müssen viele Geflüchtete jedoch teilweise bis zu neun Monaten unter diesen Umständen leben.

Am Ende der Führung fand sich die Gruppe im Aufenthalts- und Speisesaal ein – dem einzigen Gemeinschaftsraum in der gesamten Unterkunft. Hier fand ein intensives und aufwühlendes Gespräch zwischen den Schüler_innen und Bewohner_innen statt. Vier Geflüchtete, drei Syrerinnen und ein Libanese, erzählten der Gruppe von ihren Fluchtgründen, dem Weg, den sie zu gehen hatten, der Gewalt, welche sie in ihrer Heimat und unterwegs erleiden mussten und welche Verluste sie zu ertragen hatten. Jeder der Gesprächspartner_innen hat mindestens ein Familienmitglied infolge von Bürgerkrieg und Terror verloren. Auch haben sie einen Teil ihrer Familien in der Heimat zurücklassen müssen – eine große Belastung für sie, da sie um die täglichen Schrecken wissen, die ihre Verwandten erleben müssen. Es ist schwierig, sich mit diesen Sorgen und Ängsten im Deutschkurs auf das Lernen einer neuen Sprache konzentrieren zu müssen oder in der deutschen Gesellschaft anzukommen und Fuß zu fassen.

Alarmierend ist, dass nach dem zwischenzeitlichen Hoch der „Willkommenskultur“ im vergangenen Herbst und der großen Hilfsbereitschaft die Einrichtung heute mit mangelnder Unterstützung zu kämpfen hat. So fehlt es nicht nur an Bettwäsche, Handtüchern, Kleidung und Hygieneartikeln, sondern auch und vor allem an Besuch und Kontakt zur einheimischen Bevölkerung, die trotz der open-door-policy des Hauses in den letzten Monaten kontinuierlich abgenommen hat. Daher ist es mehr als erfreulich, dass sich das Kollegium und die Schüler_innen der Martin-Luther-King Gesamtschule Dortmund direkt bereit erklärten, das Sammeln für die Unterkunft aufzunehmen und die Bewohner_innen zu ihrer diesjährigen Stillleben-Veranstaltung einzuladen.

Gesprächsmoderation:
Gerrit Tiefenthal hat Philosophie, Geschichte und Politik in Münster und Dortmund studiert. Neben seinem Studium beschäftigt er sich im Feld der politischen Bildung (momentan: Mitarbeit im Zentrum für Politische Bildung der Auslandsgesellschaft NRW e.V.).

Unsere Kooperationspartner:

  • Auslandsgesellschaft NRW e.V.
  • Stadt Dortmund
  • Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien des Landes Nordrhein-Westfalen
  • Verbund der sozial-kulturellen Migrantenselbstorganisationen in Dortmund (VMDO)

Text: Gerrit Tiefenthal, Auslandsgesellschaft NRW e.V.

Foto: © Auslandsgesellschaft NRW e.V.