2020_02_05 SimEP

Simulation des Europäischen Parlaments zur Europäischen Verteidigungspolitik (05.02.2020)

Das Europäische Parlament ist ein zentrales Organ in der EU-Gesetzgebung und befindet sich damit im sinnbildlichen Zentrum der EU. Aber wie genau funktioniert eine Sitzung des Parlaments eigentlich und wie kommen Gesetze zustande? Rund 50 Schüler*innen aus NRW hatten am 05. Februar 2020 die Gelegenheit, dies in einem Planspiel des Europe Direct Informationszentrums Dortmund in Zusammenarbeit mit den Jungen Europäischen Föderalisten (JEF) und der Stadt Dortmund aus erster Hand zu erfahren. In einer Simulation des Europäischen Parlaments im Dortmunder Rathaus konnten die Jugendlichen selbst in die Rolle eines Abgeordneten schlüpfen, in einer Fraktion zum Thema Verteidigungspolitik diskutieren und sich an einer anschließenden Plenardebatte ausprobieren.

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Vorstellung der Methode „SimEP“. (Simulation des Europäischen Parlaments zur Europäischen Verteidigungspolitik im Dortmunder Rathaus, 05.02.2020)

In der Simulation des Europäischen Parlaments (kurz: SimEP) hatten die teilnehmenden Schüler*innen die Aufgabe, als Abgeordnete über eine Stellungnahme zum Thema Europäische Verteidigungspolitik zu entscheiden. Bereits im Vorfeld wurden sie fünf der größten Fraktionen im Parlament zugeordnet: Europäische Volkspartei (EVP), Progressive Allianz der Sozialdemokraten (S&D), Die Grünen/Europäische Freie Allianz (Grüne), Europäische Konservative und Reformer (EKR) und Renew Europe. Während drei verschiedenen Beratungsphasen wurden innerhalb der jeweiligen Fraktion Anträge auf Änderung, Löschung oder Ergänzung der Stellungnahme erarbeitet. Im Anschluss präsentierten die Fraktionen ihre Anträge, inklusive einer Eröffnungs- und Abschlussrede jeder Fraktion, hinterfragten sie gegenseitig in einer Diskussion im Plenum und stimmten abschließend über die Annahme der Anträge sowie der gesamten Stellungnahme ab.

Insbesondere bezog sich die Stellungnahme auf die Aufstellung einer Europäischen Armee im Sinne einer verstärkten europäischen Zusammenarbeit. Die Verantwortungsübernahme bei globalen Krisen und Konflikten sollte durch diverse Aufgaben- und Einsatzbereichen der Armee gestärkt werden. Kontrovers wurde zwischen den Fraktionen dabei vor allem das langfristige Ziel diskutiert, die nationalen Streitkräfte aufzulösen, sowie, nationale Regierungschef*innen im Rotationssystem als Oberbefehlshaber*innen der Armee einzusetzen.

Nach der Begrüßung und Einführung in die Methode des Planspiels wurden den Schüler*innen auch per Videobotschaft Grußworte von den Mitgliedern des Europäischen Parlaments Terry Reintke und Dietmar Köster zugesprochen, die die Arbeit der Jugendlichen unterstützen. Im Anschluss kam es in den Fraktionen bereits zu ersten Überlegungen zu den einzelnen Unterpunkten der Stellungnahme – verglichen mit der jeweiligen Programmatik – und zur internen Besprechung der Anträge. Diese wurde jeweils geleitet von Teamer*innen der JEF.

Schüler*innen werden zu Europaabgeordneten

Schnell wurde deutlich, dass sich die Jugendlichen in ihre Rolle hineinzuversetzen und in dieser neuen Perspektive auf das Thema zu blicken vermochten. Schon vor Beginn des Planspiels hatten sie sich mit den Fraktionszielen auseinandergesetzt und waren nach einem kurzen thematischen Einstieg durch ihre Teamer*innen in der Lage, diese auf das vorliegende Problem anzuwenden. Obwohl die zugewiesene Position natürlich nur im seltensten Fall der persönlichen Einstellung der Schüler*innen entsprach, überlegten die neuen Abgeordneten in der Beratung gezielt, inwieweit die Vorschläge der Stellungnahme modifiziert werden müssten, damit sie mit den Leitideen der Fraktion vereinbar seien.

Während die Fraktion der Grünen die Friedensmission der EU betonte, sich strikt gegen atomare Forschung und Bewaffnung aussprach und eine vollständige Kontrolle des*r Oberbefehlshaber*in durch das Parlament forderte, einigte sich die S&D auf Abrüstung, um das gesparte Geld in Bildung und Soziales zu investieren. Die EVP wiederum führte während des Verfassens der Anträge fraktionsinterne Abstimmungen durch und stimmte für eine Europäische Armee auf freiwilliger Basis der Mitgliedsstaaten und gegen eine parlamentarische Kontrolle des*r Oberbefehlshaber*in. Ähnliche Ziele für die Armee, wie zum Beispiel die graduelle Ersetzung der nationalen Streitkräfte, gingen aus den Gesprächen der Renew Europe-Fraktion hervor, die allerdings den Oberbefehl durch einen Zusammenschluss aus dem Europäischen Parlament und dem Rat der EU regeln wollte. Die EKR lehnte eine Europäische Armee von vornherein kategorisch ab, um die fortlaufende Souveränität der Einzelstaaten zu sichern: „Wir sagen nein zu einer föderalistischen EU und nein zu einer EU-Armee!“

Als die Anträge formuliert waren, wählte jede Fraktion eine*n Fraktionsvorsitzende*n und seine*n Stellvertreter*in, die die besondere Aufgabe zugewiesen bekamen, das Eröffnungs-Statement, beziehungsweise die Abschlussrede zu schreiben und zu halten.
Im Anschluss begannen die Koalitionsgespräche zwischen den einzelnen Fraktionen, in die insbesondere die Fraktionsvorsitzenden involviert wurden. Die Vertreter*innen der einzelnen Fraktionen tauschten sich erstmals untereinander aus. So merkten sie, ob sich die Position der eigenen Fraktion mit der einer anderen vereinbaren ließ oder nicht, um gemeinsame Haltungen zu identifizieren und sich gegebenenfalls zu überlegen, wie durchsetzbar die eigene Position im Plenum sein wird.

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Die Abgeordneten in der Fraktionsbesprechung. (Simulation des Europäischen Parlaments zur Europäischen Verteidigungspolitik im Dortmunder Rathaus, 05.02.2020)

„Die EU funktioniert nur als Geben und Nehmen!“

Danach wurde die Plenardebatte durch die Parlamentspräsidentin eröffnet.

Zuerst gaben die Fraktionsvorsitzenden ihr Statement zur Stellungnahme ab, indem sie kurz ihre Position erläuterten. Bereits hier fielen teilweise scharfe Bemerkungen, die aus den Koalitionsgesprächen resultierten. So ließ die S&D-Abgeordnete verlauten: „Wir stehen ein für die Werte der EU und verteidigen sie. […] Die Kollegen von der EKR vertreten jedoch nicht die Interessen des Gemeinwohls. Das wundert mich nicht, denn sie haben manchmal Probleme beim Denken.“

Somit startete eine lebhafte Debatte über die Anträge. Insgesamt fiel auf, dass deutlich mehr Anträge abgelehnt als angenommen wurden.
Der einzige angenommene Antrag über die Rekrutierung und Zielsetzung einer Europäischen Armee stammte von der Renew Europe-Fraktion und besagte, es solle vorerst eine verstärkte Kooperation zwischen den Armeen geben, die einen „leichten Übergang zu einem starken Europa“ erbringen würden. Hier wurde weder der Antrag der EKR, noch der der EVP angenommen, da beide für eine Aufstellung der Europäischen Armee auf freiwilliger Basis plädierten. Besonders die Grünen wehrten sich dagegen: „Die EU funktioniert nur als Geben und Nehmen! Wir können zu nichts zustimmen, das gegen ein gemeinsames Vorgehen Europas geht.“

Auch bei der Frage nach der Handhabung des Oberbefehls fand sich schwer Einigkeit. Der Originalwortlaut sah vor, dass der Oberbefehl dem*r Regierungschef*in jedes Mitgliedslandes obliegt und alle fünf Jahre rotiert, was keiner der Fraktionen zusagte. Vor allem die S&D und die Grünen, die noch in der Koalitionsphase ein Bündnis nicht ausgeschlossen hatten, zerstritten sich an dieser Frage. Während die Grünen dem Parlament die Entscheidungsgewalt zusprechen wollten, argumentierte die S&D, man könne Sicherheitspolitik nicht „unerfahrenen Menschen [überlassen], die sich nur mit Fußball und Hockey auskennen“ und solle einen eigenen Expertenausschuss für Sicherheit und Verteidigung ins Leben rufen. Die Grünen erwiderten, dies widerspräche dem Geltungsanspruch des demokratisch legitimierten Parlamentes. Schlussendlich wurde keiner der beiden Änderungsanträge angenommen; es setzte sich ein EKR-Antrag durch, der besagte, es solle eine Kommission aus den Verteidigungs- und Innenminister*innen der Mitgliedsstaaten gegründet werden, die für zwei Jahre den*die Oberbefehlshaber*in wählen.

Erneut wurde dieses Thema an anderer Stelle aufgegriffen. Die EKR forderte, dass die Europäische Armee und deren Befehlshaber*in nicht der Kontrolle des Parlaments unterliegen sollen, da hier militärische Fachkompetenz gefragt sei. Einzig die Grünen argumentierten, in diesem Falle existiere keinerlei Einfluss auf den*die Oberbefehlshaber*in und die Kommission, die ihn einsetzt. Dies überzeugte die übrigen Fraktionen jedoch nicht, sodass am Ende beschlossen wurde, dass es keine Regelung für eine parlamentarische Kontrolle der europäischen Armee gab.

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Meinungsbild in der Parlamentssitzung. (Simulation des Europäischen Parlaments zur Europäischen Verteidigungspolitik im Dortmunder Rathaus, 05.02.2020)

Dennoch herrschte zwischenzeitlich auch Einigkeit im Parlament. Die Grünen stellten den Antrag, dass keine Ausgaben für die EU-Armee für atomare Forschung und atomare Verteidigungssysteme getätigt werden dürften. Dem schlossen sich viele Fraktionen entschieden an; so beteuerte ein S&D-Abgeordneter: „Selbst wenn wir erstmal die einzigen sind, die auf Atomwaffen verzichten: warum nicht auf EU-Ebene anfangen? Vielleicht macht es uns dann die ganze Welt nach. […] Wir müssen einen Anreiz schaffen, um uns und der Umwelt einen Gefallen zu tun.“

Trotzdem wurde zum Schluss der Sitzung die gesamte geänderte Fassung der Stellungnahme einstimmig abgelehnt. In ihren Abschlussreden erklärten alle stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, jeweils mindestens ein Absatz der Stellungnahme sei unvereinbar mit ihrem Parteiprogramm – sei es bei der EVP und Renew Europe, die ihre Werte nicht vertreten sahen, oder bei der EKR, die sich nach wie vor aus Prinzip gegen die Idee einer EU-Armee aussprach.

Damit bewiesen die Jugendlichen erneut, dass sie sich nicht in der zugewiesenen Position verunsichern ließen. Auch wenn es für viele von ihnen eine vollkommen neue und einzigartige Situation war, lernten sie interessiert die Abläufe im Europäischen Parlament kennen und hatten offensichtlich Spaß am Debattieren. So war die SimEP eine Möglichkeit, aus anderer Perspektive auf die Gesetzgebung in der EU zu blicken und sie für die Jugendlichen zugänglich und anwendbar zu gestalten.

Die Veranstaltung wurde vom Europe Direct Informationszentrum Dortmund in der Auslandsgesellschaft.de e.V. mit Unterstützung von den Jungen Europäischen Föderalisten NRW e.V. und der Stadt Dortmund organisiert.

Text von: Julia Warias, Auslandsgesellschaft.de e.V.
Fotos: © Lena Borgstedt, Auslandsgesellschaft.de e.V.