2019_09_17 Workshop FES

Mulvany Berufskolleg Herne: Workshop „Anecken, Ausgrenzen Aufräumen: Strategien des jungen Rechtsaußenspektrums in Europa“ (17.09.2019)

Was haben die „Junge Alternative“, die „Identitäre Bewegung“ und die italienische „Casa Pound“ gemeinsam? Sie alle werden von der sozialwissenschaftlichen Forschung zum jungen Rechtsaußenspektrum oder den Schlüsselorganisationen der „neuen Rechten“ in Europa gezählt. „Neu“ an dieser Rechten ist nicht etwa ihr Rassismus und Antisemitismus, sondern dass jegliche positive Bezugnahme auf den Nationalsozialismus, zumindest in der Außendarstellung, fehlt. Also alter Hass in neuen Kleidern? Grund genug für die Schüler*innen des Mulvany Berufskollegs in Herne sich im Rahmen unseres Workshops „Anecken Ausgrenzen Aufräumen: Strategien des Jungen Rechtaußenspektrums“ am 17.09.2019 in Dortmund anzuschauen, wie diese „neuen“ und „jungen“ Akteure der Rechten gezielt versuchen, auch Jugendliche mit ihrer Agitation zu erreichen.

Der Workshop gliederte sich grob in drei Einheiten: In einer ersten sollten die Teilnehmer*innen ihre Erfahrungen und ihr Vorwissen zu rechten Akteuren in Europa teilen. In der zweiten gab es einen Input zu den drei Hauptgruppen des jungen Rechtsaußenspektrums in Europa und eine Gruppenarbeit zur Analyse rechter Memes und Videos. In der dritten und letzten Einheit konnten die Schüler*innen ihr erlerntes Wissen über den Umgang mit „neurechten“ Akteuren in drei Szenarien erproben.

Die Schüler*innen des Mulvany Berufskollegs Herne berichteten in der ersten Einheit vor allem von antisemitischen Äußerungen und ermüdenden Debatten über Fake News, denen sie sich im Schulkontext mehrfach ausgesetzt sahen. Eine der Teilnehmer*innen gab sogar an, dass sie sich aufgrund des von ihr als „sehr stark“ wahrgenommenen Rechtsrucks nun parteipolitisch engagiere. Man müsse dem Hass doch etwas entgegenhalten, sagte sie. Generell hatten die Teilnehmer*innen bereits ein breites Vorwissen über rechtsextreme Strömungen in Deutschland. Rechte Gewalt, die sowohl digital als auch physisch auftrete, richte sich „gegen alles, was anders ist und sich von der weißen Mehrheitsgesellschaft unterscheidet“, so eine Schülerin. Gerade die Ermordung des Kasseler CDU-Politikers Walter Lübcke wirkte bei vielen der Teilnehmer*innen immer noch nach.

Im Anschluss daran zeigten die beiden Teamer ein kurzes Werbevideo der Identitären Jugend Bayern. Blühende Landschaften, ein paar Stammtischszenen, die netten Rechten von nebenan als „Kümmerer“. Doch dahinter verberge sich eine gefährliche Ideologie. Zentrales Schlagwort von verschiedenen Akteuren des neuen Rechtsaußenspektrums sei der sogenannte „Ethnopluralismus“. Wie einer der Teamer erklärte, sei darunter die Forderung, dass verschiedene Ethnien getrennt voneinander zu leben haben, zu verstehen. Der Begriff selbst wurde vor allem von der Identitären Bewegung popularisiert, finde aber mittlerweile auch in der AfD oder der „Jungen Alternativen“ Verwendung. Er sei im Grunde nur ein neues Wort für das, was die Schüler*innen unter dem Begriff der „Rassentrennung“ rechtsextremen Akteuren zuschrieben. Zentrales Merkmal dieser Ideologie sei die Furcht, durch Migration „überfremdet“ zu werden. Gleichzeitig sei der Begriff rassistisch und leugne jegliche gesellschaftliche Vielfalt, die spätestens seit den Migrationsgeschichten der Gastarbeiter*innen in den 1970er Jahren in Deutschland gesellschaftliche Realität seien, so einer der Workshop-Leiter.

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In einer der drei Workshop-Einheiten wurden rechtsextreme Memes analysiert. Viele Akteure des jungen Rechtsaußenspektrums in Europa greifen auf diese Form der popkulturellen Referenzen zurück, um ihre rassistische Ideologie zu verbreiten. Bei den Identitären ist der Film Avatar besonders beliebt, in dem eine Gruppe „Ureinwohner*innen“ ihren Planeten gegen eine scheinbare Flut an Einwander*innen verteidigt. (Workshop „Anecken Ausgrenzen Aufräumen: Strategien des Jungen Rechtsaußenspektrums in Europa“ 17.09.2019)

Dem Feuer Sauerstoff entziehen?

Den Schüler*innen war die Identitäre Bewegung zuvor kein Begriff, weshalb einer von ihnen fragte, ob es nicht besser sei, diesen Gruppen überhaupt jegliche Art von Öffentlichkeit zu entziehen. So könne man „dem Feuer Sauerstoff entziehen“. Darauf entspann sich im Plenum eine spannende Diskussion: Hilft es, Rechten einfach keine Aufmerksamkeit zu geben? Der Lehrer der Klasse warf ein, dass dies schon mit der AfD nicht geklappt habe und diese gerade aufgrund ihrer ständigen Opferrhetorik heute besser dastehe als je zu vor. Dieser Meinung waren auch die beiden Teamer. Entscheidend sei nicht die Masse der Berichterstattung, sondern vielmehr, wie über die Akteure des jungen Rechtsaußenspektrums in Europa berichtete werde. Gerade bei der AfD seien am Anfang von vielen Medienschaffenden Fehler gemacht worden, da häufig zu verharmlosend berichtet wurde. Dies sei aber kein reines Problem des Journalismus, sondern stehe vielmehr für den allgemeinen Umgang mit Rassismus in Europa. Gerade die Identitären seien ein Scheinriese, da sie durch spektakuläre Aktionen wie die „Besetzung“ des Brandenburger Tors zwar in großem Maße Aufmerksamkeit generieren würden. Zahlenmäßig beschränke sich die aktive Szene aber „nur“ auf  600 bis 800 Aktivist*innen, die vor allem davon lebten, linke Aktionsformen wie Hausbesetzungen oder das öffentliche Entrollen von Bannern zu kopieren. Viel erfolgreicher in diesen Belangen sei die italienische Casa Pound Bewegung, die mittlerweile „in beinahe alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens in Italien eingedrungen ist“.

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Hate Speech ist nicht nur ein Phänomen, das sich im Netz abspielt. So berichtete einer der Schüler von rassistischen Äußerungen am Arbeitsplatz. Gerade wenn Arbeitshierarchien greifen, sei es besonders schwer, gegen solche Äußerungen vorzugehen. (Workshop „Anecken Ausgrenzen Aufräumen: Strategien des Jungen Rechtsaußenspektrums in Europa“ 17.09.2019)

Wie mit Hate Speech und Fake News im Netz umgehen?

 Nach einer kurzen Mittagspause ging es mit dem Thema Hate Speech weiter. Zur Einführung wurde ein kurzes Video der Bundeszentrale für politische Bildung gezeigt. Die Schüler*innen wirkten sehr schockiert über den hohen Grad der Organisation, den rechte Hetze im Internet kennzeichne: „Ich wusste zum Beispiel nicht, dass es solche ‚Trolle‘ gibt, die sich im Internet verabreden, um dann zu hetzen.“ Als Troll bezeichnet man im Netzjargon eine Person, die ihre Kommunikation im Internet auf Beiträge beschränkt, die gezielt beleidigend wirken sollen. Gerade Migrant*innen seien immer wieder solchen Troll- und häufig auch Meldeaktionen ausgeliefert. Eng verknüpft sei das „Trolling“ mit dem Thema Fake News, da diese besonders häufig benutzt werden, um andere Internetnutzer*innen zu „trollen“. So berichtete eine Schülerin aus ihrem persönlichen Umfeld: „Ich habe eine Freundin, die teilt nur noch Fake News. Ich versuche, die Sachen zu melden, um sie aus dem Netz zu bekommen.“ Die beiden Teamer bemühten sich, den Teilnehmer*innen so gut wie möglich beratend zur Seite zu stehen. Sie empfahlen, sich immer über verschiedene Quellen zu informieren, dennoch sei ein Kontakt mit Fake News kaum vermeidbar: „Jeder kennt das: Da schaut man eine Dokumentation auf YouTube und auf einmal werden einem komische Videos gezeigt.“ Hinsichtlich Hate Speech sei es in erster Linie wichtig, sich im familiären Umfeld oder Freundeskreis Unterstützung zu suchen, wenn man Attacken im Netz ausgeliefert sei. Ansonsten gebe es auch genug Beratungsstellen, an die man sich wenden könne.

Nach einem langen und aufgrund der Thematik auch teilweise belastenden Tag schlossen die Teamer den Workshop mit einem kurzen Apell: „Ich glaube, das ist so ein bisschen auch die Message, die wir verbreiten wollen: Dass wir alle in irgendeiner Form von rechter Gewalt bedroht werden.“ Gerade deswegen sei es so wichtig, informiert zu bleiben und sich gegen jedwede rechte Mobilmachung zu stellen. Denn diese beginne nicht erst mit physischer Gewalt, sondern auch schon mit gewaltsamer Sprache oder Beleidigungen gegen Minderheiten.

Die Veranstaltung wurde vom Europe Direct Dortmund in der Auslandsgesellschaft.de e.V. mit Unterstützung vom DGB Dortmund-Hellweg, der Stadt Dortmund und dem AK gegen Rechtsextremismus organisiert. Wir danken der Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen für die freundliche Förderung des Projekts.

Text von: Lorenz Blumenthaler, Auslandsgesellschaft.de e.V.
Fotos: © Lorenz Blumenthaler/Lena Borgstedt, Auslandsgesellschaft.de e.V.