Mallinckrodt-Gymnasium Dortmund: Workshop „Anecken, Ausgrenzen Aufräumen: Strategien des jungen Rechtsaußenspektrums in Europa“ (18.09.2019)
„Anecken, Ausgrenzen Aufräumen“ so der Titel des Workshops, den Teamer der Friedrich-Ebert-Stiftung Landesbüro NRW am 18. September 2019 mit dem Europe Direct Dortmund für eine zweite Gruppe Schüler*innen des Dortmunder Mallinckrodt-Gymnasiums durchführten.* Was wenige wissen: Der Titel ist eine direkte Referenz zu einer Aussage eines hochrangigen Funktionärs der Jungen Alternative (JA), der Jugendorganisation der AfD. Mit der Selbstzuschreibung des Aneckens, Ausgrenzens und letztendlich auch des Aufräumens bringt der Funktionär unfreiwillig Kernelemente der Strategien des jungen Rechtsaußenspektrums in Europa auf den Punkt. Beim Workshop sollte es aber nicht nur um die Strategien der Identitären Bewegung, der italienischen Casa Pound und der Jungen Alternativen und ihren Einfluss auf sowie ihre Bedeutung für Europapolitik gehen, sondern auch um konkrete Handreichungen für den Umgang mit Akteuren des jungen Rechtsaußenspektrums.
Doch was wissen die Jugendlichen überhaupt über die Bedrohung einer offenen und liberalen Gesellschaft in Europa durch Akteure des Rechtsaußenspektrums? Klar, das erste Bild, das vielen in den Kopf kam, war geprägt von Dortmunds eigener Neonazi-Szene und Siegfried Borchardt, der von den Schüler*innen auch nur unter dem mediengemachten Namen „SS Siggi“ bekannt war. Rechtsextremismus zeichne sich aber fernab der äußerlichen Erscheinung durch „Antisemitismus und Gewalt gegen Andersdenkende“ aus, so eine Schülerin. Interessant war, dass die Jugendlichen des Mallinckrodt-Gymnasiums sehr sicher im Umgang mit den richtigen sozialwissenschaftlichen Begriffe waren – kein Wunder, hatten wir doch diesmal einen Leistungskurs Sozialwissenschaft zu Besuch. So war nicht die Rede von „Fremdenhass“ oder „Judenhass“, sondern von Antisemitismus und Rassismus. Wie ein Schüler in Bezug auf das Wort „Ausländerhass“ feststellte: „Es geht nicht um Nationalität und Herkunft. Natürlich kann man anderen nicht in den Kopf schauen oder irgendwie die Nationalität von außen checken.“ Vielmehr gehe es um das äußere Erscheinungsbild. Weswegen auch Linke mit dem unter Jugendlichen beliebten „FCK AfD“ Button, queere Menschen oder eben auch immer wieder Obdachlose zu Opfern rechter Gewalt würden, so einer der Teamer.
Ein wenig überraschend war es, wie hoch die Schüler*innen die Anzahl der Todesopfer rechter Gewalt in Deutschland seit 1989 einschätzten. Manche der Teilnehmer*innen nannten dabei Zahlen von 100.000 Todesopfern rechter Gewalt, während die Anzahl rechter Straftaten erstaunlich gering geschätzt wurden. Natürlich unterscheiden sich hier die offiziellen Zahlen gravierend von den inoffiziellen, die etwa von der Amadeu Antonio Stiftung oder der Frankfurter Rundschau recherchiert werden, so die Teamer. Von den 193 Todesopfern rechter und rassistischer Gewalt erkenne das dafür zuständige Bundesinnenministerium nur etwa 75 Fälle offiziell an. Opferberatungsstellen schätzen die exakte Anzahl noch höher ein, da die Dunkelziffer extrem hoch sei. So werde der mutmaßliche Mord an Walter Lübcke durch die rechtsextremistische Terrorgruppe Combat 18, die durch ihren „Pressesprecher“ und Brieffreund von Beate Zschäpe, Robin Schmiemann, auch genug räumliche Bindungen zu Dortmund aufweise, noch nicht in den offiziellen Statistiken gelistet.
Nachdem auf Basis des Vorwissens der Schüler*innen eine grobe Arbeitsdefinition von Rechtsextremismus erstellt und vorgestellt wurde, ging es mit einem kurzen Input durch die beiden Teamer weiter. Als erstes stellten sie die Identitäre Bewegung und die italienische Casa Pound vor. Die Identitären bedienten sich hauptsächlich Aktionsformen, die sonst eher aus linken aktivistischen Kreisen bekannt seien, wie etwa Hausbesetzungen und öffentlichkeitswirksamen Banner-Drops, so die beiden Teamer. Personell seien hier – auch wenn sich die Akteure gerne „hip“ und „modern“ geben – große Kontinuitäten mit der Neonazi-Szene festzustellen. Bei der in Deutschland weitaus unbekannteren Casa Pound Bewegung handle es sich hingegen um ein Leuchtturmprojekt des jungen Rechtsaußenspektrums in Europa. Obwohl sich die Bewegung positiv auf Mussolini und den historischen Faschismus beziehe, feiere sie große Erfolge in Italien und könne sich so in verschiedenen Gesellschaftsbereichen erfolgreich etablieren. Zum Beispiel in der Erdbebenhilfe, an den Universitäten oder auch an Schulen – exklusiv für „wahre“ Italiener*innen versteht sich.
Höcke-Jugend oder Junge Alternative?
Ein bisschen anders verorte sich die Junge Alternative (JA), die sich gerade in der Außendarstellung sehr viel Mühe mit der Wahrung ihres vermeintlich bürgerlichen Antlitzes gebe. Allein bei der Wahl des Logos setze sie sich ganz klar von den anderen beiden Organisationen ab. Mittels eines roten Wahlkreuzes werde der – frei nach Rudi Dutschke – „lange Marsch durch die Institutionen“ als vermeintliches Ziel nach außen getragen. Die JA diene vor allem als Karriereleiter für zukünftige AfD-Funktionäre. Dennoch sammeln sich in ihr besonders reaktionäre Positionen, so die Teamer. Daher werde sie in der Forschungsliteratur auch als „Höcke-Jugend“ bezeichnet. Die JA pflege besonders enge Bindungen ins rechte Burschenschaftsmilieu, was Angriffe auf Journalist*innen, wie etwa in Marburg, belegen. Mittlerweile wird die Junge Alternative deshalb auch von verschiedenen Landesverfassungsschutzämtern beobachtet. Fest steht: Die JA repräsentiere weder das bürgerliche Bild, das sie so gerne nach außen trage, noch seien die Personen, die sich in ihr betätigen, dem bürgerlichen Milieu zuzuordnen, so die beiden Teamer.
Besonders deutlich erfahrbar wurde die starke Rechtsaußenorientierung der Jungen Alternativen bei der Analyse ihrer Öffentlichkeitsarbeitsmaterialien. Auf ein Bild, das zwei Frauen an ein Bett gefesselt darstellt, reagierten die Schüler*innen geschockt. „Wir fanden das widerlich, weil man hier Frauen in einer herabwürdigenden Weise dargestellt hat und das entspricht auch nicht dem modernen Frauenbild.“ Frauen werden bei der JA zumindest in den vorliegenden Materialien entweder rein auf die sexuelle Ebene reduziert oder eben „am Herd“ als Bewahrerin von Familie, Tradition und Heimat stilisiert. Dies warf bei einigen der männlichen Teilnehmern die Frage auf, ob es überhaupt noch Frauen gebe, die diese Art der Rollenzuschreibung gut fänden. Eine weibliche Teilnehmerin antwortete darauf: „Ich glaube, es gibt durchaus noch Frauen, die sich so ein traditionelles Familienbild vorstellen, bei der sich Frauen dem Mann unterordnen.“ Auch wenn diese Ideen bei den Teilnehmenden absolut nicht auf Zustimmung stießen, muss es immer noch genug Menschen in Deutschland geben, die sich mit den Ideen von einem traditionellen Familienbild, Heimat und Tradition identifizieren. Aufs Mallinckrodt-Gymnasium gehen diese Menschen wahrscheinlich nicht.
Die Veranstaltung wurde vom Europe Direct Dortmund in der Auslandsgesellschaft.de e.V. mit Unterstützung vom DGB Dortmund-Hellweg, der Stadt Dortmund und dem AK gegen Rechtsextremismus organisiert. Wir danken der Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen für die freundliche Förderung des Projekts.
Text von: Lorenz Blumenthaler, Auslandsgesellschaft.de e.V.
Fotos: © Lorenz Blumenthaler/Lena Borgstedt, Auslandsgesellschaft.de e.V.
*Denselben Workshop führten wir am 16.09.2019 mit einer anderen Gruppe des Mallinckrodt-Gymnasiums Dortmund und am 17.09.2019 mit dem Mulvany Berufskolleg Herne durch.