Ungarn und die EU – Die politische und wirtschaftliche Lage in Ungarn (05.11.2015)
Der Generalkonsul der ungarischen Botschaft in Düsseldorf, Balázs Szegner, war am 05. November 2015 zu Gast in der Auslandsgesellschaft NRW. Im Rahmen eines Vortrags mit anschließender Diskussion stellte er sein Heimatland Ungarn und insbesondere dessen Beziehungen zu Deutschland und Nordrhein-Westfalen vor. Angesprochen wurden auch die Bewältigung der Wirtschaftskrise in dem kleinen EU-Staat sowie dessen Haltung angesichts des Zuzugs von Geflüchteten nach Europa.
Als vierte ungarische Vertretung in Deutschland (neben Berlin, München und Stuttgart) wurde der Sitz in Nordrhein-Westfalen im März 2015 offiziell nach einer sechsjährigen Pause wiedereröffnet. Seine Aufgaben definierte der Generalkonsul und Diplomökonom Szegner vorrangig im wirtschaftlichen und kulturellen Austausch mit Nordrhein-Westfalen, infolgedessen er auch in Dortmund zu Besuch war.
Szegner beschrieb seine Heimat – Ungarn ist mit 10 Mio. Einwohner_innen einer der kleineren EU-Mitgliedstaaten – als wirtschaftlich und politisch mittlerweile stabiles Land:
Die Wirtschaftskrise 2008 habe Ungarn hart getroffen. Man war hoch verschuldet, so dass die Regierung eine strenge Fiskuspolitik einführte – mit Erfolg: Habe man zu Beginn der Krise noch eine Verschuldungsrate von über 85% gehabt, lag diese im letzten Jahr nur noch bei 76,9% mit Tendenz nach unten. Die Arbeitslosigkeit siedelt sich mittlerweile bei der 7%-Marke an. Die Wachstumsrate hingegen befand sich 2014 bei 3,6% und würde für 2015 auf 2,5 bis 3% geschätzt.
Vor diesem Hintergrund betonte der Generalkonsul die Bedeutung von deutschen Unternehmen und Firmen in Ungarn. Diese würden allein 300.000 Menschen in seiner Heimat in der Automobil- (Audi, Mercedes, Opel) und Maschinenbauindustrie (ThyssenKrupp) beschäftigen. Neben hoch ausgebildeten Fachkräften biete der Staat diesen ausländischen Investoren ein niedriges Lohnniveau sowie geringe Steuersätze.
Der Diplomökonom bewertete den Regierungswechsel in Ungarn im Jahr 2010 als Beginn der politischen Stabilität im Land. Mit einer überzeugenden Mehrheit habe die neue Regierung der konservativen Partei Fidesz zusammen mit ihrem kleineren Bündnispartner, der christdemokratischen Partei KDNP, unter Ministerpräsident Viktor Orbán tiefgreifende Reformen durchführen können. In den letzten fünf Jahren habe es mehr Reformen als in den 20 Jahren zuvor gegeben, so Szegner. Es sei eine neue Verfassung verabschiedet – die vorherige habe noch auf der kommunistischen Verfassung von 1949 basiert – und ein neues Grundgesetz sei zusammengestellt worden. Dennoch, betonte der Generalkonsul, seien weitere Veränderungen notwendig, um an den Erfolg von Ländern wie beispielsweise Deutschland in der Europäischen Union anschließen zu können.
Hinsichtlich des Zuzugs von Geflüchteten nach Europa erklärte Szegner, dass Ungarn aufgrund seiner geografischen Lage an der südöstlichen Schengengrenze wesentlich früher als Deutschland von deren Auswirkungen betroffen war. In diesem Zusammenhang sprach der Generalkonsul von einer regelrechten „Überrennung des Landes“: Mit nur 10 Mio. Einwohner_innen sei es sehr schwierig für Ungarn gewesen, den Hunderttausenden Geflüchteten gerecht zu werden. Den Notsignalen, die man an Brüssel gesendet habe, seien keine konkreten Maßnahmen gefolgt. Insofern habe man sich selbst geholfen und mittels eines Zaunes eine temporäre Sicherheitslinie gebaut. Dass die Geflüchteten sich den offiziellen Grenzübergängen entzogen hätten und über grüne Grenzen in das Land gekommen seien, sei rechtlich nicht tragbar gewesen. Ungarn sei aufgrund von internationalen Beschlüssen, wie Schengen, der Dublin Verordnung oder dem Genfer Abkommen, rechtlich dazu verpflichtet, seine Schengengrenzen zu schützen. Darüber hinaus sei die Regierung ihrer Bevölkerung gegenüber verpflichtet, sie vor ungeordnet durchziehenden Menschenströmen zu bewahren.
Der Generalkonsul betonte, dass Ungarn nicht inhuman sei. Man wolle den Geflüchteten Schutz bieten, allerdings wollten diese nicht Schutz in Ungarn finden, sondern in anderen EU-Staaten. Ein Großteil der Geflüchteten komme von Syrien durch andere sichere Länder nach Europa und Ungarn. Dies zeige, dass sie nicht allein einen sicheren Ort suchen, sondern ein wirtschaftlich besseres Leben wollen. Das sei durchaus ein legitimer Wunsch, so Szegner, jedoch könnte sich nicht jeder Geflüchteten sein Zielland selbst aussuchen.
Text: Lena Borgstedt, Auslandsgesellschaft NRW e.V.
Foto: © Auslandsgesellschaft NRW e.V.