Deutschland und Frankreich ohne Power? Vortrag von MdB Franziska Brantner (29.10.2019)
Seit März 2019 existiert die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung, die im Zusammenhang mit dem Aachener Vertrag ins Leben gerufen worden ist. Franziska Brantner, Bundestagsabgeordnete für Bündnis 90/Die Grünen, hat als Mitglied der Deutsch-Französischen Arbeitsgruppe von Bundestag und Assemblée Nationale und jetzt des Vorstands der neuen Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung die Verhandlungen entscheidend mitgeführt. Das neue binationale Gremium dient dazu, Vorschläge zu grenzüberschreitenden Fragen zu erarbeiten und die gemeinsame Umsetzung von EU-Richtlinien voranzutreiben, wo dies noch nicht der Fall ist. Warum ein solcher Zusammenschluss durchaus seine Begründung findet, machte Franziska Brantner in ihrem Vortrag „Deutschland und Frankreich ohne Power?“ mit anschließender Diskussion am 29. Oktober 2019 im Dortmunder Rathaus deutlich.
In den letzten Jahren seien mehr Hürden in der deutsch-französischen Partnerschaft entstanden als beseitigt worden, so Brantner zu Beginn ihres Vortrags. Zwar lerne man heute in der Schule nicht mehr „die Sprache des Feindes“, wie es in ihrer Schulzeit noch vermittelt wurde, sondern die des Nachbarn und Freundes, dennoch gebe es Bedarf, die Beziehungen auszubauen. Dies machte Brantner unter anderem an unterschiedlichen Umsetzungen von EU-Vorgaben in nationales Recht deutlich. In Bezug auf den Lebensmittelstandard zum Beispiel gelte, dass Käse aus Frankreich heute auf deutschen Märkten nicht verkauft werden dürfe, was vor einigen Jahren jedoch noch möglich gewesen sei. Durch die 1979 getroffene Cassis-de-Dijon Entscheidung sollte ein solches Ungleichgewicht vermieden werden. Allerdings – und hier sprach Brantner aus persönlicher Erfahrung, die sie in der Grenzregion machte – verhindere die deutsche Umsetzung von EU-Richtlinien den Verkauf von französischem Käse auf deutschen Märkten. Ein anderes Beispiel für die Missstände in der Zusammenarbeit beider Länder zeige sich im Aufbau von sprachlichen sowie beruflichen Kompetenzen: „Es gibt keine Deutschkurse für Franzosen [in Deutschland], allerdings gibt es Deutschkurse für Menschen aus anderen Regionen wie Mali zum Beispiel.“, erklärte die Bundestagsabgeordnete. Zwar gebe es deutsch-französische Schulen, aber deutsch-französische Berufsschulen fehlen. Dabei wären gerade diese wichtig für eine Angleichung der Ausbildungen. Mit Blick auf die Region Elsass zeige sich, dass es einen konkreten Handlungsbedarf in der Zusammenarbeit gebe, die „Arbeitslosigkeit hier ist relativ hoch und auf deutscher Seite herrscht ein Fachkräftemangel, aber die Unternehmen suchen ihre Auszubildenden im weiter entfernten Spanien“. Grade in den Grenzregionen meide man sich heute in vielen Bereichen. „Generell gab es in der Region in den 80er und 90er Jahren mehr Austausch. Es wurde Alemannisch und Elsässisch gesprochen und man traf sich in der Mitte.“ Der Bedarf, sich anzunähern und auszutauschen, sei also nach wie vor vorhanden. Die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung solle genau dort ansetzen.
Die Entstehung und Zusammensetzung der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung
Grundlage dieser institutionalisierten Zusammenarbeit auf Ebene der nationalen Parlamente sei das Deutsch-Französische Parlamentsabkommen, das am 11. März 2019 von der französischen Nationalversammlung und am 20. März 2019 vom Deutschen Bundestag verabschiedet sowie am 25. März 2019 von den Präsidenten beider Häuser unterzeichnet wurde. Den Auftrag für das Parlamentsabkommen haben sowohl der Bundestag als auch die Nationalversammlung 2018 anlässlich des 55. Jahrestages des Élysée-Vertrags am 22. Januar erteilt, um die Beziehungen zwischen den Parlamenten zu vertiefen. Die Enttäuschung auf französischer Seite über die mangelnde Resonanz der deutschen Regierung zu den Europa-Vorstößen des französischen Präsidenten habe dabei eine große Rolle gespielt, so Brantner.
Den Tonus innerhalb des noch jungen Gremiums beschrieb Brantner als „offen und ehrlich“. Es würden vor allem die „harten und schwierigen Themen“ besprochen werden. Vielfach betonte sie, dass man sich in solcher Zusammensetzung besser kennenlerne, denn „in der Versammlung reden alle mal anders“. Im Bundestag könne man sich einfach über Französ_innen mokieren, es sei jedoch etwas ganz Anderes, dies einer Person direkt ins Gesicht zu sagen. „Das macht etwas mit einem.“, urteilte die Abgeordnete. Die entstehenden Vorzüge seien dabei vielschichtig, sie sprach von einer „Revitalisierung der Parlamentsarbeit“ aus mehreren Gründen. Zum einen sei die Arbeit lebendig, da sie nicht an Koalitionen gebunden sei. Zum anderen handele es sich um direkte „Sacharbeit“, die nicht den Routinen im Bundestag gleiche.
Die Versammlung setzt sich aus 100 Mitgliedern zusammen: 50 Abgeordnete aus den Fraktionen des Deutschen Bundestages und 50 Abgeordnete aus den Fraktionen der französischen Nationalversammlung. Dabei, so betonte Brantner, „war es uns wichtig, dass die Mitglieder aus allen Bundesländern gemischt zusammenkommen, und das gleiche gilt auch für Frankreich“. Man müsse die spezifischen Bedürfnisse der Regionen kennen, denn „Europa wächst von unten“. Zweimal im Jahr komme man zusammen und bis jetzt habe man immer in Vollbesetzung getagt. Insgesamt zeige sich, dass es mehr Nachfrage als Angebot gebe. Als erste Erfolge der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung könne die Einrichtung eines gemeinsamen Bürgerfonds gesehen werden. Dieser werde Anfang 2020 seine Arbeit aufnehmen und diene dazu, Bürgerinitiativen und Städtepartnerschaften zu fördern und zu unterstützen.
Ein einmaliges Format in der Europäischen Union
Ein binationales Gremium wie die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung sei innerhalb der EU sonst nicht zu finden, auch wenn „immer mehr Länder eine solche fordern“. Eigentlich sei es notwendig, mehr solcher bilateralen Orte des Austauschs, an denen man ehrlich reden könne, einzurichten. Dies sei eine große Herausforderung für die Zukunft der Europäischen Union, betonte die Rednerin. Auf die Frage, ob die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung in Konkurrenz zum Europaparlament stehe, antwortete die Abgeordnete: „Es ersetzt es keineswegs.“ Und fügte hinzu: „Debatten müssen wir auch weiterhin Zuhause führen.“, also im Bundestag, welcher weder von der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung noch vom Europaparlament ersetzt werde, jedoch hätten beide einen prägenden Einfluss auf die im Bundestag geführten Debatten. Der Austausch auf deutsch-französischer Ebene sei immens wichtig. „Der Aha-Effekt ist einfach unbezahlbar. Er hilft, seine eigene Meinung zu überdenken.“ Und gerade diese Reflexion sei verloren gegangen. In diesem Zusammenhang sprach Brantner von einem kulturellen Unterschied der beiden Länder. „Deutschland ist verloren gegangen, darauf zu achten, wie wir im Ausland wahrgenommen werden.“ Der Blick sei lediglich nach innen gerichtet, auf die eigene Politik, und dies sei fatal für Europa, so Brantner. Diesbezüglich ging die Abgeordnete auf den EU-Haushalt für die Jahre 2021-2027 ein und das deutsche Gefühl, Nettozahler der EU zu sein. Dies entspreche faktisch nicht der Realität. Momentan zahle Deutschland 0,8% des Bruttoinlandsproduktes ein und nicht wie in der breiten Öffentlichkeit vertreten 2%. Für den kommenden Haushalt sei ein Satz von 1,3% vorgesehen, so Brantner. „Über diese 2% wird immer wieder im Zusammenhang mit den Verteidigungskosten gesprochen“, aber diese Angabe stimme schlichtweg nicht.
Straßburg und Brüssel: Brantner als Verfechterin der Dezentralisierung
Einen Teil ihres Vortrages widmete Franziska Brantner einer Frage bezüglich der „ineffizienten“ Aufteilung der Arbeitsorte der EU-Organe. So sitze das EU-Parlament in Straßburg, die parlamentarischen Ausschüsse treten in Brüssel zusammen und der Sitz des Generalsekretariats des Parlaments sei in Luxemburg. Dies koste ca. 100 Mio. Euro jährlich. „Könne diese Summe nicht eingespart werden, indem man alle Sitze nach Brüssel verlegt?“, wurde Brantner aus dem Publikum gefragt. Wahrscheinlich schon, entgegnete diese, aber „Politik ist nicht nur eine Effizienz-Frage“. So werde die EU in die Städte gebracht und hätte einen höheren Bürgerbezug. „Wenn sie die Demokratie abschaffen, ist es am billigsten. Wenn sie alles zentralisieren, ist es am billigsten. Ich bin eine Verfechterin der Dezentralisierung.“
Die zukünftige Beziehung zwischen Deutschland und Frankreich
Die Sprecherin für Europapolitik der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verwies zwar auf aktuelle Stolpersteine in der deutsch-französischen Zusammenarbeit, auch hinsichtlich europäischer Vorstöße, zeichnete aber ein deutlich positives Bild der Beziehungen für die Zukunft. Die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung bringe eine „Erneuerung der parlamentarischen Demokratie“ mit sich, zeichne sich doch der deutliche Wille, gemeinsam voranzukommen, bei allen Beteiligten ab.
Als Hauptaufgabe der Europäischen Union identifiziere sie zudem, die „Zukunft selbst zu gestalten“. Die Friedensicherung sei die oft angepriesene primäre Aufgabe des Staatenverbundes. Die EU habe sich allerdings in der Vergangenheit zu sehr auf andere Weltmächte, wie die USA, konzentriert. Sie müsse aber ihren eigenen Weg z.B. im Bereich der Klimapolitik und Digitalisierung bestreiten und selbst gestalten.
Die Veranstaltung wurde vom Europe Direct Dortmund in der Auslandsgesellschaft.de e.V. gemeinsam mit der Stadt Dortmund, der Deutsch-Französischen Gesellschaft Dortmund sowie dem Deutsch-Französischen Kulturzentrum e.V. Essen organisiert.
Text: Gerrit Zumstein, Auslandsgesellschaft.de e.V.
Fotos: © Pascale Gauchard, Auslandsgesellschaft.de e.V.