Wie oft wird noch an der Uhr gedreht? – der bizarre Streit um die Zeitumstellung

Wie oft wird noch an der Uhr gedreht? – der bizarre Streit um die Zeitumstellung

Am Sonntag werden die Uhren in ganz Europa wieder auf Sommerzeit umgestellt – eigentlich, wie 2019 im Europäischen Parlament (EP) beschlossen, das letzte Mal. Doch der Plan wird nicht umgesetzt und der Streit um die Zeitumstellung geht weiter. Wie ist der Stand der Dinge und wann ist eine EU-weite Entscheidung zu erwarten? Wir gehen dem Konflikt um die Zeitumstellung auf den Grund und beantworten die Fragen für euch.

Vor allem in Deutschland wird die Abschaffung befürwortet

Rückblick: Eine EU-weite selbstorganisierte Umfrage der Kommission aus dem Jahr 2018 ergab, dass 84 Prozent der 4,6 Millionen Teilnehmer:innen eine Abschaffung der Zeitumstellung befürworten – rund drei Millionen der Teilnehmer:innen kamen aus Deutschland. Es zeigt sich also, dass besonders hier bei uns das Thema die Gemüter erhitzt. Der damalige Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gab im Zuge dessen bekannt, die seit 1996 in allen EU-Ländern bestehende halbjährliche Zeitumstellung abzuschaffen. Daraufhin legte die EU-Kommission im September 2018 einen Richtlinienentwurf vor, dem das EP im März 2019 zustimmte: Die Zeitumstellung sollte ab 2021 aufgegeben werden. Nun fehlt seit zwei Jahren die Zustimmung des Europäischen Rates und auch Deutschland hatte während seiner turnusmäßigen Ratspräsidentschaft von Juli bis Dezember 2020 keinerlei Absichten unternommen, den nötigen Ratsbeschluss voranzutreiben. Zugeben: Während der deutschen Ratspräsidentschaft stand neben dem Brexit vor allem die Bewältigung der Corona-Pandemie im Vordergrund, weshalb eine Lösung für den Streit um die Zeitumstellung nicht weit oben auf der Prioritätenliste stand.

Sommer- oder Normalzeit? Entscheidung liegt bei den Mitgliedsstaaten

Neben dem Ob steht auch noch das Wie zur Frage. Es wird befürchtet, dass es in der Europäischen Union nach der Abschaffung der Zeitumstellung einen Flickenteppich aus Sommer- und Normalzeit-Ländern geben könnte. Während sich in den nördlichen Ländern und auch in Deutschland für die Sommerzeit ausgesprochen wird, befürworten die südlichen Länder die Normalzeit (sogenannte Winterzeit). Viele Länderregierungen treibt entsprechend die Sorge um, wie man sich mit den Nachbarländern abstimmen soll. Jean-Claude Juncker erklärte 2018 in seiner Rede zur Lage der Union: „Mitgliedstaaten – dies ist ein Gebot der Subsidiarität – sollen selbst entscheiden, ob ihre Bürger in Sommer- oder Winterzeit leben sollen. Ich erwarte, dass Parlament und Rat dies ebenso sehen und binnenmarktkonforme Lösungen finden.“ Und obwohl er hinzufügte: „Die Zeit drängt“, verweigern die Mitgliedsstaaten die notwendige Festlegung und eine abschließende Verständigung mit dem Parlament. Bei einer dauerhaften Sommerzeit würde es im Westen und Nordwestes Europas im Winter sehr spät hell werden, umgekehrt würde es bei einer ständigen Winterzeit im Osten des Kontinents im Sommer sehr früh hell werden.

Deutschland und einige weitere EU-Staaten fordern eine Untersuchung zu einer europäischen Folgenabschätzung der Abschaffung von der Europäischen Kommission, die diese aber nicht erstellen wird. Die Kommission erklärt, dass das verfügbare Material, auf das sich die Kommission im Jahr 2018 für die Erstellung des Vorschlags bezogen hat, ausreiche und „der Ball jetzt im Feld der Mitgliedsstaaten liegt“.

Gemeinsamer Beschluss ist bisher nicht in Sicht

Auch wenn sich viele EU-Parlamentarier:innen verärgert über den Stillstand zeigen, ist ein Ende der Debatte nicht in Sicht. Das Bundeswirtschaftsministerium, das in Deutschland für die Entscheidung über Sommer- oder Normalzeit zuständig ist, hat die Frage derzeit nicht im Blick, auch wenn sich Bundeswirtschaftsminister Altmaier (CDU) zuvor als begeisterter Unterstützer der Abschaffung zeigte.

Bereits vor der deutschen Ratspräsidentschaft forderte die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments Katarina Barley (SPD), dass „jemand das Heft in die Hand“ nähme und forderte Bundeswirtschaftsminister Altmaier zum Handeln auf. Sie beklagt zudem, dass „fortschrittliche Vorschläge des Parlaments durch die Konsenskultur im Rat ausgebremst“ würden. Auch Parlamentsvizepräsidentin Nicola Beer (FDP) verlangt, dass die Entscheidung der Mitgliedsstaaten „nicht länger verschleppt“ wird.

Ein Ende des Streits um die Abschaffung der Zeitumstellung ist somit nicht in Sicht und wird ganz Europa wohl noch länger beschäftigen. Das Thema hat wegen der Corona-Pandemie sowohl in der Bundesregierung als auch in den EU-Institutionen aktuell keine Priorität – und so heißt es auch am 28. März 2021 in ganz Europa wieder: Die Uhren werden vorgestellt und es bleibt eine Stunde länger hell.

 

Text: Lea Mindermann