China und die EU – abhängig vom Rivalen in Peking? (13.03.2024)

China und die EU – abhängig vom Rivalen in Peking? (13.03.2024)

Seit den Siebzigerjahren hat die Volksrepublik China nicht weniger als die größte wirtschaftliche Entwicklung in der Geschichte der Menschheit hingelegt. Viele Menschen und Länder haben von diesem rapiden Wachstum profitiert – auch die Europäischen Union, insbesondere Deutschland und seine Unternehmen. Nun stellt sich immer mehr die Frage, zu welchem Preis wir profitieren konnten? Mit wachsenden Spannungen, der ausgebliebenen Demokratisierung Chinas und dem amerikanischen Wunsch nach Abkopplung, stehen viele geopolitische Herausforderungen an. Hierüber haben wir Jürgen Matthes, Wirtschafts- und Chinaexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft sowie dem Politikwissenschaftler Siebo Janssen diskutiert. Moderiert wurde die Online-Veranstaltung von Jochen Leyhe.

China – ein komplexer Wettbewerber

Siebo Janssen betont bereits zu Beginn der Diskussion, dass die heutige chinesische Politik durch eine Person beeinflusst wird: Xi Jingping. Er sei kein Reformer und dulde noch weniger Widerspruch. Dies gelte selbst für die Reichsten und Mächtigsten in China. Nichtsdestotrotz ginge Xi aber auch entschieden und effektiv gegen Korruption im eigenen Land vor, unter ihm habe es eine fulminante wirtschaftliche Entwicklung erlebt. Laut Jürgen Matthes habe Xi es jedoch nicht schaffen können, die große Erwartung nach der Pandemie zu erfüllen. China sei 2023 nur um 5,2% gewachsen. In den nächsten Jahren dürfte das Wachstum noch weiter zurückgehen, da die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter immer weiter zurückgehen wird. Während Wachstumsraten von um die vier Prozent für die meisten europäischen Länder ein Anlass zur Freude wären, ist China an solch „geringe“ Wachstumswerte noch nicht gewöhnt. Matthes unterstreicht hier besonders, dass sich das chinesische Regime durch ein Wohlstandversprechen legitimiere und dass solch niedrige Wachstumsraten mittelfristig zu gesellschaftlichen Problemen führen könnten.

Auch kam die Frage auf, ob China überhaupt noch kommunistisch sei. Janssen erklärt, dass das ideologische Dach Chinas immer noch unter den Lehren Maos stünde, das alltägliche Leben aber kapitalistisch sei. Man müsse jedoch auch bedenken, dass es sich es in China um „Staatskapitalismus“ handele, da der Staat eine zentrale Rolle in der Wirtschaft und in Unternehmen einnehme.

Der Handel mit China

Jürgen Matthes geht davon aus, dass circa drei Prozent der deutschen Arbeitsplätze direkt und indirekt vom Export nach China abhängen. Sollte es jemals zu einem ernsthaften Handelskonflikt zwischen der EU und China kommen, wären verschiedene Wirtschaftszweige unterschiedlich hart betroffen. Beispielsweise ist die EU sehr von chinesischen Antibiotika-Exporten abhängig. Dies konnte man zuletzt an Lieferengpässen bei Medikamenten erkennen. Zudem könnte ein Wegbrechen des chinesischen Marktes in einem geopolitischen Konfliktfall eine große Herausforderung für die deutsche exportorientierte Wirtschaft sein, erklärte der Wirtschaftsexperte. Deswegen lokalisierten ausländische Unternehmen ihre Wertschöpfungsketten immer mehr in China. Das bedeutet: ausländische Hersteller bauen eigene Wertschöpfungs- und Lieferketten in China auf, damit die chinesischen Niederlassungen ungehindert von Sanktionen und Engpässen produzieren können. Dies stärke die chinesische Wirtschaft, schwäche perspektivisch jedoch die deutsche Volkswirtschaft, da der chinesische Markt in Zukunft stärker durch die Produktion vor Ort und weniger durch den Export nach China bedient werde. . China-Experte Matthes geht davon aus, dass eine komplette Abkopplung Chinas nicht notwendig und auch nicht sinnvoll sein.

Die wirtschaftliche Ausbreitung Chinas

Es entstehen aber nicht nur durch Tochtergesellschaften und Exportbeziehungen Abhängigkeiten zu China, sondern auch durch die direkte Einflussnahme Chinas. Chinesische Unternehmen haben beispielsweise mehrere Häfen in Griechenland aufgekauft, sich an einem Terminal im Hamburger Hafen beteiligt, erweitern die „Neue Seidenstraße“ auch in Europa und beteiligen sich an der kritischen Infrastruktur Europas, so Jürgen Matthes. Dazu kommt, dass der chinesische Staat oft direkt in vielen dieser Unternehmen involviert ist. Matthes betont, dass China immer wieder europäische Technologien aufkaufen würde – beispielsweise das deutsche Robotik-Unternehmen KUKA. Deswegen sei es notwendig, bei solchen Beteiligungen chinesische Firmen genauer hinzusehen, um einen Abfluss der deutschen technologischen Kronjuwelen zu verhindern. Auch dürften chinesische Firmen nicht an europäischer kritischer Infrastruktur beteiligt sein. Hier sei es insbesondere zu verhindern, dass das 5G-Netz Komponenten und Software chinesischer Firmen enthält. Janssen und Matthes formulierten auch den Appell, dass dieses Problem europäisch angegangen werden müssten, da China sonst die unterschiedlichen Mitgliedsstaaten gegeneinander ausspielen könnte.

Kann die EU von den USA lernen?

Die Vereinigten Staaten seien deutlich skeptischer gegenüber China. Nicht nur haben die sonst zerstrittenen Demokraten und Republikaner dieselbe kritische Haltung zu China, auch beschlossen die USA, dem Social Media-Unternehmen „TikTok“ – welches zum chinesischen Konzern „ByteDance“ gehört – eine 180-tätige Frist zu geben, um sich vom Mutterkonzern zu entkoppeln. Dies sei ein weiteres Symptom der US-amerikanischen Abkopplung von China, analysiert Siebo Janssen. Da sich die USA langfristig auf ihren eigenen Konflikt mit China konzentrieren werden, wird die EU bald souveräner mit der China-Frage umgehen müssen. Matthes beschreibt die Rolle Chinas für Europa als einen „Dreiklang“. China sei „Systemrivale, Partner und Wettbewerber“. Dies sei absichtlich widersprüchlich, um die unterschiedlichen Rollen Chinas für die EU zu unterstreichen. Beispielsweise wird es ohne China kein Vorankommen in Kampf gegen den Klimawandel geben und auch der chinesische Absatzmarkt sei zu groß, um ihn einfach zu ignorieren. Trotzdem gibt es deutliche Systemrivalitäten. Dies werde besonders deutlich am Ukraine-Konflikt, China unterstütze hier in einem Schulterschluss von Autokratien weiterhin das ebenfalls System Putins.

Taiwan – Lektionen aus der Ukraine?

Spätestens seit dem Ukraine-Krieg schaut die Welt mit großen Augen auf die angespannte Lage in Taiwan. Selbst nach fast 80 Jahren der de facto Selbstverwaltung Taiwans sieht die Volksrepublik Taiwan immer noch als abtrünnige Provinz an – oberstes Ziel sei weiterhin die Widervereinigung mit dem Festland. Sollte sich China dazu entscheiden, Taiwan anzugreifen, gehen Experten davon aus, dass es ein langer und ausufernder Krieg werden könnte. Umso wichtiger sei es, zu verstehen, dass China aktuell aktiv aus dem Konflikt in der Ukraine lerne. In diesem Konflikt stehe China auf der Seite Russlands, jedoch dürfe man nicht vergessen, dass es sich um eine ungleiche Partnerschaft handelt, betont Janssen. Einerseits profitiert China von sehr günstigen Erdöl- und Erdgasexporten Russlands, andererseits wissen beide Akteure, dass sich China wirtschaftlich und bevölkerungstechnisch in einer ganz anderen Dimension befindet als Russland. Zumal handele es sich bei beiden Seiten zwar um Autokratien, jedoch ist Chinas politische Tradition zumindest dem Anschein nach „kommunistisch“, während Putins Politik ultranationalistisch und neozaristisch sei. Dies seien zwei nicht miteinander vereinbare Ideologien. Matthes unterstreicht hier, dass China seine Ausgaben für Rüstung und Verteidigung jedes Jahr stark steigere, zuletzt um rund sieben Prozent.

Eines ist sicher: Die Beziehungen zwischen China und der EU bleiben komplex. Die deutsche Politik „Wandel durch Handel“ ist laut unseren Referenten gescheitert und auch die großen Hoffnungen der Liberalisierung nach dem WTO-Beitritt Chinas längst verflogen. Wir müssen eine neue China-Politik entwickeln, die sich an den Realitäten von Xis China orientiert, betont Siebo Janssen. Auch müsse diese Politik von Grund auf „europäisch“ sein, da die USA nicht mehr derselbe Partner wie während des Kalten Krieges seien. Deswegen appelliert der Politikwissenschaftler zum Abschluss der Videokonferenz noch einmal: „Wir müssen wieder internationale Politik betreiben!“