Die Demokratiebewegung in Belarus – eine zerschlagene Hoffnung? (24.04.2023)

Die Demokratiebewegung in Belarus – eine zerschlagene Hoffnung? (24.04.2023)

Im Jahr 2020 waren nach zahlreichen und massiven Protesten gegen das Regime die Hoffnungen für einen politischen Neustart in Belarus groß. Die Hoffnungen der rot-weiß-roten Demokratiebewegung sind innerhalb weniger Wochen durch massive staatliche Gewalt in Belarus selbst weitestgehend zerschlagen worden. Viele Oppositionelle wirken aus dem Exil weiter. Wie sieht es heute, fast drei Jahre später aus? Hat der Krieg in der Ukraine unseren Blick auf Belarus verändert? Und gibt es unter den aktuellen Umständen noch Chancen für ein Wiederaufflammen der Demokratiebewegung? Diesen und weiteren Fragen sind wir in einem moderierten Gespräch am 24. April mit der in Russland geborenen und in Belarus aufgewachsenen SPD-Politikerin aus München, Polina Gordienko nachgegangen.

Die aktuelle Lage in Belarus

Seitdem die Demokratiebewegung bei den Wahlen 2020 scheiterte, sei die Lage in Belarus wesentlich schlechter geworden, so unser Gast Polina Gordienko. Oppositionelle seien geflohen, im Exil oder inhaftiert worden. Auch Swetlana Tichanowskaja, welche 2020 gegen Lukaschenka in der Präsidentschaftswahl antrat, arbeite aus dem Exil weiter für die Demokratiebewegung, in Belarus warte ein Haftbefehl auf sie. In Belarus herrsche heute starke Repression, Inhaftierungen und Festnahmen würden zunehmen, die Ausreise werde erschwert oder teilweise unmöglich gemacht, die Belaruss:innen seien im eigenen Land gefangen. Polina Gordienko macht deutlich, dass die Mehrheit der Belaruss:innen gegen das Regime sei und auch gegen die starke Zusammenarbeit mit Putin, Belarus solle nicht zu einem weiteren Föderationssubjekt Russlands werden. Die Oppositionellen würden weiterhin aus dem Exil gegen das Regime ankämpfen und auch innerhalb des Landes würden sich die Bürger:innen über unabhängige Medien informieren. Demonstrationen und Protestaktionen seien allerdings durch das radikalisierte Justizsystem sehr gefährlich geworden. Es gäbe außerdem eine Vereinigung von Partisan:innen, welche gegen das Regime ankämpfen und auch die belarussische Unterstützung Putins in dem Ukrainekrieg sabotieren.

Lukaschenka und Putin sowie die Einflüsse des Ukrainekriegs

Gordienko erläutert zudem, dass das belarussische Problem im Kreml säße „wenn man Demokratie in Belarus erreichen möchte, müsste man eben für stärkere Sanktionen gegen Putin plädieren“. Lukaschenkas Regime sei in einem demokratischen Belarus nicht möglich, weshalb er eine stärkere Untergliederung unter Russland brauche. Die Zusammenarbeit der beiden Länder sei Intensiv, Putin unterstütze Lukaschenkas Regime und dieser trage wiederum zu Putins Vorhaben bei. Russische Truppen seien bereits Ende 2021 in Belarus an der ukrainischen Grenze stationiert worden. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine sei in Belarus daher auch auf wenig Überraschung gestoßen. Unter der Mehrheit der belarussischen Bevölkerung herrsche jedoch große Solidarität zu den Ukrainer:innen. Auch Belarus sei von den europäischen Sanktionen, wegen der engen Zusammenarbeit Lukaschenkas mit Putin, wirtschaftlich betroffen.

Verhalten des Westens und der EU

Der Westen bzw. die EU habe leider bezogen auf Belarus und auch Russland nicht ausreichend gehandelt – insbesondere in den entscheidenden Phasen der Demokratiebewegung, als ein Regimewechsel in Belarus noch möglich gewesen sei und sich das Justizsystem sich noch nicht so weit radikalisiert habe. „Nach dem damals dritten Sanktionspaket der EU im Dezember 2020 herrschte plötzlich Stille“. Bereits 2020 habe Tichanowskaja für einen Ausschluss russischer und belarussischer Banken aus dem SWIFT System plädiert, die Belaruss:innen seien für diese Sanktionierungen 2020/21 auf die Straßen gegangen und es sei sehr schade, dass erst ein Krieg habe ausbrechen müssen, um die Aufmerksamkeit des Westens auf die bestehenden Probleme zu richten. Ein Reflexionsprozess auf politischer Ebene sei sehr notwendig und die Sanktionierungen Russlands, sowie die Unterstützung für die Ukraine sollten aus Sicht einer Mehrheit der belarussischen Bevölkerung notwendig. Verständlicherweise sei die Debatte um Waffenlieferungen, vor allem in Deutschland, immer wieder geschichtlich geprägt emotionalisiert, Die jetzige Situation müsse jedoch für sich betrachtet werden.

Ausblick auf die belarussische Zukunft

Da das aktuell größte Problem der belarussischen Demokratiebewegung in Lukaschenkas enger Beziehung zu Russland bestehe, sei nur durch einen Regimewechsel in Russland, eine Hoffnung zu finden. Putin habe ein langfristiges Interesse daran, dass Belarus eine Diktatur bleibe, ob unter Lukaschenka oder seinem Nachfolger. Die Stimmung in Belarus sei weiterhin proeuropäisch und die Solidarität für die Ukraine würde wohl langfristig auch nicht nachlassen. Die Opposition würde weiterhin aus dem Ausland operieren und informieren. Polina Gordienko wünscht sich, dass sich die Menschen in den westlichen und vor allem westeuropäischen Ländern weiter und intensiver mit den Konflikten in Osteuropa und Russland auseinandersetzen und, dass die Befassung mit diesen Regionen und ihren Kulturen in der Schulbildung einen Stellenwert erhält. „Ich hoffe, da kann einfach dadurch mehr Verständnis für diese Kulturen geschaffen werden“, so Gordienko.

Text: Leslie Deák