Hoffnung auf Wiederannäherung: Ein Deutsch-Britischer Abend über die Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU (08.07.2021)
Es ist ein trauriges Bild, das sich aktuell in der politischen Landschaft des Vereinigten Königreiches abzeichnet. So resümierten unsere Referent:innen die Lage in einem Land, das vom Austritt aus der EU schwer mitgenommen wurde. Die politischen Haltungen, die sich vor dem BREXIT-Referendum im Jahr 2016 bereits abzeichneten, haben sich seit dem Austritt nur verstärkt. Die Spaltung im Land ist groß: Der Wunsch, in die EU zurück zu kommen und die internationalen Begegnungsmöglichkeiten in Europa nutzen zu können, steht gegenüber dem wachsenden Nationalismus und der Fremdenfeindlichkeit. Diese Spannungen im Land haben sich in den letzten Jahren nur vergrößert. Am 08. Juli fand unser deutsch-britischer Abend unter dem Titel „The Future of Anglo-German Relations – Yorkshire and North Rhine Westphalia, Leeds and Dortmund“ statt. Wir sprachen mit unseren Gästen von der Organisation „Leeds for Europe“ über die aktuelle Lage im Vereinigten Königreich, über ihre Pläne, das Land langfristig wieder an Europa anzunähern, und darüber, was Europa tun kann, um zu helfen.
Unsere Referent:innen waren: Richard Wilson, Vice-Chair der pro-Europa-Organisation „European Movement UK”, und Jaqui Williams Durkin, Repräsentantin der Organisation „Leeds for Europe“. Die Moderation übernahm Geoff Tranter von der Deutsch-Britischen Gesellschaft.
Wie ist die Lage im Vereinigten Königreich nach dem BREXIT?
Zu Beginn unseres Abends erzählten uns unsere Gäste, wie der BREXIT aus britischer Perspektive wahrgenommen wurde. Unsere Referentin Jaqui Williams Durkin schilderte auf emotionale Weise, wie sie sich bereits vor dem Referendum im Juni 2016 dafür einsetzte, dass das Vereinigte Königreich Teil der EU bleibt. Sie erzählte von ihren Frustrationen gegenüber den Haltungen mancher Bürger:innen, die wenig Ahnung davon zu haben schienen, was die EU eigentlich macht und welche Folgen ein möglicher BREXIT haben könnte. Als dann das Ergebnis fiel ging ein Schock durch das gesamte Land. Die wenigsten hatten diesen Ausgang erwartet. Aber mit diesem Schock ging ein Ruck durch das Land, mit dem viele die Erkenntnis hatten, dass sie selber aktiv werden müssten, um einen BREXIT zu stoppen. Im ganzen Land wurden Demonstrationen gegen die Entscheidung organisiert, unzählige pro-Europa-Organisationen wurden gegründet und eine Petition, die den BREXIT aufhalten sollte, erhielt über sechs Millionen Unterschriften.
Und doch ließ es sich nicht aufhalten, dass das Vereinigte Königreich die EU verlässt. Die aktuell vorherrschende Spaltung im Land ist größer als sie zuvor jemals denkbar gewesen wäre. Die Politik teilt sich nicht mehr in „links“ und „rechts“, sondern in „Remain“ und „Leave.“ Wir sehen einen starken Wandel in der politischen Landschaft des Landes. Die Parteien mussten sich zu einer der Denkweisen bekennen. Und auch die Bevölkerung ist gespalten. Auf der einen Seite stehen die jüngeren Bürger:innen, die BREXIT als einen Fehler von historischen Ausmaßen ansehen und zurück in die EU möchten. Auf der anderen Seite stehen die eher älteren Bürger:innen, die mit Europa nichts zu tun haben möchte. Unser Referent Richard Wilson erläutert, warum so viele die EU verlassen wollten: In den Medien wurde stark gegen die EU gehetzt und vielen Teilen der Bevölkerung fehlt die emotionale Verbundenheit zu Europa. Diese mentale Distanz zueinander sei u.a. der geographischen Isolation als Insel geschuldet, sowie der Sprachbarriere. Dazu kommt die Fremdenfeindlichkeit, die viele britische Bürger:innen hegen. Diese richtet sich ironischerweise zwar eigentlich hauptsächlich gegen Einwanderer aus Commonwealth-Staaten, wie zum Beispiel Indien, aber viele scheinen die Unterscheidung zu EU-Staaten nicht zu machen.
Aktuell machen sich die befürchteten Konsequenzen des BREXIT bemerkbar. Die Supermarktregale im Vereinigten Königreich werden leerer. Mehrere Dokumentationen berichten über die Notlage der Fischereibetriebe im Süden Englands. Und die Presse hetzt weiter gegen die EU: Negatives wird hervorgehoben, Positives wird unter den Teppich gekehrt. Jaqui Williams Durkin fasst zusammen: „Right now, we are in a time of gloom and doom.“ Die wahren Ausmaße des BREXIT werden aber wohl erst nach der COVID-19-Pandemie, die aktuell jedes andere Thema überschattet, bemerkbar werden.
Ein hoffnungsvoller Blick in die Zukunft: Pläne für die Wiederannäherung
Wir sprachen mit unseren Gästen auch über deren Pläne und Hoffnungen für die Zukunft. Als pro-Europa-Organisation kämpft „Leeds for Europe“ nach wie vor darum, die Bindung zu Europa aufrechtzuerhalten, um hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft wieder Mitglied der EU zu werden. Diese Annäherung soll Schritt für Schritt passieren. Erste Schritte wären zum Beispiel der Wiedereintritt in das Erasmus-Programm, in die Zollunion oder den Binnenmarkt, sowie die Wiederherstellung der Reise- und Bewegungsfreiheit. Durch das Erreichen dieser kleineren Ziele soll dann auch der Wiedereintritt in die EU innerhalb der nächsten 15 Jahre in greifbare Nähe geraten. Unsere Gäste zeigten sich auch sehr optimistisch, dass dieser Plan aufgehen wird, auch wenn der Weg dorthin ein schwieriger werden wird.
Das Wichtigste ist wohl, dass die Menschen die Hoffnung nicht aufgeben. Denn die Entscheidung der Bevölkerung, ob sie wieder in die EU eintreten möchte, ist eine emotionale. Deswegen ist es eine Priorität von Organisationen wie „Leeds for Europe“, eine emotionale Verbundenheit zwischen der Bevölkerung des Vereinigten Königreichs und Europa zu schaffen. Man müsse den Brit:innen beibringen, dass sie Europäer sind. Nur dann könne die Wiederannäherung an Europa gelingen. Unsere Referent:innen blicken zuversichtlich in die Zukunft und hoffen auch, dass sie sich wieder über Zuwachs freuen können, wenn die Pandemie vorbei ist und diese nicht mehr das einzige Gesprächsthema darstellt.
Ein Appell an Europa: Bitte, vergesst uns nicht!
In unserer Diskussionsrunde ging es viel um die Frage, was von europäischer Seite aus getan werden kann, um die pro-Europa-Bewegung im Vereinigten Königreich zu unterstützen. Die Antwort fiel ernüchternd aus: BREXIT und die damit zusammenhängenden anti-EU-Haltungen sind ein exklusives Problem im Vereinigten Königreich und können dementsprechend auch nur dort bekämpft werden. Nichtdestotrotz zählen pro-Europa-Organisationen wie „Leeds for Europe“ auf die Unterstützung Europas. Es sei wichtig, europäische Freundschaften aufrechtzuerhalten. Gerade dafür sind Städtepartnerschaften, wie zwischen Leeds und Dortmund, von enormer Wichtigkeit. Außerdem kann es helfen, wenn Europa sich bemüht, ein positives Bild von sich zu zeigen, das dem widerspricht, was von der britischen Presse propagiert wird. Ansonsten gilt es nur, das Vereinigte Königreich als Freund und Nachbar nicht zu vergessen. „Keep a candle burning for us“, appellierte Richard Wilson. Jede Anstrengung von Seiten des Königreichs aus ist vergebens, wenn Europa nicht auch die Bereitschaft zeigt, das Land wieder in seine Gemeinschaft aufzunehmen. Generell, so resümierten unsere Referent:innen, ist die Haltung im Vereinigten Königreich gegenüber der EU gespalten und die Beziehung schwer angeschlagen. Nichtdestotrotz besteht die Hoffnung, dass die Dinge sich ändern können. Dafür benötigt es aber Zeit, politischen Wandel und die Offenheit Europas.
Wir bedanken uns herzlich bei unseren Gästen für die anschaulichen Schilderungen der Lage im Land und für die angeregte Diskussion.
Text: Dorothea Ullrich